Название | Thriller-Paket 11 Krimis Juni 2020 Sammelband 11002 |
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Автор произведения | A. F. Morland |
Жанр | Зарубежные детективы |
Серия | |
Издательство | Зарубежные детективы |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783745212617 |
Es knackte in der Leitung. Eine Männerstimme sagte: »Waldmüller hier.«
»Abel.«
»Endlich«, man konnte die Erleichterung des Mannes hören als er ausatmete. »Ich war schon drauf und dran, beim Notdienst anzurufen.«
»Der ist nur für Strafsachen«, sagte Abel nüchtern. Der Hund bellte weiter. Der Kater war nicht mehr zu sehen.
»Kann ich vorbeikommen?«, fragte die Männerstimme.
Abel nickte und antwortete: »Wenn Sie sich nicht an der Unordnung auf dem Schreibtisch stören.« Waldmüllers Probleme waren anderer Natur. Abel legte auf und ging den Hund und den Koffer holen.
»Jetzt ist Schluss mit dem Schlendrian und dem Rumgetreibe«, sagte er zu Paul Schmitz, scheuchte ihn auf die Straße und lächelte in sich hinein. Der Hund ging zur Wand und hob sein Bein, und sein Herr schaffte das Gepäck in die Küche. Er öffnete die Tür, damit der Mief von anderthalb Wochen rausziehen konnte. Hinter der ehemaligen Papierhandlung, wo Abels Kanzlei untergebracht war, breitete sich ein wild zugewachsener Hof aus, Brutstätte für Stechmücken und Oase mitten in Lehel. Abel schnüffelte ein wenig Hinterhofluft, hörte, wie ein Paar lautstark auf einem Balkon stritt, den man halb einsehen konnte. Abel ging in die Kanzlei zurück und setzte sich an seinen Schreibtisch. Die Deckenbeleuchtung war an. Ein helles, warmes Licht strömte aus den Strahlern.
Jetzt hatte jeder sein Büro, Abel und Jane. Sie hatten renoviert, Tapeten geklebt, gegipst und gestrichen. Jetzt roch es frisch. Früher hatten sie in einem Raum zusammengesessen, das war unangenehm für die Mandanten, wenn sie über intime Dinge reden mussten. Intim kann bei einem Anwalt auch der Grund für einen Meineid oder fortgesetzte Schwarzfahrerei sein. Einen Teppichboden gab es jetzt auch. Nur der Besucherstuhl und der Schreibtisch waren die alten geblieben und wirkten nun ein wenig deplatziert, abgeschabt, zwar noch nicht popelig, aber das würde noch kommen. An der Wand hing eines der blau-weißen abstrakten Bilder, die bis vor Kurzem noch fast jede Wand in der Kanzlei geziert hatten. Der Maler war einer von Abels Freunden, der bei ihm in der Kanzlei Bilder auslagerte. Jetzt hatte sie der Maler wieder abgeholt. Er machte schon seit Langem auf Yves Klein, bloß dass er zum Blau noch Weiß tat. Jetzt hatte er es geschafft, dass auch andere seine Verwandtschaft mit dem Franzosen entdeckt hatten. Heute gingen die Bilder gut. Also war für Abel nur das Dankbarkeitsexemplar geblieben, das er liebte, weil er immer andere neue Formen darin erkannte, wenn er beim Nachdenken darauf starrte. Nun schien ihm das Gemälde mit seinem neuen schmalen, silberfarbenen Rahmen richtig kostbar. Abel hatte im Urlaub Bilder von eben jenem Yves Klein in Nizza gesehen. Jetzt weiß man, was man zu Hause hat, dachte er und blätterte in dem Aktenstück, um den letzten Brief zu lesen, der in der Sache Waldmüller contra Quast GmbH & Co. eingegangen war. Dann starrte er wieder auf das Bild hinüber.
Waldmüller hatte ihn mit drei Anrufen aufgescheucht und von der überfüllten Côte zurück nach München gejagt. Abel hatte während der Fahrt vor sich hin gegrübelt. War er denn der Lakai? Brach seinen Urlaub ab. Weiß der Himmel, wie lange es her war, seit er zum letzten Mal im Urlaub war. Und nach zehn Tagen diese drei Anrufe! Abel hatte seine Klamotten in den Koffer geworfen, den Hund ins Auto gelockt, die Frau geküsst, die sein Zimmer geteilt hatte, und war weggefahren. Genua, Mailand, Brenner. Zurück zur Arbeit. Home, home, sweet home. Er lachte. Wehe dem Waldmüller, wenn er ihn nur zum Spaß im Urlaub aufgescheucht hatte! Dann würde er ihm eine Rechnung schreiben, dass ihm die Augen tränten. Soweit, so gut. War’s aber nicht gerade die Aussicht darauf, Waldmüller zur gegebenen Zeit, wenn der Fall glücklich zu Ende gebracht worden war, wirklich eine satte Rechnung schreiben zu können, die ihn seinen Urlaub hatte abbrechen lassen? War es nicht die Gewissheit, dass einer wie Waldmüller so eine Rechnung auch bezahlen konnte? Abels Klientel bestand nicht aus Geschäftsleuten wie Waldmüller, sondern aus Studenten, einfachen Leuten, armen Schluckern und kleinen Kriminellen. Die Renovierung hatte einen Batzen Geld verschlungen. Da kam ein solcher Fall wie Waldmüller gegen Quast & Co. wie gerufen. Trotzdem fühlte sich Abel ein wenig käuflich. Waldmüller winkte mit dem Scheckbuch, und Abel sprang. Das war normalerweise nicht so bei ihm. Und wenn er sprang, dann weil’s nötig war und nicht wegen des Geldes.
