Die Eiswolf-Saga. Teil 1-3: Brudermord / Irrwege / Wolfsbrüder. Drei historische Romane in einem Bundle. Holger Weinbach

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geleistet worden war, und den meisten war auch bewusst, dass dieser nur dann abverlangt wurde, wenn an der Loyalität des Eiderbringers gezweifelt wurde. Mit einem Mal rückte Brandolf in den Augen der Menschen in das Licht eines trügerischen Recken, dessen Ruf fragwürdig sein könnte und vor dem man sich besser in Acht nehmen sollte. Rurik wusste nur zu genau, was er mit diesem Schauspiel bewirken konnte. Er überließ nichts dem Zufall!

      Die Blicke richteten sich jetzt auf den neuen Befehlshaber, vor dessen Übermacht ein kleiner Krieger unterwürfig im Schmutz kniete. Rurik kostete seinen Triumph in vollen Zügen aus. Er genoss es, ebenso auf Brandolf herab blicken zu können, wie ihn im Dreck knien zu sehen und das Ganze auch noch in aller Öffentlichkeit stattfinden zu lassen.

      Demütig ließ Brandolf all das in der Hoffnung über sich ergehen, bald die erlösenden Worte zu vernehmen und von Rurik entlassen zu werden.

      „Erhebt Euch, Brandolf, Sohn des Gerold“, vernahm er schließlich erleichtert und richtete sich wieder auf. „Geht mir jetzt aus den Augen, doch vergesst niemals, welchen Eid Ihr soeben vor Gott und all den Menschen hier geleistet habt. Ihr seid und bleibt ein Mann des Grafen, bis man Euch aus dem Eid entlässt, sei es durch Tod oder Wort. Habt Ihr das begriffen?“

      „Ja, mein Herr.“

      „Dann verschwindet jetzt!“

      Deutlicher hätte Rurik es nicht sagen können. Wahrscheinlich würde Brandolf eher der Tod ereilen, als dass Rurik ihn mit Worten von diesem Schwur entließe. Bevor sich der junge Krieger erhob, blickte er noch einmal in die Augen seines Gegenübers. Er wusste nicht, was er darin suchte, vielleicht eine Regung, ein Funkeln oder einen Hinweis.

      Rurik erwiderte den Blick für einen Herzschlag, dann schaute er verächtlich beiseite, als habe er Wichtigeres zu tun. Dieser kurze Augenblick war allerdings ausreichend, um Brandolf all jene Dinge zu offenbaren, welche er schon bei vielen anderen Männern gesehen hatte: Hochmut, Habgier und Machthunger. Rurik glaubte sich am Ziel seiner Bestrebungen oder zumindest in dessen unmittelbarer Nähe. Durch nichts würde er sich jetzt noch von seinem Ziel abbringen lassen. Schon gar nicht von einem Mann wie Brandolf.

      Schnell senkte Brandolf sein Haupt, um diese Erkenntnis und seinen aufkeimenden Zorn vor Rurik zu verbergen. Er stand auf und kehrte seinem neuen Lehnsherrn den Rücken, allerdings mit einem unangenehmen Gefühl, da Brandolf nicht wusste, was jetzt alles hinter ihm geschah. Seine Schritte mit der Befürchtung im Nacken, Rurik könnte es sich doch noch einmal anders überlegen, führten ihn über den Hof, zurück zum Stallgebäude. Je größer die Distanz zu Rurik wurde, umso leichter fiel es Brandolf schließlich, durchzuatmen und auszuschreiten.

      Erleichtert stellte er fest, dass seine Stute im Stall auf ihn wartete. Jetzt musste er sie nur noch satteln, aufsitzen und losreiten. Aus der Burg zu entkommen, war für ihn wahrscheinlich die größte Bedrohung des Tages und würde nicht so leicht gelingen, wie es sich anhörte. Es könnte Brandolf schneller das Leben kosten als der Kampf in der vergangenen Nacht.

      Er ging zu seiner Stute und sah, dass sie gesattelt und sein Bündel mit Lederriemen daran befestigt war. Die junge Magd hatte ihn erhört und nicht nur seiner Bitte entsprochen, sondern auch dafür gesorgt, dass der Stallmeister das Pferd für die Abreise bereit machte. Im Stillen dankte Brandolf ihr, während er eilig die Zügel vom Pfosten löste und sein Tier an den anderen Pferden vorbei durch den Stall führte.

      Noch bevor er die Stalltür erreicht hatte, bemerkte er jemanden, der sich von hinten näherte. War es einer von Ruriks Männern, der ihm auflauerte? Wieso hatte Brandolf ihn nicht bemerkt? Er brachte die Stute zum Stehen. Auf alles gefasst, legte Brandolf verdeckt die Hand an das Heft seines Schwertes. Die unbekannte Person schlich über den mit Stroh bedeckten Boden, näherte sich ihm noch immer. Die Bewegungen waren kaum zu vernehmen, nur ein leises Rascheln, doch der junge Krieger war gewappnet. Immer näher kamen die Schritte, dann waren sie dicht hinter ihm.

      Blitzschnell drehte sich Brandolf um und zog gleichzeitig sein Schwert. Als er jedoch die hilfsbereite Magd vor sich sah, ließ er die Klinge beinahe fallen. Erschrocken blieb die Frau stehen und die Worte, die sie gerade aussprechen wollte, blieben ihr im Halse stecken. Ein Bündel entglitt beinahe ihrer Hand.

