Begegnungen mit Bismarck. Robert von Keudell

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Название Begegnungen mit Bismarck
Автор произведения Robert von Keudell
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783806242683



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Oesterreichs verabscheute, dagegen.

      Endlich bestieg Bismarck die Rednerbühne, wie es damals in der Regel geschah, und stand also dem Ministertische nahe gegenüber, an welchem Brandenburg und Radowitz saßen.

      Nach einleitenden Bemerkungen sagte er, man möge die Errungenschaften des preußischen Schwertes nicht weggeben, „um die Nimmersatten Anforderungen eines Phantoms zu befriedigen, welches unter dem fingierten Namen von Zeitgeist oder öffentlicher Meinung die Vernunft der Fürsten und Völker mit seinem Geschrei betäube, bis jeder sich vor dem Schatten des andern fürchte und alle vergäßen, daß unter der Löwenhaut des Gespenstes ein Wesen steckt von zwar lärmender, aber wenig furchtbarer Natur“.

      Das Dreikönigsbündnis werde wegen der bekannten Vorbehalte Sachsens und Hannovers voraussichtlich von kurzer Dauer sein.

      Die projektierte Bundesstaatsverfassung sei in den wichtigsten Bestimmungen unvereinbar mit der von der Staatsregierung als zu Recht bestehend anerkannten Verfassung des Deutschen Bundes.

      Nach dem vorliegenden Entwurfe solle Preußen ‚seine sämtlichen Aktiva einwerfen in den Konkurs der übrigen deutschen Staaten‘; es solle verzichten auf Disposition über Heer und Finanzen zu Gunsten von abhängigen Reichsbehörden, abhängig von einem Parlament, in dessen Oberhaus von Rechts wegen, im Unterhause durch Einwirkung der Demokratie die preußischen Interessen in der Minorität sein würden.

      Der Entwurf vernichte das spezifische Preußentum und damit den stärksten Pfeiler deutscher Macht.

      Der königliche Kommissar (Radowitz) habe recht gehabt, als er sagte, der Entwurf sei von entgegengesetzten Seiten angegriffen worden. Der Entwurf gefalle niemandem, vielleicht mit Ausnahme derer, die an seiner Verfertigung Anteil gehabt hätten.

      Nach Beleuchtung einiger preußischer Eigenschaften und Verdienste schloß Bismarck mit den Worten:

      „Wir alle wollen, daß der preußische Adler seine Fittige von der Memel bis zum Donnersberge schützend und herrschend ausbreite, aber frei wollen wir ihn sehen, nicht gefesselt durch einen neuen Regensburger Reichstag und nicht gestutzt an den Flügeln von der gleichmachenden Heckenschere aus Frankfurt. …. Preußen sind wir und Preußen wollen wir bleiben; ich weiß, daß ich mit diesen Worten das Bekenntnis der preußischen Armee, das Bekenntnis der Mehrzahl meiner Landsleute ausspreche; und hoffe ich zu Gott, daß wir auch noch lange Preußen bleiben werden, wenn dieses Stück Papier vergessen sein wird wie ein dürres Herbstblatt.“

      Nach dieser eindrucksvollen Rede erhob sich Radowitz, um ruhig zu erklären, die Regierung wolle, da es sich um ein Vertrauensvotum handele, in die Debatte nicht eingreifen, sondern die Würdigung vieler unbegründeter und ungerechter Angriffe dem Hause und dem Lande überlassen.

      Am folgenden Tage wurden die Kommissionsbeschlüsse von einer großen Mehrheit angenommen. Der Berichterstatter Beckerath nannte in seinem Schlußwort Bismarck einen verlorenen Sohn Deutschlands. Dieses Gleichnis konnte Bismarck mit der Thatsache, daß er sein Vaterhaus nie verlassen hätte, leicht ablehnen; auch konnte er durch eine andere Bemerkung eine von Beckerath früher gegebene Blöße zu einem scherzhaften Angriff benutzen; aber mehr als drei Viertel aller Anwesenden stimmten schließlich gegen ihn.

      Mir gaben diese Tage ein unbegrenztes Vertrauen zu seiner Gewissenstreue. Die besondere Vorliebe des Königs für Radowitz und dessen Politik war bekannt. Trotzdem sah sich Bismarck durch sein politisches Gewissen genötigt, gegen den Mann des Tages schonungslose Angriffe zu richten.Den allen älteren Geschichtsfreunden sattsam bekannten Hauptinhalt der beiden Reden Bismarcks gegen die Entwürfe der Reichsverfassung und der Bundesstaats-Verfassung von 1849 habe ich hier wiedergegeben, um der minder kundigen Jugend das Geisteswunder vor Augen zu stellen, daß der entschiedenste Gegner der damaligen Einigungsbestrebungen im Laufe von kaum zwei Jahrzehnten sich zum Baumeister der Einheit Deutschlands entwickelt hat.

