Die Eiswolf-Saga. Teil 1-3: Brudermord / Irrwege / Wolfsbrüder. Drei historische Romane in einem Bundle. Holger Weinbach

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ist sehr zuvorkommend. Erscheint dennoch pünktlich oder tragt die Konsequenzen“, bemerkte Bruder Notger abschließend und ging.

      Augenblicklich nahmen die vier Novizen Faolán in ihre Mitte und eskortierten ihn zum Badhaus. Auf dem Weg dorthin begegneten sie weder Konrad noch Ering und so ergab sich für Faolán keine Gelegenheit, seinen Häschern zu entkommen. Im Badhaus waren die Jungen erneut ungestört, denn die Mönche hielten es weniger mit der körperlichen als mit der seelischen Reinheit.

      Faoláns Gesichtswäsche gestaltete sich denkbar einfach. Seine Eskorte steckte ihn einfach kopfüber in einen mit Wasser gefüllten Waschzuber. In dieser Position hielten sie ihn fest, bis Faolán die Luft ausging und sein Strampeln nachzulassen begann. Erst jetzt ließen sie ihn los und er fiel, nach Luft ringend und hustend, zu Boden. Das grausame Lachen der Jungen erfüllte das Badhaus. Es klang in Faoláns Schädel dröhnend wider, wie in einer leeren Halle. Dieses Lachen war alles, was noch existierte.

      Langsam verklang es und Stille kehrte ein. Faolán öffnete die Augen und stellte erleichtert fest, dass er allein war. Erschöpft raffte er sich auf und rieb sich das Gesicht am Habit trocken. Dann hob er den Verband vom Boden auf und wusch ihn kraftlos aus. Das Leinen war zwar völlig durchnässt, doch es war das Einzige, womit er die frisch blutende Wunde einigermaßen abdecken konnte.

      Noch einmal begab sich Faolán auf den Weg zum Hospital, denn jetzt war ein Verbandswechsel dringend notwendig. Auf halber Strecke begegnete er Konrad, der gerade zum Unterricht hastete.

      „Großer Gott, was ist dir widerfahren? Du bist ja völlig durchnässt! Und ein Gestank geht von dir aus, als hättest du in einem Schweinekoben geschlafen.“

      Erst jetzt wurde Faolán bewusst, dass die obere Hälfte seines Habits ebenfalls so nass und blutig war wie der provisorische Verband. Langsam konnte er sich ein Bild davon machen, wie er wohl aussah und was zu tun sei. Er sollte sich neue Gewandung anlegen, bevor ihn noch ein Mönch wegen seines Aufzuges bestrafen würde. Das Risiko, zu spät zum Unterricht zu kommen, musste er in Kauf nehmen. Konrad begleitete Faolán, um sicher zu gehen, dass es zu keinem weiteren Übergriff kommen würde.

      Nachdem er frische Kleidung übergestreift hatte, wollte Faolán wieder zum Hospital aufbrechen, doch Konrad hielt ihn zurück. „Vergiss den Verband, das schaffen wir niemals vor dem Unterricht. So wie ich Bruder Notger einschätze, wartet er ohnehin schon auf uns. An deiner Stelle würde ich den Verbandswechsel auf später verschieben, es sei denn, du bist auf eine Strafe aus. Ich darf dich daran erinnern, dass unser ehrenwerter Bibliothekar schon bei weitaus geringeren Vergehen als zu spätem Erscheinen harte Strafen verhängt hat. Aber ich begleite dich natürlich, solltest du dennoch zu Bruder Wunhold gehen wollen.“

      ‚Nein’, dachte sich Faolán, ‚ich kann nicht auch noch die Bestrafung eines Freundes riskieren, nur weil Drogo mir in die Quere gekommen ist. So beschloss er, seine Wunde erst nach der Schriftlehre versorgen zu lassen. Die Blutung ließ ohnehin bereits nach.

      „Du hast Recht, Konrad. Komm’, lass uns gehen.“

      Im Lehrsaal des Noviziats verhielt es sich genau so, wie es Konrad vermutet hatte. Bruder Notger wollte bereits mit dem Unterricht beginnen und wartete schweigend vor den still an ihren Pulten stehenden Novizen. Mit gesenktem Blick schlichen sich die beiden Verspäteten leise zu ihren Plätzen. Offensichtlich war dies in den Augen des Mönches genug der Reuebekundung, denn er begann mit der Unterweisung, ohne weiter auf den Vorfall einzugehen.

      Auch wenn der Bibliothekar ihn ignorierte, so war sich Faolán doch unzähliger Blicke der Novizen bewusst, die ihm folgten. Er gab sicherlich ein merkwürdiges Bild ab, mit seinem nassen Haupthaar und dem dreckigen, schäbigen Verband. Trotz des frischen Habits trug er noch immer den unverkennbaren Gestank von Schweinedung mit sich. Die Novizen um ihn herum hielten immer wieder den Atem an oder hüstelten, doch Faolán beachtete es nicht weiter.

