Die Britannien-Saga. Band 1 und 2: Hengist und Horsa / Brand und Mord. Die komplette Saga in einem Bundle. Sven R. Kantelhardt

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doch eigentlich darauf schließen, dass ihm solche Situationen nicht völlig fremd waren, überlegte er. Beklommen versuchte er, die in ihm selbst aufkeimende Panik zu unterdrücken und lehnte sich im Sattel nach hinten, um die Vorderhand der Stute zu entlasten. Tatsächlich zog das treue Pferd, begleitet vom kräftigen Schmatzen des Schlamms, erst den rechten, dann den linken Huf aus dem Morast. Ceretic verharrte reglos im Sattel und blickte prüfend in alle Himmelsrichtungen, doch es zeigte sich keine Menschenseele, die sein Ungeschick beobachtet hätte. Er beschloss, blind auf die Instinkte seines Reittiers zu vertrauen. Langsam, aber doch zielstrebig, setzte die Stute nun einen Huf vor den anderen, bis sie wieder den höher gelegenen Marschboden unter sich hatten.

      In einem kleinen Wäldchen ließ sich Ceretic erschöpft aus dem Sattel gleiten. Tief atmete er durch. Vielleicht war Horsas Rat, einen Führer mitzunehmen, doch nicht so überflüssig gewesen. Er nahm seiner Stute Sattel und Zaumzeug ab und band sie mit einer langen Schnur an einem der niedrigen Bäume in Schulterhöhe fest. So könnte sie zwar mit dem Maul den Boden erreichen, aber nicht mit den Beinen über die Leine steigen und sich darin verheddern. Zufrieden betrachtete Ceretic, wie das Pferd zu grasen begann. Dann blickte er sich nochmals prüfend um. Niemand störte die Ruhe des Nachmittags.

      Eilig wandte er sich zu Fuß zurück in Richtung des Beufleets. Anhand des Sonnenstandes schätzte er, dass ihm noch etwa zwei Stunden bis zu dem geplanten Treffen blieben, aber er wollte die besagte Stelle am Ufer des Fleets lieber noch in aller Ruhe in Augenschein nehmen, bevor Rowena mit ihren Gefährtinnen dort auftauchte.

      Bald ging der niedrige Bruchwald, in dem Ceretic sein Pferd versteckt hatte, in das dichte Buschwerk über, welches binnenwärts an die salzigen Marschen anschloss. Nun, bei Ebbe, waren die meisten der kleinen Wasserläufe hier trockengefallen. Ceretic versuchte sich anhand der Sonne zu orientieren und hoffte, dass ihn der gewundene Wildwechsel, dem er folgte, irgendwann zum Fleet führen würde. Tatsächlich erblickte er nach einer Weile vor sich die Dächer der Beufleeter Wurtsiedlung über dem Geäst.

      Bald darauf erreichte er eine größere, mit saftigem Gras bewachsene Lichtung. Das gesuchte Ufer des Fleets befand sich direkt dahinter, nur durch einen letzten dichten Streifen Buschwerk verdeckt. Noch befand sich keine Menschenseele an diesem Ufer des Fleets. Ceretic vermutete, dass es sich bei der freien Grasfläche vor ihm um die von der Magd erwähnte Wiese handelte. Daher verbarg er sich tief in dem Streifen Buschwerk zwischen Wiese und Fleet, aber so, dass er beide Seiten durch das Blattwerk im Auge behalten konnte. Aufgeregt versuchte er, sowohl die Zeit als auch die Mücken, die ihn stürmisch begrüßten, totzuschlagen.

      Es dauerte eine scheinbare Ewigkeit, bis endlich eine Reihe Frauen im Hoftor von Beufleet erschien. Schwer beladen mit Waschbrettern und Körben strebten sie dem Fleet zu. Ceretic hielt den Atem an, als sie durch das niedrige Wasser des Fleets wateten. Als er Rowena erkannte, tat sein Herz einen Luftsprung, während nur wenige Schritte von ihm entfernt die Frauen mit dem Waschen begannen.

      Seine Geduld wurde auf eine neue harte Probe gestellt. Die Frauen waren nicht in Eile und auch Rowena tratschte eifrig mit ihren Kameradinnen und sah sich nicht einmal nach ihm um. Ceretics Gefühle schwankten zwischen wilder Freude und tiefer Niedergeschlagenheit, aber ihm blieb nichts anderes übrig, als reglos und still in seinem Versteck auszuharren. Nach einer Weile kamen die ersten Wäscherinnen durch einen schmalen Hohlweg auf die Lichtung in Ceretics Rücken. Wie erwartet breiteten sie die fertige Wäsche auf dem saftigen Grün zum Bleichen aus. Wieder und wieder frage er sich, wie Rowena es nur anstellen wollte, hier unbemerkt mit ihm Kontakt aufzunehmen. Doch ihm fiel keine Lösung ein und so gewann die Niedergeschlagenheit in seinen Gedanken an Raum. Er wagte es kaum, die Äste weit genug auseinander zu biegen, um sie zu betrachten, geschweige denn ihr ein Zeichen zu geben.

