Religion – Eine Zukunft für die Zukunft. Buchwald Anand

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Название Religion – Eine Zukunft für die Zukunft
Автор произведения Buchwald Anand
Жанр Эзотерика
Серия
Издательство Эзотерика
Год выпуска 0
isbn 9783867101967



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menschengemachte Systematik umfasst allenfalls verschiedene Ausschnitte und Teilaspekte dieser natürlichen Ordnung, die viel komplexer ist als jedes anthropogene Ordnungssystem. Der Mensch kann diese natürliche Ordnung weder vollständig erfassen noch verstehen und empfindet sie und damit auch das künstlerische Bewusstsein als unordentlich oder gar als chaotisch und unverständlich. Das Problem liegt dabei nicht nur darin, dass die gesamte natürliche Ordnung zu umfangreich für den menschlichen Geist ist, sondern vor allem in seiner Denkstruktur, die eher ein- bis zweidimensional angelegt ist und sich in multidimensionalen Bereichen nicht sicher bewegen kann. In der natürlichen Ordnung sind alle Dinge mehrdimensional und global vernetzt, während die menschliche Ordnung eher mit Schubladen arbeitet und ein Problem damit hat, eine Sache in mehrere Schubladen einzuordnen.

       Wahre Wissenschaft beschäftigt sich nicht nur mit Teilaspekten und kleinen Einzelerkenntnissen, sondern versucht Verbindungen herzustellen, erst innerhalb ihrer individuellen Zweige, dann zu Randbereichen und benachbarten Disziplinen, und schließlich zu ferner gelegenen und scheinbar nicht verwandten oder gar gegensätzlichen Bereichen. Diese Arbeit ist in vollem Gange, und während immer mehr Bereiche besser zusammenwachsen und sich stärker vernetzen, sind die Atomphysik, die Quantentheorie und die Kosmologie dabei, die physikalischen Grundlagen des Universums, seiner Entstehung und unserer Genese zu erforschen und dem zusammenwachsenden Geäst einen gemeinsamen Stamm und starke Wurzeln zu geben.

       Die Frage nach dem, worin sie wurzeln und worin das Geäst eingebettet ist und wächst, läutet die nächste Stufe der Bewusstseinsentwicklung ein. Mit dem Aufkommen des wissenschaftlichen und rationalen Bewusstseins beschäftigt sich der sich entwickelnde Geist zunehmend mit der Erforschung der materiellen, sichtbaren Welt, aber das ist ihm nicht genug — er möchte mehr Zusammenhänge verstehen. In der Kunst hat er sein individuelles, subjektives Sein entdeckt, in der Wissenschaft das äußere, objektive Sein der Welt, in der er lebt. Im nächsten Schritt seiner individuellen Evolution setzt er diese beiden idealerweise in Beziehung zueinander und sucht seinen Platz in der Welt, den die reine Wissenschaft ihm nicht geben kann. Damit beginnt die Phase der Philosophie, die sich mit den Dingen beschäftigt, die das Auge und der analysierende Verstand nicht wahrnehmen können.

       Die Philosophie ist das Streben nach Erkenntnis, nach dem Verständnis seiner selbst und nach den größeren Zusammenhängen. Sobald wir die Mechanismen der Welt einigermaßen verstanden haben, werden wir philosophisch. Wir fragen nach Gründen, nach Abläufen, nach der Dynamik der weltlichen und sozialen Elemente in unserem Leben und diskutieren unsere Fragen und Erkenntnisse mit Freunden. Wir fischen nach Informationen, die unserer Aufmerksamkeit bisher entgangen sind oder die wir benötigen, um unser Weltbild abzurunden. Wir versuchen herauszufinden, welches unser Platz in der Welt ist, was sie bewegt und zusammenhält und was auf uns zukommen wird. Hier werden Beziehungen erforscht, Beziehungen zwischen den Dingen, zwischen Menschen und Dingen und zwischen den Menschen. Es werden Ideen entwickelt, Ideale, und aus dem Ganzen bilden sich die Anfänge einer Ethik, die für den Umgang mit der Welt und den Menschen von grundlegender Bedeutung ist. Diese Phase ist ausgesprochen wichtig, denn in ihr wird unsere Persönlichkeit zwar nicht geformt, aber doch verfeinert, vertieft und zurecht geschliffen; hier finden Prozesse statt, die mit entscheiden, wie sich unser Charakter und unser Bild der Welt entwickeln.

       Ist diese Phase kurz und/oder oberflächlich, so neigt man eher dazu, sich nicht als Teil der Welt zu betrachten, sondern sieht sie als eine von sich losgelöste Spielwiese an, um die man sich nicht sorgen muss. Man bleibt dann bei seiner Entwicklung in der rationalen Phase stecken und entwickelt sich zum kalten Wissenschaftler und/oder zum Kapitalisten, also zu einem Egoisten, der die Welt nur relativ zu sich selbst wahrnehmen kann und für den die Welt dazu da ist, seine Wünsche zu erfüllen und seine Bedürfnisse zu befriedigen. Sein moralischer Kompass ist einfach gestrickt, und seine Nadel dreht sich um ihn selbst. Und auch die Beziehungswelt ist eher einseitig auf den Aspekt des Nehmens ausgerichtet. Die philosophischen Schulen, die sich aus dieser Ausprägung oder Haltung ableiten, sind das Recht des Stärkeren, das Vergeltungsprinzip des Codex Hamurabi (Auge um Auge, Zahn um Zahn), das machiavellistische Prinzip des Divide et impera (Teile und herrsche), das unbedingte Streben nach Macht und Besitz, der Absolutismus, die Ausbeutungstechnik des Großkapitals (und des Kleinkapitals), die Heuschreckenmentalität der Finanzindustrie und ein kompromissloser Hedonismus.

