Chinesische Medizin 1. Michael Kotsch

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Название Chinesische Medizin 1
Автор произведения Michael Kotsch
Жанр Религия: прочее
Серия
Издательство Религия: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783869549514



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In der Theorie führt er Krankheit und Heilung auf einen dreiteiligen yin und yang Zyklus zurück: junges yang, mächtiges yang, überstrahlendes yang, junges yin, mächtiges yin und weiches yin.

      Dem Arzt Hua Tuo werden in der Überlieferung übermenschliche Fähigkeiten zugeschrieben. Verschiedene Legenden beschreiben sein Wirken, bei dem er auch zu ungewöhnlichen Mitteln greift. Ein erkrankter Distriktpräfekt könne nach seiner Diagnose nur durch einen starken Zornausbruch geheilt werden. Also vernachlässigte Hua Tuo seinen Patienten auffällig, verlangte ein maßloses Honorar und reiste schließlich, einen groben Brief zurücklassend, ab. Der in Zorn geratene Präfekt versuchte erfolglos den Arzt gefangenzusetzen, erbrach sich und genas. Er empfahl wie Priessnitz und Kneipp die Anwendung kalten Wassers und befürwortete regelmäßige Gymnastik: Jeder Mensch hat das Verlangen, sich Bewegung zu verschaffen, nur erreichen die meisten darin nicht die Vollkommenheit. Wenn man sich bewegt, kann die mit der Nahrung aufgenommene Energie verbraucht werden, zirkulieren die pulsierenden Säfte unbehindert, und Krankheit kann nicht entstehen. Es ist dabei wie mit der Türangel, die niemals rostet. Deshalb haben die Unsterblichen des Altertums die Übungen des Dehnens und Streckens… um das Altern hintanzuhalten. Auch ich habe eine Methode, die ich die Spiele der Fünf Tiere, nämlich des Tigers, des Hirsches, des Bären, des Affen und des Vogels nenne. Damit lassen sich nicht nur bestimmte Krankheiten heilen; man erreicht überhaupt eine größere Beweglichkeit …”16 Bis heute werden die aus diesen Anfängen entwickelten Übungen unter dem Namen Tai Chi angewandt. Im Gegensatz zu den meisten chinesischen Ärzten, die vor einem Eingriff in den menschlichen Körper zurückscheuten, führte Hua Tuo auch chirurgische Behandlungen durch, bei denen er die Patienten mit einem Absud von Hanf, Akonit und Ephedra (Meertäubchen) in einer alkoholischen Lösung ruhig stellte.17 Wichtig ist zu bemerken, dass er bei der Schmerzbekämpfung nicht auf die Akupunktur, sondern auf Drogen zurückgriff. Unter dieser Anästhesie soll Hua Tuo Knochenoperationen, Trepanationen und spezielle Magen- und Darmoperationen durchgeführt haben. Die Operationswunden pflegte er mit einer speziellen Paste zu bedecken, sodass sie nach vier bis fünf Tagen verklebt waren.

      Durch die Zurückdrängung der konfuzianistischen Staatsdoktrin zugunsten des Buddhismus wird die empirische Forschung und die weitere medizinische Systematisierung vorangebracht. Einzelne, nun mögliche Autopsien an Hingerichteten erweitern das anatomische Wissen, was dazu führt, auch anatomische Aspekte bei der Festlegung der Akupunkturpunkte einzubezie-hen. Auf anatomisch korrekten bronzenen Menschenfiguren und farbigen Übersichtstafeln werden die Akupunkturpunkte zu Lehrzwecken fixiert.

      Auf kaiserlichen Befehl stellte ein Ärztegremium unter Chao Yuanfang eine in 50 Kapitel unterteilte medizinische Enzyklopädie mit dem Namen „Abhandlung über den Ursprung und Verlauf aller Krankheiten” (Zhubing yuanhoulun) zusammen, in dem Diagnose, Prognose und Behandlungsmöglichkeiten für 1720 Krankheitsbilder gesammelt waren.

      Um 650 verfasste Sun Simo die „Wichtigsten Rezepte, die tausend Goldstücke wert sind” (Quianjin yaofang). Darin setzt er sich mit der Ausbildung des Arztes, seinem Berufsethos und der Forderung nach seiner Lauterkeit auseinander. Daran schließen sich Grundregeln der Therapie und Diagnostik, sowie Hinweise über Rezeptur und Arzneimittelherstellung (863 verschiedene Pharmaka) an. In 29 weiteren Hauptteilen widmet er sich der orbisbezogenen Diagnose und Therapie, der Frauenheilkunde, Erkrankungen der Zähne, der Augen und der Ohren, ferner der Notfallmedizin (über Ohnmachten, Schlangenbisse und Verbrennungen), Hygiene, gesunder Ernährung, Massagen, Gymnastik, Wohnverhältnissen und Sexualhygiene, aber auch typisch chinesischen Aspekten wie der Pulsdiagnose, der Akupunktur, der Lenkung des Qi und Atemübungen. Dazu kommen auch esoterische Spekulationen über die Bedeutung der Zeitpunkte einer Erkrankung und magische Mittel und Riten zur Krankheitsbekämpfung.