      Als die Sonne bereits tief im Westen stand und den Himmel in leuchtendes Orange tauchte, begannen die Frauen ihre Sachen einzusammeln. Schließlich zogen sie allesamt, weiterhin munter plaudernd, mit Körben voll frisch gewaschener Wäsche über die Furt. Rowena ging mit ihnen. Ceretic wurde schmerzhaft bewusst, dass die fremde Magd, oder gar Rowena selbst, ihn zum Narren gehalten hatte! Er schalt sich einen Dummkopf. Wie hatte er glauben können, dass sich die hochmütige Tochter Hengists dazu herabließ, ihn zu treffen? In aller Heimlichkeit, ohne dass der Vater etwas merkte! Pah, was für ein Narr er war.

      Gerade wollte er seinen Platz räumen, um zu seinem Pferd zu schleichen, da sah er aus dem Augenwinkel, dass die Mädchen auf der anderen Seite des Fleetes angehalten hatten. Rowena setzte plötzlich ihren Korb ab und wühlte in der frischen Wäsche. Aufgeregt redete sie auf ihre Gefährtinnen ein. Ceretic beschloss, dass es wohl sicherer wäre noch abzuwarten, bis sie gänzlich verschwunden wären. Sonst würde man ihn entdecken und dann würde er endgültig zum Gespött der Sachsen!

      Rowena drehte um und trat entschlossen in die Furt, zurück auf seine Seite. Und diesmal begleitete sie nur die kleine rothaarige Magd! Ceretic konnte sein Glück kaum fassen. Hastig trat er aus dem Gebüsch auf die Lichtung und strich Kleider und Haar glatt. Da kam Rowena auch schon durch den Hohlweg gelaufen. Ein wenig außer Atem und eine sanfte Röte auf den Wangen. Wahrscheinlich vom Laufen, überlegte Ceretic. Mit klopfendem Herzen schritt er auf sie zu und streckte ihr beide Hände entgegen. Zu seiner Enttäuschung warf sie sich aber nicht in seine Arme, sondern ergriff die dargebotenen Hände.

      „Rowena“, flüsterte er und blickte in die blauen Augen, die ihm in den letzten Wochen den Schlaf geraubt hatten. „Ich ergebe mich dir, du hältst mich in deiner Hand. Ich habe mich in den letzten Wochen nach dir verzehrt!“

      Ihr standen Tränen in den Augen. „Einen Mann wie dich habe ich noch nie getroffen. So …“ Ihr schienen die rechten Worte zu fehlen. „So ganz anders als die lärmenden Krieger in der Halle meines Vaters und doch bringt deine Stimme sie alle zum Schweigen. Ach Ceretic, wenn diese Prophezeiung nicht wäre, könnte ich denken …“ Schon wieder brach sie ab. Und viel sprachen sie nicht mehr, zu stark waren ihrer beider Gefühle.

      Nach einem Augenblick, so schien es Ceretic, wandte sich das Mädchen wieder zum Gehen. Er bewunderte ihren schlanken Körper, wie sie sich in das Gebüsch duckte, um ein scheinbar vergessenes Kleidungsstück hervorzuziehen, dann drehte sie sich ihm noch einmal zu ihm um und drückte einen leichten Kuss auf seine Wange.

      „Bis bald“, hauchte sie und war schon verschwunden. Er hörte, wie die rothaarige Magd sie mit einem verdrießlichen „endlich“ auf der anderen Seite des Gebüsches empfing. Dann herrschte wieder Stille. Erst jetzt bemerkte Ceretic, dass sich der Himmel bereits tiefrot verfärbt hatte. Während sie Hand in Hand gestanden hatten, musste die Zeit nur so geflogen sein. Ceretic löste sich aus seiner Erstarrung und machte sich beschwingt auf, um sein wartendes Pferd zu suchen. Die einsetzende Dämmerung und das nun wieder steigende Wasser bereiteten ihm einige Schwierigkeiten, doch das tat seiner Hochstimmung keinen Abbruch. Schließlich fand er die Baumgruppe mit dem ihm erleichtert zuwiehernden Ross.

      Dithmarschen, Mai 441

      Ordulf

      Swæn und Agill übten sich nun täglich im Umgang mit den Waffen. Ständig schleuderten sie Speere und Äxte oder liefen mit Schild, Schwert und Sax über den Hof und das Vorland. Ordulf musste einen umso größeren Teil der Hofarbeit verrichten. Nur wenn sie den Kampf Mann gegen Mann übten, mit Schilden, Holzknüppeln und Stangen, durfte er als Gegner herhalten. Abends blieb ihm zu alledem noch der Spott der aufgeregten Brüder. Innerlich kochte Ordulf über diese Ungerechtigkeit. Eine Woche vor dem geplanten Aufbruch rief Agill ihn wieder zu solch einem Übungsgefecht.

      „Du hast genug mit den Lämmern gespielt, Kleiner. Komm und spiel einmal einen Britannier!“

      „Einen Pikten“, verbesserte ihn Swæn grinsend.

      Ordulf kam wütend aus dem Schafspferch geschossen. Agill stand breitbeinig auf dem Hof, Schild und Knüppel drohend erhoben. Als sich Ordulf bückte, um seine Waffen vom Boden aufzuheben, schlug ihm sein Bruder zum Spaß auf den Kopf, aber der Hieb traf fester, als Agill geplant hatte, denn Ordulf richtete sich gerade im selben Moment auf. Der Knüppel traf Ordulf an der Augenbraue. Erstaunt und etwas benommen sah der sein eigenes Blut auf den eisernen Beschlag des Schildes tropfen. Plötzlich sah er auch mit dem anderen Auge rot. Er stieß den Rand seines Schilds dem überraschten Bruder unter dessen