Begegnungen mit Bismarck. Robert von Keudell

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Название Begegnungen mit Bismarck
Автор произведения Robert von Keudell
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783806242683



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Führer der äußersten Rechten, Herrn von Kleist-Retzow, einem Stiefonkel der Frau von Bismarck. Nach der Versammlung, welcher ich als Gast beiwohnte, kamen die drei Herren in meine Wohnung, um Musik zu hören, und erzählten, daß Bismarcks in Schönhausen in glücklicher Zurückgezogenheit lebten.

      Der März des Jahres 1848 brachte die politischen Stürme, welche in Deutschland alle Ministerien wegfegten und manche Throne zu erschüttern schienen.

      Den in unklarer Gärung tobenden Berliner Volksmassen wurden feierliche Zugeständnisse gemacht, von denen ein Teil, einige Wochen früher dem Staatskörper eingeimpft, ihn vielleicht vor dem Ausbruch des importierten Revolutionsfiebers geschützt haben würde.

      Zur Feststellung des Wahlgesetzes für eine preußische Nationalversammlung berief der König noch einmal den „Vereinigten Landtag“.

      Damals befand ich mich infolge des Todes meiner Mutter einige Zeit in Königsberg und hörte dort manche Urteile liberaler Männer über Bismarck. Man war einig in der Anerkennung der würdigen Worte, mit denen er im Landtage seinem Schmerz über das Geschehene Ausdruck gegeben hatte. Lebhaften Beifall fanden in der Provinz auch seine Worte über eine Vorlage des Finanzministers Hansemann, welcher einen erheblichen Kredit zur Hebung von Handel und Industrie verlangt hatte. Bismarck vermißte darin irgendeine Berücksichtigung der Landwirtschaft und sagte, der Minister schiene die Dinge mehr „durch die Brille des Industrialismus“ zu sehen als mit dem klaren Auge des Staatsmannes, der alle Interessen des Landes mit gleicher Unparteilichkeit überblickt.

      * * *

      Im Juli 1848 hatte ich Gelegenheit, Herrn und Frau von Bismarck einmal, wenn auch nur flüchtig, zu sehen.

      Von der Frankfurter Nationalversammlung war angeregt worden, für Gründung einer deutschen Flotte in Privatkreisen zu sammeln. Dieser Zweck begeisterte mich und zwei andere junge Leute zu dem harmlosen Unternehmen, mitten im Sommer vier kleine Städte (Köslin, Colberg, Rügenwalde und Stolp) mit Konzerten heimzusuchen. Den Ertrag derselben (im Ganzen 207 Thaler) erhielt das Stettiner Flottenkomitee.

      Zu dem Stolper Konzert, welches an einem heißen Nachmittage stattfand, kamen Bismarcks aus dem nahe gelegenen Seebade Stolpmünde herüber. Ich erschrak, als ich ihn sah. Kummervoller Ernst auf seinen gefurchten Zügen, das Haupthaar gelichtet; er schien seit unserm Zusammensein bei Kisting um viele Jahre gealtert. Ich hatte erfahren, daß er nur neun Jahre älter war als ich; doch schien es mir jetzt, als läge ein volles Menschenalter zwischen uns.

      Nach dem Konzert sagte er mit kühler Höflichkeit: „es war schon heiß genug, aber Sie haben es uns doch noch heißer gemacht“. Dann fuhren die Stolpmünder Gäste zum Seestrande zurück, ich zu Verwandten aufs Land.

      Anfang 1849 ging ich nach Berlin, um beim Kammergericht zu arbeiten. Bismarck hatte weder für die Berliner noch für die Frankfurter Nationalversammlung kandidiert, wurde aber nach Oktroyierung der preußischen Verfassung in die zweite Kammer gewählt und kam im März mit Familie nach Berlin.

      Ich schrieb der bereits erwähnten, mit Frau von Bismarck befreundeten Cousine, ich würde die Familie wohl nicht sehen, wenn nicht Herr von Bismarck mir durch einen Besuch zu erkennen gäbe, daß ihm der Verkehr mit mir nicht unerwünscht wäre; denn ich wolle den Schein vermeiden, mich an einen einflußreichen Mann heranzudrängen.

      Der Größe dieser Prätension war ich mir nicht bewußt. Daß man durch Kartenschicken einen Besuch abmachen könnte, war mir, wie wohl vielen damaligen Berlinern, noch unbekannt; sonst hätte ich natürlich nichts begehrt als den Besitz einer Visitenkarte.

      Ich erfuhr nicht, ob die Cousine meine Mitteilung weitergegeben hatte; nach einiger Zeit aber kam Bismarck zu Fuß nach meiner Wohnung, die in einem der letzten Häuser der Linkstraße lag, wo damals die Stadt aufhörte. Er fand dort zwei meiner Freunde, die auf meine Rückkehr von einem Spaziergange warteten. Sie luden ihn zum Rauchen ein; er verweilte einige Zeit und sprach mit diesen Unbekannten offenherzig über die politische Lage. Unter anderem sagte er: „Einstweilen muß es uns noch viel schlechter gehen; erst nach zwei oder drei Jahren wird man Leute wie Kleist-Retzow und mich im Staatsdienste verwenden können.“

      Diese Worte kamen mir ins Gedächtnis, als zwei Jahre später Kleist für Koblenz, Bismarck für Frankfurt ernannt wurde.

