Von keltischer Götterdämmerung. Die Kelten-Saga. Band 1-3: Anation - Wodans Lebenshauch / Völva - Wodans Seherinnen / Brictom - Wodans Götterlied. Die komplette Saga in einem Bundle. Astrid Rauner

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allein, obwohl Rowilan spüren konnte, dass er ihre Anwesenheit längst wahrgenommen hatte.

      „Schön, dass ihr gekommen seid!“ Aehrels Stimme verriet keinerlei Erstaunen. Entspannt wandte er sich dem Schamanen zu. Als Rowilan in seine fast belustigt glänzenden Augen blickte, brach der Panzer aus Schrecken, der ihn bislang zurückgehalten hatte. Sein Zorn brandete auf, entflammte, explodierte. Sich selbst nicht erkennend, überschlug sich seine Stimme, als er brüllte: „DU WAHNSINNIGER! WAS GLAUBST DU, WER DU BIST?“ Drohend schritt er in die Grotte hinaus. Aehrel erhob sich nur langsam und erwartete ihn gelassen. In dem Moment aber, als der Schamane sich auf ihn stürzen wollte, schoss blitzschnell eine Dolchklinge an Aigonns Kehle.

      „Sei vorsichtig in dem, was du tust, alter Freund! Sein Leben hängt an weniger als unserem Willen!“

      „GÖTTER! IHR GÖTTER, HELFT MIR!“ Rowilans Stimme bebte. „Was glaubst du eigentlich, was hier geschieht? Du wirst ihn umbringen! Ihn, … DERONA! DU HAST SIE IN DEN TOD GETRIEBEN!“ Er konnte sich kaum fassen, hatte die Kontrolle über seine Stimme verloren. „Die Götter werden furchtbare Rache an denen üben, die es wagen, ihre heiligen Gesetze zu verletzen! HOL IHN ZURÜCK!“

      Aehrel lächelte kühl. „Nein. Er schuldet mir diesen Dienst, er noch mehr als alle anderen. Aigonn hat Moribe sterben lassen, einfach sterben lassen! ES WAR NOCH NICHT AN DER ZEIT!“

      Rowilan glaubte, der angestaute Zorn würde seine Adern zum Bersten bringen. Mit aller Kraft erzwang er die Ruhe, die ihn noch stehen ließ, anstatt sich auf Aehrel zu stürzen. Er würde ihn töten, ohne Zweifel. Im Grunde war es egal, was er auszuhandeln versuchte. Aehrel würde Aigonn umbringen, sterben lassen. Wie konnte dieser Mann überhaupt einschätzen, was er tat?

      Das Kneten seiner Fäuste war ein Versprechen. Sie hatten längst erfasst, was sein Kopf noch nicht glauben wollte. Warum Aehrel? Aehrel, der ihm immer zur Seite gestanden hatte! In seiner Stimme lagen diese Zweifel verborgen, als er kopfschüttelnd fragte: „Warum? Was soll das? Hol ihn zurück, er wird den Weg in unsere Welt nie mehr wiederfinden!“

      „Er wird, wenn er stark genug ist. Das ist die Prüfung, in der sich jeder mit solchen Talenten eines Tages zu bewähren hat. Ich bin nicht schuld daran, dass ich es nicht an seiner statt tun kann.“

      „Aber warum? Es hat doch keinen Sinn! Hol ihn zurück! AEHREL! HOL IHN ZURÜCK!“

      Vernunft wurde gleichgültig. Rowilan stürzte nach vorn, bekam Aehrels Arm mit dem Dolch zu fassen. Dieser aber wandte sich blitzschnell zur Seite. Seine Hand entzog sich dem Griff des Schamanen, fuhr herum. Noch bevor Rowilan sich wegducken konnte, traf ihn ein Schlag in den Magen. Er geriet ins Taumeln. Ein weiterer Tritt ließ die Bilder flimmern, bevor seine Knie wegsackten. Sofort war Aehrel über ihm. Seine Hände drückten die Arme des Schamanen zu Boden; die Klinge des Dolches ruhte gefährlich nahe an seinem Hals. Er konnte kaum Luft holen, als er seinem einstmaligen Freund in die Augen sah; blaue Augen, die vor Zorn und Verbitterung zu verbrennen schienen.

      Aehrels Gelassenheit war verpufft. Ein Speichelregen ging über Rowilan nieder, als der Krieger ihm ins Gesicht spuckte: „Warum, fragst du? Ausgerechnet du? Ich habe mich damit abgefunden, dass ihr und euer Dorf es als verträglich erachtet, von der eigenen Mutter verstoßen zu werden! Ihr habt eure Aufgabe erfüllt, mich aufgenommen, noch bevor du geboren wurdest! Doch ich werde mich nicht damit abfinden, dass diese Frau, diese verbissene, selbstverliebte Schamanin, in der Anderen Welt auf ihre Wiedergeburt wartet, noch bevor sie mir Rede und Antwort gestanden hat! DIESE ANTWORTEN IST SIE MIR SCHULDIG! Ihr wolltet mir ja nicht helfen, sie zu suchen, mit ihr zu sprechen! Glaubst du, ich lasse mich davon abhalten?“

      „Du bist doch wahnsinnig!“ Rowilan flüsterte nur. Er starrte mit schreckensweiten Augen zu Aehrel hinauf. Ihre beiden Gesichter waren sich nahe genug, um den Atem des anderen zu spüren, der bei Aehrel nun stoßweise ging. Im Kopf des Schamanen schrie es auf. Er wollte nicht begreifen, was er soeben gehört hatte.

