Venedig sehen und morden - Thriller-Paket mit 7 Venedig-Krimis. Meinhard-Wilhelm Schulz

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Название Venedig sehen und morden - Thriller-Paket mit 7 Venedig-Krimis
Автор произведения Meinhard-Wilhelm Schulz
Жанр Зарубежные детективы
Серия
Издательство Зарубежные детективы
Год выпуска 0
isbn 9783745212631



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war aber genau die Gegend, in der gerade erst vier Frauen ermordet worden waren, dachte ich, auf dem knatschenden Stuhl hockend und vor Müdigkeit fast wegtretend.

      »Sein Palast liegt nur wenige Gehminuten von dort entfernt, wo wir die Spur des Mörders verloren haben, letzte Nacht«, flüsterte mir Volpe ins Ohr.

      »Leben Ihre Eltern noch?«, fragte di Fusco.

      »Nur meine Mutter.«

      »Wie heißt sie? Wo haust sie?«

      »Maria Augusta Tiepolo; in der ‚Calle Larga, unmittelbar unterhalb des ‚Rio di Santa Sofia‘, mit Blick auf den Kanal.«

      Volpe warf mit einen vielsagenden Blick zu.

      »Warum tragen Sie nicht den Namen Ihrer Mutter?«

      »Mein Vater war, äh, gestorben. Der verwitwete kinderlose Graf d‘ Inceto hat mich adoptiert. Er starb kurz nach der Adoption. Ich erbte Namen und Titel von ihm.«

      »Wie ist Ihr Verhältnis zur Mutter?«

      »Wir verstehen uns einmalig gut. Ich habe sie lebenslang geliebt und liebe sie. Sie ist eine wunderbare Frau. Es könnte keine bessere geben.«

      »Gilt solches Lob auch für Ihren leiblichen Vater?«

      Der Conte blickte versteinert zu Boden, knirschte mit den Zähnen und schwieg. Ambrosio sagte:

      »Also nicht.«

      »Er ist schon lange, lange tot. Er starb, als ich erst acht Jahre alt war. Ich hasse ihn bis heute.«

      Volpe flüsterte mir zu:

      »Jetzt weiß ich endlich, wo der Bursche seine Wurzeln hat. Ich kenne mich da aus. Im besagten Haus befindet sich ein Metzgerladen. Er ist zurzeit verpachtet … und als sein Vater starb, Signore Antonio Tiepolo, wurde er vom Conte adoptiert.«

      »Signore Conte, Sie sind also ein Adoptivkind. Welchen Beruf übte Ihr, äh, leiblicher Vater aus?«, fragt Ambrosio, der sich bereits informiert hatte, den Gefangenen gnadenlos:

      »Metzger«, flüsterte der Conte erbleichend. Für einen Augenblick lang schien es so, als schluchzte er.

      »Und was geschah mit dem Laden, als Ihr Vater starb?«

      »Meine Mutter hat ihn verpachtet, bis heute. Sie lebt von der Miete und dem, was ich ihr zustecke. Sonst hat sie ja nichts als mich. Aber ihre Wohnung im Obergeschoss hat sie behalten. Es ist eine nett und gemütlich eingerichtete Behausung.«

      Er blickte liebevoll in irgendeine Ferne, als er dies sagte und lächelte versonnen. Uns blieb das nicht verborgen.

      »Gut«, sagte der Tenente zu dem Amtsdiener, der hinter ihm stand und auf Befehle wartete, »lass jetzt unsere Männer herein kommen, wie vereinbart.«

      Zehn seiner Untergebenen, diesmal in Zivil, ganz so, als wären sie zum Einkaufsbummel unterwegs, betraten den Raum und stellten sich in einer langen Reihe an der hinteren Wand auf. Zwei uniformierte Carabinieri bugsierten den Grafen zwischen den ersten und zweiten von links, und schon klopfte es an. Ambrosio rief sein obligatorisches »entrate – herein«.