Es klopfte. Waldmüller trat ein. »Gut sehen Sie aus«, sagte er zu Abel.
»Danke.« Abel zeigte ihm den Sessel und lehnte sich zurück. Der Mandant setzte sich und legte sein Lederköfferchen auf die Knie. Waldmüller war ein schmaler Mann, elegant gekleidet, und trug sogar nachts noch einen Schlips zum Zweireiher. Wenn er sprach, hatte seine Stimme einen hellen, heiseren Klang.
Ein blau-weißer Schatten huschte über die Fenster. Ein Streifenwagen war vorbeigeglitten. Das Horn brauchte er nicht, weil niemand auf der Straße war.
Waldmüller sah sich um, dann wandte er sich zurück zu Abel. Er sprach mit seiner merkwürdig hohen Stimme. »Die gehen über die Wupper«, sagte er.
Abel machte die Geste der römischen Kaiser, wenn ein Gladiator im Zirkus das Leben verlieren sollte. Daumen nach unten.
»Insolvenz?«
»Scheiße, ja«, sagte Waldmüller und schüttelte sich.
»Ist das sicher?«, fragte Abel, und als Waldmüller nickte, erkundigte sich der Anwalt nach der Quelle der Information.
»Der Prokurist. Er hat einen Freund, und dem hat er gesagt, dass sie morgen um neun Gesellschafterversammlung haben, da wird man entscheiden, ob man sofort zum Konkursrichter geht.« Mit einer kurzen Geste streckte Waldmüller den Arm vor und schaute auf die silbrig schimmernde Sportuhr mit römischen Ziffern. Die Uhr sah nicht aus, als wäre sie eine Imitation. Waldmüller hatte die Zeitanzeige nicht wahrgenommen. Es war nur so eine Angewohnheit. Abel zog seine Hemdmanschette ein wenig nach vorne, aber nicht, weil er sich für die alte Uhr schämte, die er am Handgelenk trug, sie tat ihren Dienst, wenn man sie alle paar Tage nachstellte, aber Uhren waren heute nicht nur zum Zeitmessen da.
Unterdessen sprach Waldmüller über die Bilanzverluste, die durch fehlerhafte Abgrenzungen entstehen könnten. Er hob die Hand und zählte an den Fingern ab, wo im Falle der Firma Quast die Verluste hergekommen sein könnten.
Abel interessierte das nicht. Nur, dass Insolvenz drohte, war wichtig. Er sagte: »Und als Sie die Maschine geliefert haben, haben Sie nichts geahnt?«
»Exakt! Sonst wär ich ...«
»Ja, ja.« Abel wollte die Verträge und Lieferscheine sehen. Waldmüller packte aus. Sein bordeauxroter Koffer riss das Maul auf und gab die Papiere frei. Es roch für einen kurzen Augenblick nach Leder. Abel sagte: »Mal sehen, wie wir an die Maschine rankommen.« An Geld wagte in einer wirtschaftlichen Situation wie dieser keiner zu glauben. Man musste den Eigentumsvorbehalt an der Maschine geltend machen.
Abel begann die Dokumente zu lesen, und Waldmüller klopfte sich einen Zigarillo zurecht, schlug die Beine übereinander und ließ den Blick in der Kanzlei umherschweifen. Er begann zu rauchen, ohne Abel zu fragen.
*
Sie hatten Gretchen für die Nacht fertig gemacht, es nicht gewaschen, aber ihm eines von den Krankenhausnachthemden übergestreift. Zur Kreislaufkontrolle war Gretchen an einen Monitor angeschlossen. Sie schlief jetzt, gegessen hatte sie nichts, nur apathisch alles mit sich geschehen lassen. Der kleine Körper lag nun auf der Seite, die Bogenspannung hielt an. Natürlich konnte jetzt noch keine Wirkung der Medikamente festgestellt werden.
Käthe saß auf einem hölzernen Besucherstuhl und blätterte in zerlesenen Zeitschriften, die uralt waren, deren Inhalt vergessen und verjährt war. Wie schnell die Zeit oft wegflutschte, dachte sie.