      „Aigonn wird Haelinon für mich finden. Er wird ihren Geist suchen und sie zu mir bringen. Ich weiß, dass er es kann! Er ist mächtiger als alle anderen, die es bisher versucht haben!“

      Anation beobachtete die Szene, als ob sie nicht Teil davon wäre. Vor ihren Augen drehte sich alles. Die Erinnerungsflut hatte zugenommen, war dabei, außer Kontrolle zu geraten. Darunter immer wieder ein Name, ihr Name … Aehrels Anblick hielt sie gefangen. Anation starrte auf den alternden Krieger, als könnte allein ihr Blick ihn beschwören. Gefühle strömten wie Lichtstrahlen auf sie ein. Sie konnte nicht sagen, was es bedeuten sollte. Uralte Erinnerungen drängten sich immer wieder vor ihre Augen, ein Säugling, mit blauen Augen. Ein Säugling, den sie nur einmal gesehen hatte …

      Plötzlich gaben ihre Beine nach. Anation musste sich stützen, als die Erkenntnis alle Szenen vor ihrem Inneren Auge vereinte. Aus zusammenhangslosen Bildern wurde auf einmal eine Vergangenheit, die so klar war, dass es ihr in den Schläfen schmerzte. Es war eine Gewissheit, die sie geahnt, gespürt hatte, schon viel länger, als sie es wahrhaben wollte. Die Lösung war so unglaublich, unwahrscheinlich und ergab trotz allem einen Sinn, der sich ihr während Aehrels letzten Worten erschlossen hatte. Es war kaum zu begreifen, doch sie täuschte sich nicht. Das wusste sie von einem Moment auf den anderen mit solcher Sicherheit, dass es ihr Angst bereitete.

      „Rowilan, verstehst du? Aigonn wird sie hierher holen, meine Mutter. Er wird sie finden; dazu ist er stark genug. Keiner vor ihm hat das Tor zur Anderen Welt durchqueren können. Er findet den Weg zurück!“ Aehrels Stimme klang beinahe flehend. Es war dem Schamanen unbegreiflich, als er dem Krieger in die Augen starrte und darin lesen konnte, dass er an jedes einzelne Wort glaubte, mit ganzer Seele.

      „Sie hat mich betrogen, Haelinon. Sie schuldet mir diese Antworten, mehr als alle anderen. Diese Schuld muss getilgt werden und darum KOMMT SIE HIERHER!“

      „Ich bin doch hier.“

      Die Stimme ließ beide Männer erstarren. Binnen eines Herzschlages durchliefen unzählige Emotionen Aehrels Miene, verfinsterten sie schließlich, während er von Rowilan abließ und sich langsam aufsetzte.

      „Was sagst du?“ Seine Worte waren eine Drohung. Voll Missgunst und Misstrauen blickte er zu Anation, die auf einmal sehr gefasst im Durchgang zur Grotte stand. Aehrel starrte sie an, als hätte er ihre Anwesenheit erst jetzt bemerkt. Rowilan nutzte die Gelegenheit, um sich aufzurappeln. Unmittelbar schoss Aehrels Hand mit dem Dolch auf seinen Kopf zu, brachte ihn abrupt zum Stillstand, doch weiter kümmerte er sich nicht um den Schamanen.

      Langsam stand Aehrel auf. Aus all seinen Bewegungen, seinen feindlich blitzenden Augen strahlte Gefahr, die Anation fast mit Händen fassen konnte. Für einen Moment spielte sie mit dem Gedanken, einfach hinter dem nächsten Felsvorsprung zu verschwinden, einen Stein zu fassen und diesen Wahnsinnigen niederzuschlagen. Doch für einen solchen Entschluss war es einen Herzschlag zu spät. Sie wusste es, sie wusste alles. Die Vergangenheit strömte auf sie ein, dass es sie zu übermannen drohte. Gleichzeitig aber entsann sie sich ihrer Gedanken, alten Erinnerungen, die manchmal nur noch schattenhaft, fast fremdartig in ihrem Kopf widerhallten. Was davon war noch sie? Sie, Anation, Haelinon …

      Sie konnte nicht davonlaufen. Ihr Geist wurde sich ihrer ungeheuren Verantwortung bewusst; es war ihre Schuld, dass all dies hier geschah, ihre allein. Sie hatte dieses Kind vor so vielen Jahren in die Obhut einer Fremden gegeben. Er ist mein Sohn …

      „Wer bist du?“

      Wider Willen erschrak Anation, als ihr bewusst wurde, wie nah sie Aehrel hatte kommen lassen. Keine zwei Fuß weit stand er von ihr entfernt; ein Abstand, der mit einem Schlag seiner Faust überbrückt werden konnte. Ein angriffslustiges, doch gleichsam furchtsames Glänzen in seinen Augen wollte ihre Knie weich werden lassen. Doch berührte er sie nicht, wurde nicht handgreiflich. Anation konnte aus dem Augenwinkel erkennen, wie seine geballten Fäuste zuckten – er jedoch war unfähig dazu, diesen letzten Schritt zu tun, der offenkundige Zweifel an ihren Worten bedeutet hätte.

      „Ich bin Haelinon.“ Die junge Frau bemühte sich um Ruhe. „Du hast mich gerufen und die Götter haben mir die Möglichkeit gegeben, dich zu erhören.“

      „Wage es nicht, elende