       Wo diese Forschungsphase hingegen ausführlicher und tiefschürfender ausfällt, entwickelt sich ein Charakter mit einer komplexeren Natur. Man ist ein eigenständiger Teil der Welt und der Natur, ist aber in diese eingebettet und führt mit ihr, mit den Dingen und den Menschen eine Beziehung gegenseitigen Gebens und Nehmens; man führt ein Leben der Gemeinschaft und des Fortschritts, mit einer Ethik, die auf die Förderung der Harmonie und des gemeinschaftlichen Wohlergehens ausgerichtet ist, wofür wiederum das Wohlergehen des Individuums notwendig ist. Die Philosophien, die daraus erwachsen, sind die Gleichberechtigung, die Freiheit, die Brüderlichkeit, die Demokratie, das Miteinander, die Zusammenarbeit, die Verantwortung für die Welt und die Mitmenschen, der Humanismus, das Mitgefühl, die Karitas, die Solidarität, die Suche nach immer weiter reichender Erkenntnis der Welt, des Lebens und seiner selbst.

       In dem Spektrum zwischen diesen beiden Extremen bewegen sich die Menschen dieser Welt ihm Rahmen ihrer jeweils individuellen Lebensphilosophie. Das menschliche Lebensfeld ist also eine sehr heterogene Mischung der verschiedensten Weltsichten und Lebenseinstellungen, die mal harmonieren und mal frontal aufeinander prallen, die aber allesamt miteinander interagieren und das hervorbringen, was man als Gesellschaftssystem bezeichnet, was man aber auch Gemeinschafts- oder Sozialphilosophie nennen könnte und dessen Kristallisationspunkt die Rechtsordnung mit ihren Gesetzen ist. Diese Sozialphilosophie ist das Ergebnis einer Bemühung um Verständigung, um eine minimale Richtschnur, an der jedermann sein Verhalten ausrichten und an der man auch seine Lebensphilosophie orientieren kann. Darum sind unsere ersten Gehversuche im philosophischen Gefilde nicht wirklich frei und unbelastet; wir sind dabei bereits in ein Wertesystem, in ein philosophisches Gebilde, eingebettet und werden bei unserer Forschung nach Zusammenhängen von der bereits etablierten Norm beeinflusst. Dadurch sind wir in unserer Entfaltung zwar nicht wirklich frei, aber man kann sich ja einmal überlegen, wie das Ergebnis wäre, wenn wir uns dabei in einer Kaspar-Hauser-Situation wiederfinden würden?

       Es wäre nichts vorgegeben, aber da jeder Mensch in unserer Umgebung macht, was er will, wären wir frei, so zu sein, wie wir wollen. Da wir führungslos, orientierungslos und durch nichts gebremst wären, würden wir uns leichter zu extremen Haltungen in jede Richtung hin entwickeln können. Und diese Tendenz zur Beliebigkeit würde sogar noch dadurch verstärkt werden, dass wir fundamental soziale Wesen sind und darum in gewisser Weise nie wirklich völlig frei sein können, denn wir orientieren uns immer irgendwie an unseren Mitmenschen und würden uns in einer solchen Situation planlos eine beliebige Verhaltensweise, die uns ins Auge springt, zum Vorbild nehmen. Wir würden uns, mehr noch als gemeinhin üblich, am lauten Außen, statt an unserem zurückhaltenden Inneren festmachen. Wir wären freier, weil uns alle Entwicklungsmöglichkeiten offen stehen, und gleichzeitig unfreier, weil uns das nötige Urteilsvermögen und eine verlässliche Orientierungshilfe fehlen.

       Die soziale Ordnung, in der wir leben, ist so gesehen aus einer sehr rudimentären Kaspar-Hauser-Situation entstanden, in der relativ wenige, noch überwiegend instinktgeprägte Urmenschen die Bezugspunkte und Vorbilder für die Folgegeneration bildeten. Mit zunehmender Zahl und Nähe der Menschen bildeten sich dann Mindestnormen heraus, an denen man sich bei der Ausbildung eines eigenen Wertesystems und einer individuellen Seinsphilosophie orientieren konnte. Durch diese „Unfreiheit“ konnte überhaupt erst eine soziale und philosophische Evolution stattfinden, die in der Folge zu unserem heutigen Sozialwesen führte, das als Orientierungshilfe nicht nur den heranwachsenden Menschen dient.

       Doch diese Orientierungshilfe ist nicht wirklich neutral und wertfrei, wie es von einem rein wissenschaftlichen Standpunkt aus vielleicht gewünscht wäre, um unter scheinbar idealen Bedingungen die optimale Persönlichkeitsentfaltung zu fördern, sondern enthält auch ein regelrechtes Wertesystem, eine Ethik. Diese bietet keine neutralen Möglichkeiten, sondern gibt Wertungen vor und liefert Vorstellungen, wie wir uns entwickeln sollen. Sie definiert auf der Grundlage eines gemeinschaftlichen Konsenses, was gut und was böse ist, ohne dabei dem Individuum einen eigenständigen und abweichenden und womöglich höherwertigen Wertekanon zu gestatten. Deshalb ist der Knackpunkt für das Individuum