      „Gute Frau, schleiche dich niemals von hinten an einen Krieger heran.“ Erleichtert ließ Brandolf die scharfe Klinge im Futteral verschwinden.

      Nach dem Schrecken nahm die Magd all ihren Mut zusammen und ging auf Brandolfs Pferd zu. Dort befestigte sie das Bündel am Sattel. Während sie die Riemen schnürte, erklärte sie leise: „Wahrscheinlich habt Ihr einen langen Weg vor Euch. Ein wenig Proviant soll Euch helfen. Besser ist es, wenn Ihr zügig reitet und möglichst selten anhalten müsst. Man weiß nie, ob und wann der neue Herr es sich vielleicht noch einmal anders überlegen wird.“

      Brandolf war verwirrt über die offenen Worte der Magd. Auch wenn er sie um Hilfe gebeten hatte, so konnte sie dennoch ein Hinterhalt Ruriks sein. Daher blieb er vorsichtig.

      „Ich habe gerade einen Eid vor allen Anwesenden geleistet. Hast du ihn als Einzige etwa nicht vernommen? Ich bin dem Grafen zur Treue verpflichtet und er zu meinem Schutz. Rurik würde es nicht wagen, den Eid von sich aus zu brechen.“

      „Das mag sein. Doch was sollte ihn daran hindern, Euch verfolgen zu lassen? Auf Reisen kann viel geschehen! Es gibt zahllose Wegelagerer und Geächtete in den Wäldern. Ihr wäret nicht ihr erstes Opfer, selbst als erfahrener Ritter. Zudem habt Ihr den Eid nicht auf Rurik geleistet …“

      Die Magd sprach offen aus, was Brandolf selbst befürchtete. Aus einem fremden Munde klang es allerdings viel plausibler als in seinen Gedanken. Rurik hatte ihn die gesamte Zeit beobachten lassen und es wäre nicht verwunderlich, wenn er für ihn einen Hinterhalt geplant hätte. „Ich danke dir. Selbst deine Herrin Sigrun hätte nicht edler handeln können.“

      „Von ihr habe ich es auch gelernt. Ich habe nur eine Bitte an Euch.“ Brandolf gestattete sie mit einem Kopfnicken. „Vergesst Euren Eid nicht, den Ihr soeben geleistet habt. Denkt vor allem daran, wem Ihr ihn geleistet habt!“

      Eine merkwürdige Bitte für eine Magd. Brandolf war so verblüfft, dass er nicht zu antworten wusste. Die junge Frau wandte sich zum Gehen und verschwand durch den abgebrannten, offenen Bereich des Stalles, noch bevor er etwas erwidern konnte. In Gedanken versunken führte er sein Pferd aus dem Stall in Richtung Haupttor.

      Gerade wollte Brandolf das Tor zur Vorburg passieren, als mehrere Reiter im vollen Galopp über den Platz in den Innenhof der Feste preschten, direkt auf Rurik zu. Es waren seine Gefolgsmänner und sie kündigten die Ankunft des Wagentrosses an.

      Brandolf fluchte leise. Wegen des Eintreffens des Gefolges war es jetzt unmöglich, den schmalen Weg hinab in die Auen zu nehmen. Dieser enge Pfad war im Augenblick mit Mann, Tier und Karren derart blockiert, dass ein Vorbeikommen unmöglich war. Brandolf blieb nichts anderes übrig, als etwas abseits am Tor zwischen Vorburg und Innenhof auf eine Gelegenheit zu warten, die Feste endlich zu verlassen.

      Das Warten gab ihm aber auch eine Gelegenheit, Ruriks Gemahlin zu Gesicht zu bekommen. Ihm war über dieses Weib schon so manches zu Ohren gekommen und es entsprach nicht gerade dem, wie sich ein Weib zu verhalten hatte.

      Wulfhild, so lautete ihr Name, zeigte all jenen das Gegenteil, die glaubten, eine Adelige müsse sich bei einer Reise in einem der hinteren, von Kriegern geschützten Wagen durch die Landschaft fahren lassen, damit sie und ihr Nachwuchs in Sicherheit waren. Weit gefehlt! Sie kam kurz hinter der galoppierenden Vorhut auf einem Pferd ebenso forsch durch das Tor geprescht wie die Reiter zuvor. Es war ein imposantes Schauspiel und da die Vorhut bereits abgesessen war, konnte sie sich als einzige Reiterin im gesamten Hof aller Blicke gewiss sein.

      Ruriks Gemahlin war eine große Frau und überragte die meisten Männer, mit Ausnahme ihres Gatten. Entsprechend breit war ihre Statur und unter den Kriegern gab es wenige, die es mit ihren breiten Schultern und den kräftigen Oberarmen hätten aufnehmen können. Mutige Zungen behaupteten, dass an ihr ein Krieger verloren gegangen sei, der seinesgleichen gesucht hätte. Besonders Kühne meinten gar, dass ein jedes Kleid an ihrem Körper eine Verschwendung feinen Stoffes wäre und sie deshalb nahezu ausschließlich die Gewandung von Männern trug. All diese