Die Britannien-Saga. Band 1 und 2: Hengist und Horsa / Brand und Mord. Die komplette Saga in einem Bundle. Sven R. Kantelhardt

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nur“, meinte Swæn und zeigte auf die weite Wasserfläche der Ælfmündung hinaus. „Dort liegt die Südermarsch.“

      Ordulf blickte in die angegebene Richtung und kniff die Augen zusammen. „Hmpf“, antwortete er zustimmend. In Wahrheit konnte er außer Wasser nicht das Geringste erkennen, aber es war ihm peinlich, dass seine Augen so viel stumpfer waren als die seines Bruders. Sein Interesse wurde ohnehin von anderem gefesselt: Ein gutes Stück von der Mündung des Fleets entfernt erkannte er die hochgezogenen Steven von Hengists Seeschiffen. Bald würden sie damit ihrem ersten Abenteuer entgegenrudern! Daneben lagen mehrere kleine Boote, darunter ein kleines Schwarzes ungewöhnlicher Bauart. Wahrscheinlich ein einfacher Einbaum, vermutete Ordulf und ließ seinen Blick weiter über das Lager schweifen.

      Es machte einen ungeordneten Eindruck. Zelte und Feuerstellen standen überall durcheinander und zwischendrin grasten Pferde. Immerhin hielt sie bei Erreichen des Lagers ein Wachtposten an und fragte nach ihrem Begehr.

      „Wir sind Dithmarscher Sachsen vom Swænengeschlecht und wollen uns dem Heer Hengists anschließen“, antwortete Swæn stellvertretend für sie beide.

      „Hengist ist derzeit nicht hier, aber vielleicht trefft ihr seinen Bruder Horsa dort hinten an dem großen Feuer“, erwiderte der Wachtposten und wies ihnen mit einem Kopfnicken die Richtung.

      Swæn und Ordulf bedankten sich. Beklommen schritten sie zwischen den versammelten Recken einher, doch niemand beachtete sie. Unter den Männern entdeckte Ordulf viele junge Burschen wie sie selbst, aber auch ältere Krieger mit wertvollen Rüstungen und vernarbten Gesichtern und Armen. Das mussten erfahrene Schiffsführer und Seeleute sein, die jeden Sand der Ælf und des Britannischen Ozeans kannten. Sein Blick glitt an sich selbst hinab und zu seinem Bruder hinüber. Swæn zog Hilda hinter sich am Zügel. Mit ihren hohen schlanken Fesseln über den harten Hufen und mit dem edel gebogenen Hals konnte wenigstens sie sich durchaus sehen lassen.

      Schließlich erreichten sie das vom Wachtposten bezeichnete Feuer. Ordulf suchte nach jemandem mit demselben harten Blick wie Hengist, konnte sich aber zwischen den düster dreinblickenden Gestalten nicht recht entscheiden.

      „Ein prächtiges Tier habt ihr da“, sprach sie von hinten auf einmal eine sanfte Stimme an. Er fuhr herum und sah einen großen schlanken Mann neben Hilda stehen und ihre Mähne streicheln. Hilda schnaubte zufrieden und drückte den Kopf freundlich an die Brust des Fremden.

      „Sonst ist sie nie so zutraulich“, wunderte sich Ordulf.

      Der Fremde schaute ihn aus hellen blauen Augen leicht spöttisch, aber durchaus freundlich an. „Nun, es sollte dich nicht wundern, dass Pferde mich mögen, schließlich ist mein Name Horsa.“

      „Verdammt noch eins“, entfuhr es Ordulf. Dann verneigte er sich erschrocken. „Herr! Ich ahnte nicht …“

      „Du brauchst nicht zu erröten, ich hatte mich ja noch gar nicht vorgestellt“, erwiderte Horsa lachend. „Ihr wollt euch uns anschließen?“

      „Wir haben Hengist gehört, als er drüben bei uns in Dithmarschen war, um Krieger zu werben, und sind seinem Ruf gefolgt“, antwortete Swæn rasch. Es gefiel ihm offenbar nicht, dass sein jüngerer Bruder die Unterhaltung mit dem neuen Häuptling führte. „Wir hoffen, dass ihr uns noch in eure Schar aufnehmen werdet.“

      „Nun, wenn wir schon genug Leute beisammen hätten, wären wir nicht mehr hier, oder?“, frage Horsa zurück. „Wenn ihr genauso gut kämpft, wie ihr Pferde züchtet, seid mir willkommen! Das sind zwei neue Mitstreiter aus Dithmarschen“, wandte er sich dann an die Männer am Feuer. „Und zwar …?“ Nun blickte er wieder Swæn auffordernd an.

      „Ich bin Swæn und das ist mein Bruder Ordulf, auch ein Swæn“, brachte Swæn hervor.

      Ihr Name sorgte für allgemeine Erheiterung.

