Begegnungen mit Bismarck. Robert von Keudell

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Название Begegnungen mit Bismarck
Автор произведения Robert von Keudell
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783806242683



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      „Solange der Erbprinz in Kiel bleibt, hat man keine Sicherheit, daß wir mit der österreichischen Verwaltung gut auskommen werden; Edwin32 meint, in drei Monaten würden wir klar erkennen, wie es in Wien steht. Wenn Mensdorff wieder in Würzburger Politik verfällt, können wir ihm etwas Schwarz-Rot-Gold33 unter die Rase reiben. Die schleswig-holsteinische und die große deutsche Frage hängen so eng zusammen, daß wir, wenn es zum Bruch kommt, beide zusammen lösen müssen. Ein deutsches Parlament würde die Sonderinteressen der Mittel- und Kleinstaaten in gehörige Schranken weisen.“

      Nach einer kurzen Pause fuhr er fort:

      „Und wenn unter den mittelstaatlichen Ministern sich ein Ephialtes fände, die große deutsche Nationalbewegung würde ihn und seinen Herrn erdrücken.“

      Dann stand er schnell auf und verließ das Zimmer.

      Im Gefolge des Königs reisten wir am 23. nach Berlin, am 25. nach dem Herzogtum Lauenburg, in dessen Hauptstadt Ratzeburg die Huldigung der Stände für den neuen Landesherrn stattfinden sollte. Gegen Abend kamen wir in das freundliche Städtchen, welches an der Ostseite eines großen, von Buchenwäldern eingefaßten Sees liegt. Bismarck war zum Minister von Lauenburg ernannt worden und hatte als solcher die erforderlichen Anordnungen zu treffen.

      Bald nach dem Bekanntwerden der Gasteiner Konvention hatte ein Vertreter des ansässigen Adels den Wunsch ausgesprochen, der König möchte die Aufrechterhaltung gewisser alter Privilegien zusagen. Das war nicht geschehen, der Minister daher zweifelhaft, ob die Stände die ihnen in der Kirche vorzulesende Eidesformel beschwören würden. Für den Fall irgendeiner Zögerung war Bismarck entschlossen, das gesamte in der Kirche anwesende Volk schwören zu lassen. Eine zu diesem Zweck vorbereitete andere Eidesformel nahm er mit in die Kirche34. Die Huldigung der Stände erfolgte aber ohne Unterbrechung mit der wünschenswerten Feierlichkeit. Die so imponierenden wie gewinnenden Erscheinungen Sr. Majestät des Königs und Sr. Königlichen Hoheit des Kronprinzen machten sichtlich großen Eindruck auf die Anwesenden.

      * * *

      Am 27. von Lauenburg zurückgekehrt, rüstete der Minister sich, mit Gemahlin und Tochter auf einige Wochen nach Biarrits zu reisen. Er suchte wie in den Vorjahren die stärkenden Bäder, hatte diesmal aber auch besondere Gründe, einen persönlichen Meinungsaustausch mit dem Kaiser Napoleon zu wünschen.

      Derselbe hatte dem Grafen Goltz gelegentlich gesagt, er bedaure, daß Drouyn de Lhuys jenes Cirkular in seiner Abwesenheit und ohne sein Wissen abgesandt habe. Bismarck aber hörte in Paris von Rouher, einem Vertrauten des Kaisers, daß der Wortlaut des Schriftstückes durch diesen selbst vor der Absendung gebilligt worden sei. Von Drouyn de Lhuys mit ausgesuchter Höflichkeit empfangen, gab Bismarck diesem über unsere Politik ähnliche Aufschlüsse wie später dem Kaiser.

      In Biarrits, wohin von der Kaiserin Eugenie Graf Goltz und der Botschaftssekretär von Radowitz als einzige Fremde zu einem längeren Aufenthalt eingeladen waren, hatte unser Minister mehrmals Gelegenheit zu eingehenden Unterredungen mit dem mächtigen Herrscher, der ihn auch Anfang November noch einmal in St. Cloud empfing.

      Der Hauptinhalt der über diese verschiedenen Gespräche an den König erstatteten Berichte war Folgender:

      Der Minister entwickelte vor dem Kaiser die Ansicht, es sei ratsam, die Ereignisse nicht willkürlich schaffen zu wollen, sondern ihre natürliche Entwicklung abzuwarten und nur in geeigneten Momenten einzugreifen. Schleswig-Holstein betreffend, werde Oesterreich hoffentlich zur Abtretung seines Anrechtes gegen eine Geldsumme sich bereitfinden lassen. Die beabsichtigte Erwerbung der Herzogtümer sei jedoch als eine unmittelbare Verstärkung der preußischen Macht nicht anzusehen. Im Gegenteil müßte sie unsere Kräfte nach mehr als einer Richtung, behufs Entwicklung unserer Marine und unserer nördlichen Defensivstellung, in einem Maße festlegen, welches durch den Zuwachs von einer Million Einwohner nicht ausgewogen würde. Durch diese Erwerbung sei aber die historische Aufgabe Preußens nicht erfüllt, sondern mit deren Erfüllung erst ein Anfang gemacht. Preußen sei berufen, durch engere Verbindung mit einigen anderen Staaten in Norddeutschland eine Macht zu schaffen, die stark genug wäre, um selbständige Politik zu treiben und nicht zur Anlehnung an die Ostmächte wie in den Jahrzehnten nach 1815 gezwungen zu sein.

