Die Charismatische Bewegung 2. Michael Kotsch

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Название Die Charismatische Bewegung 2
Автор произведения Michael Kotsch
Жанр Религия: прочее
Серия
Издательство Религия: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783869549576



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man Gott in Frage stellen.“76 Wahrheiten, die von außerhalb der Gruppe stammen werden ignoriert oder lächerlich gemacht. Dadurch will der Leitende eine ernsthafte Auseinandersetzung mit abweichenden Auffassungen verhindern, die das eigene System gefährden könnten.

      7. Reicht diese Art der Disziplinierung nicht aus, kann das Mitglied öffentlich gedemütigt werden um ein der Gruppe angepasstes Verhalten zu erreichen. Der Druck Gleichgesinnter soll den Wiederstand des Betreffenden brechen. Oftmals wird Kritik an Leitenden auch als Problem des Kritisierenden umgedeutet. Der Arme habe etwas nicht ganz verstanden oder handle lediglich aus eigensüchtigen bzw. ungeistlichen Gründen. Gelegentlich wird dann sogar damit gedroht, dass Gott den Kritiker strafen werde, wenn dieser seine Vorwürfe nicht unverzüglich zurücknähme.77

      8. „In einem System, das geistlichen Missbrauch betreibt, sind die Menschen der Meinung, dass sie auf sich allein gestellt kaum oder gar nicht in der Lage sind, Gottes Wort zu verstehen. … die Bibel ist für sie … ein Buch, das uns Techniken an die Hand gibt, wie wir uns richtig verhalten sollen, damit Gott uns segnen kann.“78 Zu diesem Zweck wird die in christlichen Kreisen hoch geschätzte Bibel häufig zitiert, ohne allerdings die eigene Prüfung der Zuhörer anzuregen, da diese vorgeblich über zu wenig theologisches Wissen oder zu wenig Geistesfülle verfügen. Der ursprüngliche, historische Zusammenhang der Bibelstelle wird dabei zumeist ignoriert, um diese besser in das eigene Denksystem einzubauen. Manchmal begründen Leitende ihre Ansicht auch einfach mit einer göttlichen Offenbarung, der fraglos zu glauben sei.

      9. Leiter, die geistlichen Missbrauch betreiben berufen sich gerne auf ihre vorgeblich von Gott erhaltene Stellung als Pastor, Prophet oder Apostel. In dieser Stellung meinen sie den Beurteilungsmaßstäben normaler Menschen entzogen zu sein. Weder lässt sich ihr Verhalten an dem anderer Personen vergleichen, noch könnten ihre Aussagen von irgendeiner irdischen Instanz in Frage gestellt werden.79

      10. Leiter, die geistlichen Missbrauch betreiben heben zumeist ihre eigene Stellung überproportional hervor. Sie stellen ihre Titel und ihre Leistungen besonders heraus. Sie werben auffällig damit, wie viele Menschen sie bekehrt, geheilt, befreit haben, in welch innigem Kontakt sie zu Gott stehen, wie Erfolgreich sie sind usw. Dadurch soll ihre Autorität gestärkt werden, sodass inhaltliche Ungereimtheiten weniger auffallen. Sie bauen darauf, dass niemand die Ausführungen eines Professors, Propheten oder Apostels in Frage stellt. Um das eigene Image zu heben wird das eigene Auftreten zumeist durch Kleidung, Musik, Ankündigungen speziell arrangiert und inszeniert.80

      11. In einem System, das geistlichen Missbrauch betreibt, wird Menschen für ihre Anpassung und ihren Gehorsam eine außergewöhnliche Belohnung versprochen. Wer fraglos denkt und lebt wie der Leitende es fordert, wird besondere Erfahrungen mit Gott machen, er wird immer gesund und wohlhaben sein, Wunder und die persönliche Begegnung mit Gott gehören zu seinem Alltag. Das Nichterleben dieser Verheißungen wird zumeist mit mangelnder Ernsthaftigkeit oder mangelnder Überzeugung erklärt. Eine noch stärkere Befolgung der Anweisungen des Leiters würde zu einem sicheren Erfolg führen.

       1.5.2. Reden in der Autorität Gottes

      Zahlreiche charismatische Leiter wählen für ihre Predigten ähnliche Formulierungen wie biblische Propheten. Sie erwecken den Eindruck, als ob Gott sie regelmäßig zu einer persönlichen Unterredung empfange. In Ihren Predigten und Publikationen zitieren sie Aussagen, die Gott ihnen gegenüber geäußert haben soll: „Gott sprach zu mir …“ oder „Gott: Mein liebes Kind ich sage dir …“ Der größte Teil von Colin Urquharts Buch Mein Lieber Sohn. Eine persönliche Offenbarung über Jesus Christus ist beispielsweise in dieser Form abgefasst. „Leider glauben nicht alle meine Kinder, dass ich sie heilen will. Einige behaupten sogar, ich möchte, dass sie krank sind … Wieder andere glauben, ich benutze Krankheiten dazu, meine Kinder zu läutern und zu erziehen. Was für ein Vater wäre ich denn dann? … Halte unbeirrbar daran fest, dass ich meine Kinder heilen will.“81 „Kind, ich gebe heute meinen Jüngern dieselbe Vollmacht, denn es ist dasselbe Evangelium, das sie verkündigen. Alle, die in meinem Namen gesandt werden, erhalten den Auftrag, das Reich Gottes im Wort und in der Kraft zu verkündigen. … Es macht mich traurig, mein Kind, einige sagen zu hören, sie seien damit zufrieden, das Evangelium ohne Zeichen und Wunder zu predigen.“82