      Im Frühjahr 1849 wohnte die Familie in einem Eckhaus der Wilhelmsund Behrenstraße. Herr und Frau von Bismarck empfingen mich in freundschaftlicher Weise und luden mich ein, sooft ich Zeit hätte, in der ersten Abendstunde, nämlich vor dem Beginn der Fraktionssitzungen des Abgeordnetenhauses, zu kommen. Ich benutzte diese Erlaubnis gewöhnlich einmal in der Woche und hörte fast jedes Mal irgendeine bedeutsame Aeußerung. In dem geräumigen Wohnzimmer stand ein Pianino. Wenn Zeit und Stimmung für Musik vorhanden war, wünschte er nur leidenschaftlich aufgeregte Stücke. Ruhige oder heitere Musik nannte er „vormärzlich“.

      * * *

      Die trotz des Belagerungszustandes in einigen öffentlichen Lokalen stattgehabten Märzfeiern gaben Bismarck Gelegenheit zu einer höhnischen Herausforderung der äußersten Linken.

      Am 21. März sagte er in einer Rede über den Belagerungszustand: „Es wird von jener Seite des Hauses (der linken) jetzt behauptet, daß der Geist des Aufruhrs gänzlich geschwunden sei. Jedoch die Vorgänge am 18. März d. J. sind keineswegs geeignet, diese Behauptung zu bestätigen.

      „Noch weniger sind die Lieder, die zur Feier des 18. März in Gesellschaften gesungen werden, beruhigender Natur. Mir sind zufällig einige der Art in die Hände geraten.

      „In einem dieser Lieder werden die Anhänger der Freiheit zu einem tödlichen Kampfe aufgerufen; sie werden aufgerufen, sich unter dem blutroten Banner, dessen Bedeutung wir kennen, zu versammeln. Dieses Banner soll nun gefärbt werden mit Blut, nachdem das Gold der Freiheit daraus gestohlen, das Schwarz hinausgeworfen sei. Es heißt dann:

      Wir färben echt,

      Wir färben gut,

      Wir färben mit Tyrannenblut!

      „Ich möchte an die Versammlung die Frage richten, ob vielleicht in unserer Mitte sich Herren befinden, welche Gesellschaften, wo Lieder dieser Art gesungen, für welche sie ausdrücklich gedichtet worden, beigewohnt haben, und ob sie uns vielleicht Auskunft darüber geben könnten, welches die Tyrannen sind, mit deren Blut gefärbt werden soll. Eine Gesellschaft derart war z. B. im Café de l’Europe. (Zischen links, Bravo rechts. Eine Stimme: singen.)

      „Ich weiß, meine Herren auf dieser Seite, daß Sie andrer Ansicht sind wie ich. Es war auch keineswegs meine Absicht, Ihre Ansicht auszusprechen, sondern die meinige. Ich bin nicht hierhergeschickt, Ihre Meinung auszusprechen. Ihre Zeichen, Ihre Unterbrechungen werden nur die Diskussion aufhalten. Wer seine Ansicht mit anderen Waffen, als denen des Geistes verteidigt, von dem muß ich voraussetzen, daß ihm die Waffen des Geistes ausgegangen sind. Wer noch Gründe des Verstandes vorrätig hat, von dem erwarte ich, daß er sie nach mir anwenden wird. Zischen und Geschrei von Singen gehört nicht hierher. Wer das Lied nachher singen will, für den werde ich es hier deponieren.

      „Also ich habe auf meine Frage keine Antwort schalten und gehe daher über sie hinweg.“

      Der kleine Kreis von gemäßigt liberalen Juristen und Literaten, in dem ich damals verkehrte, war entzückt über die Art, wie Bismarck die Waldeck, d’Ester und andere Teilnehmer jener Märzfeier an die Wand gedrückt hatte. Man nannte ihn zwar oft einen Reaktionär, bewunderte ihn aber als einen „höllischen Kerl“.

      In jener Zeit wurde in der Frankfurter Paulskirche durch Kompromisse der gagernschen Partei mit der äußersten Linken die Reichsverfassung mit einer Majorität von vier Stimmen zustande gebracht. Eine Deputation der Nationalversammlung kam nach Berlin, um dem König die deutsche Kaiserkrone anzubieten.

      Die große Mehrzahl aller jungen Leute wie auch der zünftigen Politiker wünschte in glücklicher Sorglosigkeit, daß diese Gelegenheit zur Einigung der deutschen Stämme unter Preußens Führung nicht ungenutzt vorübergehen möchte. Die Erwägung der äußeren politischen Verhältnisse kam den meisten gar nicht in den Sinn. Daß die Annahme der Reichsverfassung in irgendeiner Form zu Kriegen