Morgenroths Haus. Thomas Perlick

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Название Morgenroths Haus
Автор произведения Thomas Perlick
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783962851590



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um das Geschäftliche.

      „Die Herren wünschen sich zu amüsieren?“, fragte eine Dame in die Untiefen ihres Dekolleté hinein.

      „Jawohl“, sagte Fritz Teumer, der Leichtmatrose und hinterlegte das geforderte Geld. Nun bekam er eine Karte mit Bändchen an der Seite.

      „Und was ist mit dem verträumten Jüngling dort?“, fragte die Dame.

      „Ein Anfänger, mit Verlaub!“, sagte Fritz. „Geld hat er kaum, aber mit dieser kleinen Kostbarkeit wird es schon gehen, nicht wahr?“ Die Dame nahm das Kistchen Pepe in die Hand und prüfte das Gewicht.

      „Ihr Kerle habt doch keine Bambushölzchen drin?“

      „Wo denken Sie hin!“

      „Man erlebt hier so manches, mein Lieber. Ich habe schon eine vollständig versiegelte Flasche Champagner entgegengenommen, in der nichts als Seifenwasser war. Nun gut, der Kleine muss es sowieso mit seiner Erwählten selbst aushandeln. Gib ihm die Kiste zurück!“, sagte die Vollbusige und händigte die zweite Karte aus.

      „Junge, das sind doch nur Bilder!“, sagte Fritz zu seinem in den Fußboden versunkenen Freund. „Das kommt alles noch viel besser. Hier, nimm!“

      Und so kam das Zigarrenkistchen Pepe in den Genuss, das erlesenste Freudenhaus der Freien und Hansestadt Hamburg kennen zu lernen. Es schritt mit dem verklärten Martin durch den Saal. Dort saßen allerlei elegant gekleidete Herren und rauchten Pfeife oder lange Zigaretten. Auch ins Casino schlenderte Fritz mit seinem Freund, wo die Großkopfer, wie er sagte, ihr Geld verspielten. Die Herren saßen an einem riesigen Tisch und starrten so fiebrig auf den Lauf der Kugel, als ob ihr Schicksal davon abhinge.

      „Der Reeder Emsmussen hat hier im Laufe der Zeit seine neun Schiffe verloren und sich dann im Stadtpark aufgeknüpft. Spielen ist noch schlimmer als Saufen. Lass am besten von beidem die Finger!“

      Wir sehen bewundernd: Fritz Teumer war seinem jugendlichen Gefährten ein wirklich guter Freund. Er bemühte sich, ihn vor dem Schlimmen zu bewahren und zum Schönen zu verführen.

      Das Schöne war freilich noch nicht da. Es war gerade mal acht und die Damen marschierten erst Punkt Zehn in einer langen Parade ein. Aber die so genannten Badenixen arbeiteten schon. Gegen ein kleines Trinkgeld massierten sie sogar die müden Schultern und Rücken. Sie trugen hochgeschlossene Kleider und ließen sich auf keinerlei Wünsche eines verfrühten, durch Baddämpfe und eigene Nacktheit erwachten Begehrens ein. Im Badesaal war um diese Zeit noch wenig los. Martin hatte zunächst Probleme mit dem Entkleiden, denn es bestand noch eine beträchtliche Unausgewogenheit zwischen seinem männlichen Sehnen und seiner kindliche Scham.

      „Das erste Mal?“, fragte eine Frau, die schon jenseits der mittleren Jahre war.

      „Ja, sozusagen.“

      „Delegiert?“, fragte sie.

      „Bitte?“

      „Ob du vom Vater geschickt worden bist, Kleiner?“

      „Ich habe keinen Vater.“

      „Ach so, weißt du, die vermögenden Väter schicken ihre Söhne gern zu uns. Sie sollen das Handwerk von Professionellen lernen. Und nun setz dich da rein! Es dampft zwar ordentlich, aber du wirst dich nicht verbrühen.“

      Martin ließ sich in das Schaumbad fallen. Es war wunderbar. Nicht weit von ihm sang Fritz Teumer aus vollem Halse die Hymne der Bayern, die noch vor wenigen Tagen der gerührte Alois unter allerlei Tränen gehört hatte, bevor er gemeuchelt auf den Meeresgrund sank, wo er das Gebirg’ nun endgültig nicht mehr sehen wird.

      „Na, wie ist es?“, rief Fritz, als er seinen Gesang beendet hatte.

      „Wunderbar“, erwiderte Martin aus dem Schaum heraus, „aber sie hat meine Sachen fortgetragen.“

      Fritz lachte: „Die bekommst du schon zurück. Nach der Wanne geben sie einem immer Bademäntel. Die muss man sich später, wenn die Bescherung kommt, nicht einmal selbst ausziehen.“ Martin verspürte wieder dieses flaue Gefühl in der Magengegend. Man konnte sich furchtbar blamieren bei diesen Dingen.