      „So, also Swæn Swænsunu und Ordulf Swænsunu?“, vergewisserte sich Horsa. „Wenn ihr erlaubt, wollen wir euch lieber nur Ordulf und Swæn nennen, der Einfachheit halber. Ihr seid nun Hengists und Horsas Mannen und euer Geschlecht und auch alle eure Zwistigkeiten und Fehden sind, solange ihr mit uns zieht, ohne Bedeutung. Verstanden?“ Horsa blickte ihnen nacheinander fest in die Augen. Swæn und Ordulf nickten zustimmend. „Na dann wollen wir unseren neuen Gefährten mal was zu trinken besorgen. Gero, kümmerst du dich darum?“ Horsa sah einen der finster blickenden Hünen fragend an. Swæn ließ sich nieder. Als Ordulf seinem Beispiel folgen wollte, blickte er auf und fragte beiläufig: „Du bringst Hilda gerade noch auf die Weide, ja?“

      Ordulf schnaufte verärgert. Hilda war nicht sein Pferd, aber dauernd musste er sich um sie kümmern. Er nahm sie am Zügel und zerrte sie unsanft vom Feuer weg. Doch sein Zorn verrauchte rasch. Was konnte die arme Stute schon dafür? Außerhalb des Lagers sah er mehrere andere Rösser auf einem besonders saftigen Stück Weide stehen. Ihre Vorderläufe waren zusammengekoppelt, damit sie sich beim Grasen nicht zu weit entfernen konnten. Das wäre ein guter Platz für Hilda. Entschlossen steuerte er auf die anderen Pferde zu.

      Ein hübsches junges Mädchen, welches neben den Pferden auf der Wiese saß und auf einem Halm kaute, blickte ihm interessiert entgegen. Sie hatte einen blauen Blumenkranz in ihr rotes Haar geflochten. Waren das Sandglöckchen vom Strand? Ordulf schämte sich, genauer hinzusehen. Nicht, dass sie ihn für einen gaffenden Jungen hielt.

      Aber da rief sie ihn schon an: „Du bist ganz schön jung für so ein prächtiges Pferd.“

      Ordulf lief rot an. So ein freches Ding – aber leider hatte sie recht und Hilda gehörte seinem Bruder. „Wir Dithmarschen züchten eben die besten Pferde“, antwortete er hochnäsig, um seine Verlegenheit zu überspielen.

      Das Mädchen verzog den Mund. „Pah, Angeber“, rief sie und lief rasch davon. Ordulf blickte ihr einen Augenblick hinterher. Später, gegen Abend, suchte Swæn am Rande des Lagers einen Platz für ihr Zelt. Ordulf holte derweil Hilda, um sie zum Fleet hinunter zur Tränke zu führen. Da gerade Ebbe war, mussten sie durch einen breiten Saum Uferschlamm zu dem schmalen Wasserlauf in der Mitte waten, dafür war das Wasser aber klar und nicht mit Meersalz vermengt. Das treue Tier senkte den Kopf und trank gierig. Plötzlich spürte Ordulf einen Schlag im Genick. Er wusste zunächst gar nicht, wie ihm geschah. Immerhin stürzte er nicht in den Wasserlauf wie damals, als ihn der Widder Hinnerk überraschend angegriffen hatte. Er drehte sich gerade rechtzeitig um, um den nächsten Batzen Schlick genau ins Gesicht zu bekommen. Am Ufer standen zwei grinsende junge Kerle; dieselben, die ihn damals auf Wolderichs Hof in den Dreck gestoßen hatten. Einer hielt bereits die nächste Handvoll Matsch hoch.

      „Das ist aber wieder ein besonders dreckiges Schwein. Das wollen wir lehren mit Mist nach uns zu werfen!“, rief der erste der beiden.

      Ordulf lief rot an. Seinen Sax hatte er bei seinem Bruder und der übrigen Ausrüstung gelassen. Darum ballte er die Fäuste und stürzte sich unbewaffnet mit einem Wutschrei auf den näherstehenden der beiden jungen Kerls. Der versuchte seinerseits den Sax zu ziehen, aber Ordulf sprang ihm das letzte Stück entgegen und versetzte ihm einen Faustschlag auf die Kinnspitze, sodass sein Gegner hinterrücks umfiel und liegen blieb.

      „To jodute“, schrie der andere aus vollem Hals.

      Mit diesem Ruf forderte in ganz Sachsen das Opfer eines Gewaltverbrechens alle Männer in Hörweite, seien es Freie oder Knechte, zur Hilfeleistung auf. Wer dem nicht nachkam, machte sich selbst schuldig.

      „Dieser Verräter hat einen Wehrlosen erschlagen!“

      Bevor Ordulf sich versah, tauchten drei weitere Ebbingemannen wie aus dem Nichts heraus auf und stürzten sich auf ihn. Ob er sie aufgrund seiner Kurzsichtigkeit nicht gesehen hatte oder ob die rasende Wut schuld war, wusste Ordulf nicht und es blieb ihm auch keine Zeit, darüber nachzudenken. Er wurde von der Wucht der drei Angreifer umgerissen und während zwei nach ihm traten, drückte der dritte seinen Kopf in den weichen Schlick. Ordulf versuchte nach Luft zu schnappen, bekam aber Schlick und Wasser in den Mund und musste husten. Ihm kam der Gedanke, dass sein Abenteuer möglicherweise bereits hier im Schlamm des Beufleets enden würde. Verzweifelt versuchte er, seinen Angreifer zu packen und von sich weg zu drücken. Mit der rechten Hand fand er den