Talitha Running Horse. Antje Babendererde

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Название Talitha Running Horse
Автор произведения Antje Babendererde
Жанр Учебная литература
Серия
Издательство Учебная литература
Год выпуска 0
isbn 9783401802954



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meine Tränen und lief zurück zu meinem Vater. Marlin und Tante Charlene waren zum Glück nicht mehr bei ihm.

      »Wo ist Neil?«, fragte er.

      »Er wollte nicht mit mir reden.«

      Dad nickte, als könne er das gut verstehen. »Hast du Hunger?«

      »Hm«, antwortete ich.

      Wir gingen zum Hotdog-Stand und Dad kaufte sich eine Pappschale mit frittierten Zwiebelringen. Ich bekam ein Hotdog und eine Cola. Wir setzten uns nebeneinander auf eine Bank an einen der Tische. »Was war denn nun der Grund für die Prügelei?«, fragte mein Vater kauend.

      »Marlin hat mich mal wieder als Halbblut beschimpft«, antwortete ich. »Er hat gesagt, ich dürfe an den Wettkämpfen nicht teilnehmen, weil ich gar keine richtige Indianerin bin.«

      Dad legte seinen Arm um meine Schulter und drückte mich an sich. »Du bist eine Lakota, Tally. Und lass dir von niemandem etwas anderes einreden. Du bist das, was dein Herz dir sagt. Ich bin so froh, dass deine Mutter es sich damals anders überlegt hat und dich bei mir gelassen hat. Du hättest mir sonst ein Leben lang gefehlt.«

      Ich presste meine Nase an seine Schulter und versuchte die Tränen zurückzukämpfen, die mir erneut in die Augen traten.

      »Hat Neil dich verteidigt?«, fragte Dad schließlich. »Haben sich die beiden deshalb geprügelt?«

      »Ja«, sagte ich. »Er hat Marlin gesagt, dass er mich in Ruhe lassen soll. Aber das war es nicht, was ihn so aufgebracht hat. Marlin hat Sachen zu Neil gesagt, die ihn dann erst richtig wütend gemacht haben.«

      »Was hat er denn gesagt?« Mein Vater hörte auf, seine Zwiebelringe zu knuspern, und sah mich an.

      »Er hat zu Neil gesagt, alle Red Clouds wären Schmarotzer. Blanket Indians und Hang around the Forts.«

      »Übel«, sagte Dad, schloss die Augen und blies nachdenklich Luft durch die Zähne. Dann aß er weiter.

      »Aber Neil heißt doch Thunderhawk und nicht Red Cloud«, sagte ich und stibitzte einen von seinen Zwiebelringen.

      »Das stimmt. Aber seine Mutter Della ist eine geborene Red Cloud. Bevor sie in das rote Haus zogen, hat die Familie in Pine Ridge gewohnt.«

      »Na und?« Jedes Kind im Reservat wusste, wer Häuptling Red Cloud war und dass er viele Nachfahren hatte. Auch an meiner Schule gab es einige. Red Cloud hatte sich den Häuptlingstitel als tapferer Krieger in vielen Schlachten erkämpft. Von einem Kriegszug gegen die Cheyenne soll er durchbohrt von einem Pfeil zurückgekehrt sein und die schwere Verletzung überlebt haben. Ich konnte mir nicht vorstellen, was es für einen Grund geben könnte, seinen Namen zu verunglimpfen.

      »Das ist eine lange Geschichte«, sagte mein Vater und wischte sich mit einer Serviette das Fett von den Fingern.

      »Ich will sie hören«, erklärte ich. Die Trommeln hatten wieder eingesetzt, und auf dem beleuchteten Tanzplatz sah ich die Grastänzer in ihren farbenprächtigen Tanzkleidern mit den langen bunten Wollfransen. Aber im Augenblick interessierte mich viel mehr, was Neil Thunderhawk so wütend gemacht hatte.

      »Na gut«, sagte mein Vater. »Dann will ich sie dir erzählen. Aber lass uns dazu lieber nach Hause fahren, damit ich nicht auch noch eins auf die Nase kriege.« Ich sah ihn entgeistert an und er zwinkerte mir lächelnd zu.

      Wir verließen den Powwow-Grund, stiegen in unseren Pick-up und machten uns auf den Weg nach Hause. Auf der Fahrt erzählte mir Dad von Häuptling Red Cloud, der ein gefürchteter Krieger gewesen war, aber einer, der den Krieg nicht liebte.