      In dieser Blütezeit der chinesischen Kultur wurde medizinische Forschung und Bildung stark gefördert: 1078 wurde das Große Medizinamt als eigenständige Organisation gegründet, eine staatliche Ärzteschule mit 300 Studienplätzen wurde eingerichtet, medizinische Literatur wurde herausgegeben und gedruckt, Rezeptsammlungen veröffentlicht, Apotheken eingerichtet und Ärzteschulen in den Provinzhauptstädten eröffnet. Trotz diesen Bemühungen waren die meisten Ärzte dieser Zeit freischaffende Künstler, die ohne feste Ausbildung mit einem Gemisch aus echtem medizinischen Wissen, Aberglauben, Okkultismus und eindrücklichen Beschwörungen ihre Dienste der Bevölkerung anboten. Die Blüte der öffentlichen medizinischen Forschung ging durch den starken konfuzianistischen Einfluss ebenfalls bald vorüber. Statt empirischer Beobachtungen beschäftigten sich die Gelehrten mit spekulativen Überlegungen, die sich insbesondere um die Harmonisierung verschiedener Zahlen, Mengen, Zeiten und Räume drehte. Dabei stützte man sich fast ausschließlich auf die schon vorhandenen medizinischen Werke, die mit mythologischen Überlieferungen vermischt wurden.

      Jetzt beginnt die traditionelle chinesische Pharmakologie, Akupunktur und Moxibustion zu verdrängen. Als Reaktion darauf kommt es unter den chinesischen Akupunkturärzten zu einer Neuordnung der Akupunkturpunkte nach den Kriterien der Syndromdifferenzierung. Durch diese Akzentverschiebung von einer spekulativen theoriegebundenen Akupunktur zur stärkeren Berücksichtigung des Krankheitssyndroms kommt es zu einem neuen Vertrauen in diese Therapie.

      Nur noch in der Pharmazie wurden weitere Fortschritte erreicht. Im 12.Jahrhundert beschrieb Tang Sheweni in seiner „Systematischen Pharmoköe” 1740 Heilmittel, im 15.Jahrhundert nennt Li Shizhen 1892 Drogen, von denen er einige erst selbst entdeckte und Rezepte für die klinische Anwendung beifügte, im 18.Jahrhundert erweiterte Zhao Xuemin die Zahl der angewandten Heilmittel auf 2608. Neben pflanzlichen und mineralischen Präparaten mit nachvollziehbarer oder zumindest denkbarer Wirkung befinden sich darunter aber auch zahlreiche eher magisch wirkende Stoffe wie Tigerhoden, Tierzähne oder Kot.

      Den auch in China zahlreiche Menschen dahinraffenden Infektionskrankheiten konnte die auf Vorsorge und energetische Harmonie ausgerichtete Medizin nicht helfen, sodass die exakte westliche Medizin in den vergangenen zwei Jahrhunderten sich ohne großen Widerstand gegen die traditionelle chinesische Medizin durchsetzen konnte. Als Reaktion auf den Erfolg der westlichen Medizin wurde 1822 die Abteilung für Akupunktur und Moxibustion der Kaiserlichen Medizinischen Hochschule geschlossen. 1914 wurden in China dann gar Überlegungen zur endgültigen Beseitigung der einheimischen Medizin angestellt. Ein offizieller politischer Antrag wurde 1929 nur knapp abgelehnt und erst Mao Zedong vermochte einen Umschwung herbeizuführen, der traditionelle chinesische Medizin gleichrangig neben der westlichen Medizin etablieren sollte.

      Durch die Machtergreifung Mao Zedongs und die sich anschließende Kulturrevolution kam es zu einer Neubesinnung auf chinesische Traditionen, kulturelle und wissenschaftliche Leistungen. Durch die gleichzeitigen Bestrebungen, soziale und medizinische Verbesserungen voranzutreiben sowie dem westlichen Kapitalismus ein eigenes Gesellschaftsmodell gegenüberzustellen, kam es zu einer bewussten Förderung der TCM.

      In den Städten wurden Akademien und Krankenhäuser für traditionelle Medizin eingerichtet und ab 1954 wurde alle erreichbare Literatur gesammelt und in sorgfältig editierten Ausgaben neu gedruckt. 1958 beschloss die kommunistische Partei zwei gleichberechtigte, offiziell anerkannte, medizinische Ausbildungen nebeneinander anzubieten und in allen