      1849 sagte er gelegentlich: „Was scheren mich die Kleinstaaten; mein ganzes Streben geht nur auf Sicherung und Erhöhung der preußischen Macht“; 1866 und 1867 aber hörte ich von demselben Manne mehrmals die Worte: „Mein höchster Ehrgeiz ist, die Deutschen zu einer Nation zu machen.“

      Im Winter 1849/60 erfüllte er seine Pflichten als Führer der äußersten Rechten, indem er zu jeder im Landtage erscheinenden Gesetzesvorlage öffentlich Stellung nahm. So hielt er eingehende Reden über einzelne Bestimmungen der damals zu revidierenden oktroyierten Verfassung, über die Verhältnisse des Handwerks, über Ablösung der Reallasten, Renten und Waldservituten, über die Civilehe, die Einkommensteuer, die Grundsteuerbefreiungen und den Militäretat.

      Mich interessierte am meisten seine gelegentliche Ausführung, daß das in andern Ländern geltende unbeschränkte Budgetrecht und das daraus zu folgernde Steuerverweigerungsrecht des Unterhauses für Preußen nicht passe, daß vielmehr zur Wahrung der Stellung des Königs notwendig sei, in der Verfassung die Bestimmung aufrechtzuerhalten, wonach bestehende Steuern bis zu ihrer gesetzlichen Aufhebung fortzuerheben sind.

      Bismarck vermochte zwar mit seiner Ansicht damals nicht durchzudringen, da die Majorität des Hauses an der englisch-französischen Doktrin festhielt; der von ihr gestrichene Satz aber wurde später wiederhergestellt (Art. 109). Derselbe hat bekanntlich in den sechziger Jahren möglich gemacht, die Armeereorganisation des Königs aufrechtzuerhalten.

      * * *

      Frau von Bismarck kam im Oktober nach Berlin und gestattete, daß ich ihr wöchentlich eine Klavierstunde gab. Ihre Studien wurden jedoch durch ein glückliches Familienereignis unterbrochen. Im Dezember 1849 erblickte ein Erbe das Licht der Welt, der jetzige Fürst Herbert. Frau von Puttkamer war von Reinfeld zur Wochenpflege nach Berlin gekommen und blieb dann bis zum Frühjahr dort.

      Eines Abends sprach sie im Familienkreise davon, daß man ihr erzählt habe, ihr Schwiegersohn tanze in jeder Gesellschaft alle Tänze „wie ein Fähnrich“.

      „Das ist meiner Gesundheit sehr zuträglich,“ sagte Bismarck, „da es mir jetzt bei Tage an Bewegung fehlt.“

      Frau von Puttkamer erwähnte scherzhaft, sie werde oft gefragt, ob er nicht ihre Tochter in die Gesellschaft einführen wolle.

      „Ich glaube,“ erwiderte er, „daß Johanna viel lieber abends zu Hause bei den Kindern bleibt. Im Gedränge unbekannter Leute würde sie sich nicht wohlfühlen. Um aber bekannt zu werden und sich nicht zu langweilen, müßte sie alles mitmachen und fast jeden Abend ausgehen. Dazu würden ungefähr 15 verschiedene Ballkleider gehören, wenn es nicht mitunter heißen soll: ‚Ach, die trägt heute wieder ihr Blaues.‘ Die Sache wäre also ziemlich umständlich.“

      „Fällt mir gar nicht ein,“ sagte Frau von Bismarck, „die Leute sind bloß neugierig, einmal die Frau des berühmten Mannes zu sehen. Aber, wer mich kennenlernen will, kann ja zu mir kommen.“

      * * *

      Im März trat das Erfurter Parlament zusammen.

      Bismarcks dortiges Auftreten gegen Radowitz war wieder ebenso entschieden als erfolglos. Sachsen und Hannover waren vom Bündnis zurückgetreten; von den beiden Hessen wurde das Gleiche erwartet. Dennoch bewilligte eine große, aus gemäßigt Liberalen bestehende Majorität den ganzen Verfassungsentwurf (jetzt nicht mehr Reichsverfassung, sondern Unionsverfassung genannt) in einer Abstimmung und vollendete sodann in wenigen Wochen die vom König gewünschte Revision einzelner Bestimmungen.

      In den folgenden Monaten, Mai bis November, erlitten wir schmerzliche Demütigungen.

      Zur Ausführung der in Erfurt beschlossenen Unionsverfassung konnte man sich nicht entschließen; aber ebenso wenig zu deren Aufhebung nach Manteuffels Antrage. Oesterreich berief den alten Bundestag nach Frankfurt und begann zu rüsten, wie auch Bayern und Württemberg.

      Auf Drängen des Kaisers Nikolaus wurde mit Dänemark Friede geschlossen unter Preisgebung der Elbherzogtümer.

      In Kurhessen traten wir für Herstellung des vom Ministerium Hassenpflug beseitigten Rechtszustandes ein und ließen im Norden des Landes Truppen einrücken, während zum Schutze der bestehenden Regierung bayerische Regimenter von Süden herankamen.

      Die