      »Er wollte Frieden«, sagte er, »doch nicht ohne Gerechtigkeit für sein Volk. Deshalb machte sich im Juni 1866 eine Indianerdelegation unter Red Clouds Führung auf den Weg nach Fort Laramie, um mit den Weißen zu verhandeln. Aber noch während der Gespräche musste der Häuptling erkennen, dass die Verträge, die er unterzeichnen sollte, nichts wert waren, weil sie schon im selben Augenblick von den Weißen gebrochen wurden. Der Häuptling war sehr wütend darüber und drohte mit Vergeltung.

      Er kämpfte erneut, fest entschlossen, die Eindringlinge auf unserem Land in die Schranken zu weisen. Aber auch wenn er einige bedeutende Siege errang, so merkte er doch bald, dass der Krieg sein Volk schwächte und die Weißen trotzdem immer mehr wurden. Deshalb kam er zwei Jahre später wieder nach Fort Laramie und diesmal unterzeichnete er den Friedensvertrag.«

      Dad bremste, weil ein Tier über die Straße lief. Ein Kojote wahrscheinlich. Seine Augen leuchteten im Licht der Scheinwerfer.

      »Manchmal werden Red Clouds Nachfahren deshalb heute noch als Treaty Signers beschimpft«, fuhr er fort und trat aufs Gaspedal. »Solltest du das irgendwo mal hören, dann weißt du, was es bedeutet.«

      Ich nickte. All das hatte ich schon in der Schule gehört, aber nicht so, wie mein Vater es mir gerade erzählt hatte. Konnte es sein, dass unsere Geschichte für jeden im Reservat eine andere Wahrheit in sich barg? Dass die Einstellung jedes Einzelnen zur Vergangenheit unseres Volkes davon abhing, wessen Namen er trug?

      So ist es heute noch, dachte ich.

      »Es gab ständig Ärger im Reservat«, fuhr mein Vater fort. »Auf der einen Seite mit dem weißen Indianerbeauftragten, auf der anderen mit den so genannten Freien. Ihr Anführer war Crazy Horse, der sich selbst nie, auch nicht im härtesten Winter dazu herabließ, in die Agentur zu kommen.«

      Ja, das wusste ich. Aus diesem Grund war Crazy Horse für uns Lakota ein großer Held. Sogar andere Indianerstämme verehrten ihn. Er war das Symbol für Freiheit und ungebrochenen Widerstand. Es gab kein Bild von ihm, weil er sich niemals hatte malen oder fotografieren lassen, doch man erzählte, dass er gelocktes Haar gehabt hätte. Das tröstete mich, wenn meine eigenen Locken mich besonders störten.

      Dad war an der Kreuzung von Sharps Corner angelangt und bog nach links ab. Er sagte: »Red Cloud lebte mit seiner Familie in der Nähe der Agentur, wo er annahm, was dort an Lebensmitteln und Lebensnotwendigem ausgegeben wurde. Almosen waren es, Tally. Unter anderem auch warme Decken für den Winter. Daher kommt das Schimpfwort Blanket Indians

      »Und was bedeutet: Hang around the Forts?«, fragte ich.

      »So ungefähr dasselbe. Die Leute, die mit Red Cloud gegangen waren, kümmerten sich nicht mehr darum, wie sie aus eigener Kraft überleben konnten. Vielleicht hatten sie auch einfach keine Kraft mehr. Sie blieben in der Nähe der Agentur, wo regelmäßig die Lebensmittelrationen ausgeteilt wurden. Deshalb Hang around the Forts.«

      »Aber das ist alles über hundert Jahre her.«

      »Ja«, sagte mein Vater.

      Ich sah ihn ungläubig an, weil mir das nicht in den Kopf wollte. »Es ist mehr als hundert Jahre her, und noch heute werden Nachfahren von Red Cloud als Blanket Indians, Treaty Signers und Hang around the Forts beschimpft?«

      Dad zuckte die Achseln. »Für dich sind hundert Jahre eine lange Zeit, Braveheart. Aber viele im Reservat haben das Gefühl, als wäre das alles erst gestern gewesen. Sie wollen sich nicht damit abfinden, dass die Black Hills uns nicht mehr gehören, dass wir dort nicht mehr jagen und frei herumziehen dürfen. Sie sind wütend auf die Weißen und halten Häuptling Red Cloud für einen Verräter, weil er diesen Vertrag unterzeichnet hat und aufgehört hat, gegen sie zu kämpfen.« Ich sackte in mich zusammen. Das war ja schrecklich.