      „Hier Kleiner, ich leg alles auf den Stuhl“, sagte die Badedame.

      „Deine Zigarren stehen auch dabei. Du lässt sie wohl niemals aus dem Auge?“

      „Ich brauche sie zum Bezahlen!“

      „Das dachte ich mir. Mach’ sie nicht nass, sonst gehst du heute Abend leer aus!“

      Das Zigarrenkistchen Pepe hörte die Bewegungen des Wassers, das Singen des Leichtmatrosen, der nun zu frivolen Seemannsliedern überging, und das Lachen der beiden Damen, die etwas abseits saßen. Irgendwann brachten sie den Herren große Handtücher, massierten sie mit einem Duftöl, das die Atmung beschleunigte, und gaben ihnen lange, weiße Bademäntel mit tiefen Taschen, in die nun das Zigarrenkistchen Pepe wanderte. Es ging auf halb Zehn, und die ersten Herren aus dem Billardzimmer trafen ein. Sie schauten etwas abschätzig auf Fritz und Martin in ihren sorgfältig geschlossenen Morgenmänteln und setzten sich auf die andere Seite.

      „Saupack, elendes!“, knurrte Fritz und verbat sich, auszuspucken.

      „Wenn du einmal reich wirst, Kleiner, dann bleib immer auf deinem Korridor. Mach’ es nicht so wie die da drüben!“

      Jetzt traten die ersten Tänzerinnen auf. Sie warfen die Beine in die Höhe und bückten sich rittlings, die Röcke über den Rücken nach oben schleudernd.

      „Das sind nur die Anheizerinnen!“, sagte Fritz.

      Die Herren aus dem Spielcasino trafen ein, sofern sie nicht, vom Spiel berauscht, die ganze Nacht hocken blieben. Die Kapelle spielte einen Tusch, die Tänzerinnen verschwanden und nun war es kurze Zeit still. Nur die Ungezogensten riefen Unflätiges, wurden aber sogleich ermahnt. Es war ein bisschen wie Weihnachten im bürgerlichen Heim: Die Spannung riss an der Stille, die Erwartung machte das Atmen schwer. Die weiße Garde in ihren Bademänteln, fast alle von irgendeinem stolzen Schiff im Hamburger Hafen ausgespuckt, verknotete die Hände, bis sie weiß wurden. Amor, der Geiger, fiedelte mancherlei jauchzenden Ton und endlich, endlich zogen die Damen ein. Jetzt begannen die Bravorufe, die Pfiffe und das Gejohle. Einige klatschten, andere hatten die Hände nicht frei. Die Herrlichkeiten betraten die Bühne, eine nach der anderen, bis sie in einer langen Reihe standen und hinabwinkten. Alle trugen hohes Schuhwerk, das die Beine noch mehr streckte, die ja ohnehin bis zu den Bäuchen langten. Einige verrauschten sich in durchsichtigen Strümpfen, die auf halber Höhe der Oberschenkel endeten.

      Die nackten Hälse zeigten wie Finger nach unten, wo die Brüste durch aufgeklebte Goldsterne mehr verziert als verdeckt wurden.

      „Kruzitürkennochemol!“, rief Fritz Teumer im Dialekt des verblichenen Alois. „Hat sich die ganze Schinderei doch wieder gelohnt!“ Martin, unser Schiffsjunge mit Pepe in der Tasche, bestaunte die Bäuche der Damen, auf die man Zahlen gemalt hatte. Von der 1 bis zur 42 war mancherlei zu sehen: ganz Schlanke fast ohne Wölbung, richtig Fette, deren Wülste überhingen, und natürlich auch die dazwischen, denen das Schicksal die göttliche Idealziffernkombination geschenkt hatte.

      „Siehst du die 17?“, flüsterte Fritz. „Das ist Helene. Die hatte ich beim letzten Mal. Ein bisschen albern, aber sehr eifrig, Die könnt ich dir empfehlen.“

      Die ersten Herren riefen ihre Nummern. Hier musste man schnell sein. Die Nummer 21 beispielsweise war sofort weg. Ein blondes Traumweib mit Beinen, die bis zum Himmel gereicht hätten, wären sie nicht von anderem aufgehalten worden. Auch die 9 hatte keine Not, sich zu verdingen. Ein reiferer Herr mit Monokel zog mit ihr davon.

      „Die wird nicht viel Freud’ haben mit dem Gockel da!“, sagte Fritz ärgerlich. Er hätte die 9 auch gern gehabt. Jetzt nahm er halt die 12, schwarzhaarig, voll in den Hüften und oben herum das Gebirg’ des verstummten Alois.

      „Du musst dich ranhalten, mein Junge“, sagte Fritz im Gehen, „am Ende stehen nur noch die Ladenhüter im Schaufenster.“

      Aber Martin hockte trockenen Mundes wie festgeklebt