      Im Interesse Frankreichs scheine zu liegen, eine solche Entwicklung mit Wohlwollen zu begleiten; denn würde sie durch Frankreich gehemmt, so wäre Preußen wieder darauf hingewiesen, in einer Koalition mit den Ostmächten Schutz zu suchen; während ein aufstrebendes Preußen immer einen hohen Wert auf die Freundschaft des westlichen Nachbars legen müßte.

      Der Kaiser bezeichnete die Anschauungsweise als ihm „vollkommen einleuchtend und sympathisch“. Um über die Zukunft der gegenseitigen Beziehungen sich zu verständigen, sei es nicht nötig, die Entwickelung der Dinge zu überstürzen, sondern ratsam, dieselbe abzuwarten und die Entschließungen der Lage anzupassen. Die Erwerbung von Schleswig-Holstein würde er empfehlen, durch irgendein Organ der Bevölkerung nachträglich sanktionieren zu lassen. Im Falle eines Konflikts in Deutschland sei ein Bündnis mit Oesterreich für ihn eine Unmöglichkeit. Einen Versuch dazu, den Metternich bei ihm kurz vor der Gasteiner Konvention machte, habe er abgelehnt.

      Nach alledem glaubte Bismarck im Kriegsfalle eine wohlwollende Neutralität Frankreichs für wahrscheinlich halten zu dürfen.

      Ueber die Erlebnisse seiner Reise und des Aufenthalts in Biarrits schrieb die Gräfin:

      Biarrits, 8. Oktober 1865.

      … Die Verstimmung über die hetzjagende Abreise überwand ich bald, als wir still im Coupee saßen und weiter und weiter durch die eisige Nacht hinflogen. Es war so kalt, daß wir alles, was von Decken und Mänteln vorhanden, in Bewegung brachten. Die Morgensonne beschien vor Düsseldorf und weiter hin schneeweiß bereifte Ebenen und der Wind wehte so kalt ins Coupee hinein, daß wir sehnend an Pelze dachten und sehr glücklich über den aufmerksamen Bahndirektor in Köln waren, der uns mit geheiztem Zimmer und Frühstück empfing. Ich ging mit Marie wieder einmal durch den Dom mit immer neuem Entzücken. Bald nach 9 Uhr sausten wir weiter und freuten uns fortwährend über den sehr warmen Tag und die sehr hübschen Gegenden, durch die wir flogen – mit denen ich die gleiche Ueberraschung erlebte wie in Schlesien, dem ich solche Schönheit gar nicht zugetraut. So wunderhübsch wie dort ist’s freilich nicht, aber doch sehr freundlich, voll Abwechselung und recht merkwürdiger Felspartien. Sie kennen es ja alles längst, also sage ich nur, daß ich viel mit Vergnügen hinausgeschaut und Witiko35 wenig las, den ich mir zu Bismarcks hoher Belustigung mitgenommen. Um 9 Uhr fuhren wir glücklich in Paris ein, wurden auf dem Bahnhof von Solms und Lynar empfangen, zum Hotel geleitet und nachher noch bis 11 Uhr spazieren geführt, die Boulevards entlang bis zur Place de la Concorde, Seinebrücke, Tuilleriengarten, Vendomesäule, Notre-Dame, Madeleine und Gott weiß welchen Herrlichkeiten. – Dann soupierten wir mit ihnen in irgendeinem Café und schließlich fanden wir die Ruhe um 1 Uhr. Aber welch ein Unterschied in der Temperatur! Wie kühl und frisch den Abend vorher in Berlin und wie sommerlich warm Abend und Nacht in Paris!

      Andern Tages sehr heiß; wir fuhren unter Lynars Schutz durch viele Straßen und durchforschten alle möglichen Läden, die wir aber sämtlich so theuer fanden, daß Berlin sehr hoch in unsrer Achtung stieg. Wir gingen und fuhren bis halb sechs Uhr und jagten um 8 Uhr weiter nach Süden im wundervollen Mondschein, waren aber so müde, daß wir uns nicht viel um mögliche schöne Gegenden kümmerten, sondern sehr bald einschliefen; und ich glaube wir verloren nicht viel, denn gegen Morgen sah es überall recht langweilig aus, so nach Jüterbog, Luckenwalde und dergleichen Sand- und Kiefernsteppen, was bis Bordeaux und drüber hinaus, fast bis Bayonne fortdauert, wobei ich den halben Witiko ausgelesen – recht weitläufig, der echte Ur-Stifter, aber doch nicht uninteressant. Hinter Dax bekommt Frankreich eine anziehendere Physionomie, sehr grün und freundlich, mit den Pyrenäen und dem Meer am Horizont, und bleibt so bis Biarrits. Zuerst war ich hier etwas enttäuscht über die Schattenlosigkeit und die kahlen Felsen all überall, da ich mir fest eingebildet hatte, Kastanienwälder, Feigengärten und allerlei wunderbare breitblättrige südliche Bäume und Pflanzen zu finden. Die Gegend ist durchaus nicht überwältigend schön – fällt ihr gar nicht ein –, aber das Meer und der Himmel unvergleichlich und die Luft so bezaubernd weich,