      „Mein Geist ist auf dir, so wie er auf ihm [Jesus] war, um dich fähig zu machen, das zu tun was ich sage. … Ich möchte, dass du verstehst mein Kind: Auch an dir soll man sehen, dass du … in großer Kraft die Vollmacht ausübst, die ich dir gegeben habe. … Stehe gegen die Mächte der Finsternis auf, die über dein Land herrschen wollen. Erlaube ihnen nicht, dass sie ihren Willen bekommen. … Du bist Teil einer Armee von Gläubigen, die gemeinsam dafür sorgen sollen, dass ihr Land aus der Gewalt des Feindes befreit wird.“83 Hier spricht sich nicht mehr Urquart sondern Gott für die, selbst in der Charismatischen Bewegung, höchst umstrittenen Thesen genereller Heilung, von Power Evangelism und Geistlicher Kampfführung aus.

      Auf diese Weise nehmen Pastoren für ihre Aussagen göttliche Autorität in Anspruch. Dadurch setzten sie ihre Leser und Zuhörer unter Druck, da diese eigentlich verpflichtet sind alles fest zu glauben, was von diesen Autoren vorgetragen wird, da es letztlich von Gott selbst stammen soll. Schnell münden diese Reden im Namen Gottes in Machtmissbrauch. Immer wieder werden eigene Meinungen und Auslegungen als Reden Gottes deklariert, um sie so unangreifbar zu machen. Jede kritische Rückfrage oder anderslautende Meinung wird damit zum direkten Angriff gegen Gott, der allein den Redner autorisiert.

      Bei näherer Nachfrage ergibt sich recht schnell, dass diese charismatischen Redner Gottes Stimme ebenso wenig akustisch wahrnehmbar gehört haben wie die meisten ihrer Zuhörer. Innere Ahnungen, persönliche Gewissheiten und feste Überzeugungen werden als Reden Gottes interpretiert. Durch diese Vorgehensweise werden eigene Thesen nicht nur der gemeindlichen Prüfung entzogen, gleichzeitig wird die biblische Prophetie entwertet, da sie nur noch auf einer Ebene neben zahlreichen heute erhältlichen Offenbarungen steht. Gleichermaßen erheben beide den gleichen Anspruch, von Gott eingegeben zu sein. Wird die Erfahrung gemacht, dass der charismatische Autor sich irrt, obwohl er Gott gehört hat, ist man sich auch der biblischen Schreiber nicht mehr so sicher.

       1.5.3. Umgang mit Kritik

      Zahlreiche charismatische Leiter sehen sich und ihren Dienst jenseits jeder Kritik. Ihre Autorität geht direkt auf Gott zurück und ist somit unhinterfragbar. Wer anderer Auffassung ist, muss sich nach diesem Denkmodell auch im Gegensatz zu Gott selbst befinden. Kritik an seinen Überzeugungen und seiner Prophetie lässt der charismatische Evangelist Francis Frangipane nicht zu. Felsenfest ist er von der Wahrheit seiner Ideen überzeugt. Wer es wagt hier Kritik zu üben, sogar wenn sie zutreffend ist, muss folglich von Dämonen besessen sein. „Im Rahmen seiner Anstrengungen, den nächsten Schritt Gottes zu behindern bzw. ganz aufzuhalten, hat Satan eine Armee kritiksüchtiger Dämonen auf die Gemeinde gehetzt. … In der Verkleidung der Unterscheidungsfähigkeit wird sich dieser Geist in unsere Meinung über andere Menschen einschleichen, was zur Folge hat, dass wir kritisch werden und andere richten. … Der Dämon der Kritiksucht wird einzelne dazu anstacheln, Tage, ja sogar Wochen damit zu verbringen, alte Fehler oder Sünden ihres Leiters oder ihrer Gemeinde auszugraben. … Dass jemand die Unvollkommenheit seines Pastors … entdeckt, ist gewiss kein Zeichen geistlicher Reife. … Fast alle die darin verwickelt sind, wenden ihren Blick von Jesus ab und konzentrieren sich auf Sachfragen …”84 In einem ganzen Kapitel das Frangipane der Kritik an der Kritik widmet findet sich kein Hinweis auf möglicherweise gerechtfertigte Kritik, die Notwendigkeit auch Sachfragen oder theologische Überzeugungen zu rechtfertigen. Stattdessen werden ständig wieder die verheerenden Gefahren der Kritik heraufbeschworen. Da Kritik wie auch der Kritiker zweifelsfrei vom Satan bestimmt sind, fordert Frangipane dazu auf, die Gemeinschaft solcher Menschen zu meiden und hält es für überflüssig sich den inhaltlichen Fragen der