      Möglichst unauffällig schaute er zu Ering, der mit einem fragenden Gesichtsausdruck von seinen Freunden gerne gewusst hätte, was vorgefallen war. Da es jetzt allerdings keine Möglichkeit zum Sprechen gab, bekundete Faolán mit einer knappen Handbewegung, dass alles in Ordnung sei.

      Bruder Notger verteilte bereits verschiedene Schriftstücke aus wertvollem Pergament und platzierte sie in sicherem Abstand vor seinen Schülern auf den Pulten. Es war ihnen untersagt, die Bögen zu berühren. Auf diese Weise wollte der Mönch verhindern, dass seine Kostbarkeiten durch die Unachtsamkeit der Knaben während ihrer stümperhaften Schreibversuche beschädigt würden.

      Ähnlich verhielt es sich mit der Tusche. Die kleinen, meist tönernen Gefäße standen stets verschlossen in den dafür vorgesehenen Versenkungen der Schreibpulte, selbst während des Unterrichtes der Novizen. Keinem der Knaben war es erlaubt, das kostbare Schwarz zu benutzen.

      Nach Ansicht des Bibliothekars besaß noch keiner von ihnen die Fertigkeit, eine fehlerfreie Abschrift anzufertigen. Ausschließlich für diese oder für neue Dokumente durfte die Tusche verwendet werden, und dann nur von den ausgebildeten Schreibern der Abtei.

      Faolán sah diese strikte Regel in seinem Falle als unsinnig an. Seit Monaten war ihm bei den Schreibübungen kein einziger Fehler mehr unterlaufen. Es schien Bruder Notger dennoch nicht Beweis genug für seine Fähigkeiten zu sein.

      So blieb auch Faolán nichts weiter übrig, als vor seinem hölzernen Rahmen zu warten, in dem sich sehr feiner, feuchter Sand befand. Sobald der Pergamentbogen vor ihm lag, musste er mit einem angespitzten Stäbchen eine Abschrift des Werkes auf der geglätteten Sandoberfläche anfertigen. War diese Abschrift beendet, wurde der Sand nach einer Begutachtung durch den Bibliothekar erneut geglättet. Danach musste mit einer weiteren Übung begonnen werden. Auf diese Weise wurde die Verschwendung wertvoller Materialien durch Schreibübungen verhindert.

      Faolán war stets hoch konzentriert und gab sein Bestes, vor allem bei Bruder Notger. Dabei vergaß er nicht nur seine unmittelbare Umgebung, sondern auch den heutigen Zwischenfall mit Drogo und den pulsierenden Schmerz in seiner linken Gesichtshälfte. Er schrieb exakt und flink, führte das Stäbchen mit einer bemerkenswerten Präzision in parallelen Zeilen über den Sand.

      Wie jedes Mal legte er auch heute als Erster seine Holztafel zur Durchsicht dem Bibliothekar vor. Der Mönch fand keinen Fehler, wirkte aber trotzdem etwas verdrossen. Faolán führte es auf seine Verspätung zurück und war erleichtert, dass der Bibliothekar ihn kommentarlos mit einem weiteren Absatz beauftragte.

      Auf seinem Weg zurück musste er Drogos Pult passieren. Faolán achtete nicht auf seinen Widersacher, doch Drogo hielt es anders und stellte ihm ein Bein. Faolán stolperte darüber, konnte sich jedoch gerade noch auf den Beinen halten, ohne die Schreibtafel zu verlieren oder Sand zu verschütten.

      Sein Blick fiel verärgert auf den Sohn des Grafen. Im Grunde war nichts passiert – Faolán hätte einfach weitergehen und Drogo ignorieren können. Hätte er das getan, so wäre weiter nichts geschehen.

      Doch Faolán entschied sich diesmal anders!

      Er richtete sich auf und wandte sich an Drogo, der ihn mit einem spöttischen Grinsen ansah. In diesem Augenblick stieg in Faolán all der Hass hoch, den er immer zurückgehalten hatte. Sein Herz begann wild zu schlagen und das Blut rauschte in seinen Ohren. Ungewohnte Hitze wallte in ihm auf. Einige Pulte entfernt versuchte Ering mit stummen Gesten Faolán vor einem Wutausbruch zu bewahren, doch der nahm seinen Freund nicht wahr.

      Es gab nur noch Drogos dämliches, provokantes Grinsen und dessen Stimme: „Es stinkt hier gewaltig nach Schweinedung!“

      Obwohl die Worte nur geflüstert waren, dröhnten sie dennoch in Faoláns Ohren. Sofort hatte er eine Antwort parat: „Wen wundert es, schließlich steht ja auch ein Schweinehirt vor mir!“

      „Pass auf, dass du nicht wieder den Boden unter den Füßen verlierst! Oder verlangt es dich danach, die Erde zu meinen adligen Füßen zu küssen?“

      Faolán kochte vor Wut. Drogos hochmütiges Auftreten widerte ihn an. Seine freie Hand suchte blind nach dem erstbesten Gegenstand auf dem Pult, den sie in Drogos Visage schleudern könnte. Sie wurde fündig! Doch bevor Faolán begriff, was er auf seinen Widersacher warf, war