      Ein Polizist betrat den Raum, gefolgt von einer jungen Frau. Er salutierte zackig vor dem Tenente und sagte:

      »Hier ist die gewünschte Zeugin. Ich habe sie abgeholt und her geleitet: Meine sehr verehrten Herren, hier ist die stadtbekannte Faustkämpferin und italienische Meisterin, die sich ‚la donnola‘ (das Wiesel) nennt.«

      »Salve, signorina donnola«, sagte der Tenente jovial, »bekanntlich hattest du letzte Nacht Gelegenheit, den Mörder aus der Nähe zu sehen, nicht wahr?«

      »Gewiss, Signore Tenente, aber das Licht war schlecht; die nächste Laterne zu weit entfernt.«

      »Gut, dann wollen wir hier ähnliche Verhältnisse herstellen. Signore Furio, löschen Sie bitte das Licht bis auf dieses kleine Wandlämpchen.«

      Der Angestellte tat, wie geheißen:

      »Ist es so recht?«

      »Ja, mein Tenente.«

      »Dann drehe dich jetzt um! An der Wand stehen elf Männer von ungefähr gleicher Größe. Welcher könnte der Täter sein?«

      Die Boxerin schritt die starr stehende Reihe zweimal ab, um dann zielstrebig vor dem zweiten Mann von links stehen zu bleiben. Sie betrachtete ihn eine Zeitlang, während wir alle den Atem anhielten. Dann sagte sie:

      »Nur mit diesem da hatte der Mörder eine gewisse Ähnlichkeit; alle anderen scheiden aus.«

      »Bist du dir da sicher?«

      »Nicht ganz. Ich möchte ihn auch im Profil sehen.«

      Die Wachmänner drehten den Grafen so, dass man ihn zuerst von rechts, dann von links betrachten konnte. Er ließ es sich gefallen, ohne eine Miene zu verziehen:

      »Ihr Götter«, stöhnte die Donnola, »er ist es! Es ist der gesuchte Mann. Jetzt bin ich mir meiner Sache sicher. Allerdings war er ganz anders gekleidet als jetzt. Er trug eine Kapuzenjacke.«

      »Danke, vielen herzlichen Dank, liebe Donnola, du hast uns sehr geholfen.«

      »Kann ich jetzt gehen?«

      »Gewiss doch, du Zuckerpuppe. Ich werde dich beim nächsten Kampf anfeuern; arrivederci, Kleines!«

      Die Boxerin lief vor Freude feuerrot an, verbeugte sich und verließ, von zwei Polizisten eskortiert, den Raum. Ambrosio sagte zu den anderen zehn Männern:

      »Vielen Dank, meine Kameraden! Auch ihr habt uns weiter geholfen. Auch ihr dürft jetzt gehen, Feierabend, und Sie, verehrter Conte, nehmen bitte wieder Platz.«

      Während der Graf sich, eisig drein blickend, auf den angebotenen Stuhl setzte, stürmte ein junger Polizist ins Vernehmungszimmer hinein. Er wedelte mit einem seltsamen Stück Textil und stieß unartikulierte Schreie aus. Als ihn Ambrosio streng anblickte, riss er sich zusammen und sagte:

      »Mein Tenente! Das schmutzige Ding da habe ich soeben an der Rialtobrücke einem Tippelbruder für fünf Euro abgekauft. Ich denke, es ist der gesuchte Poncho.«

      »Zu schön, um wahr zu sein«, rief Ambrosio, während Volpe mit einem Satz nach vorne federte, um das Kleidungsstück zu mustern. Es war aus rabenschwarzer Seide gefertigt, in welche ein grauer Faden eingewebt war, der es schillern ließ.

      »Das ist es, denke ich«, sagte Volpe und begann damit, den unteren Saum der Jacke abzutasten, bis er mit genießerischem Grunzen »heúreka!«(‚ich hab‘s gefunden‘) schrie. Und schon zauberte er einen Fetzen aus der Tasche hervor und hielt ihn an den ausgefransten Saum des Ponchos: Er passte genau hinein!

      »Das sollte für eine Anklage genügen«, sagte Ambrosio. Ich nickte. Volpe hielt sich vornehm zurück. Der Conte murmelte, es müsse sich um eine Verkettung ungünstiger Umstände handeln, denn er sei frei von jeder Schuld.

      Dann ließ ihn der Tenente in die Arrestzelle bringen. Das geschah, während der Capitano Marcello das Haus betrat, um sich den Verhafteten einmal gründlich anzusehen. Zwei Polizisten begleiteten ihn ins Gelass. Aber nach kurzer Zeit schon verließ er kopfschüttelnd die Zelle und sagte zu di Fusco:

      »Nun bin ich mir sicher, dass ich diesen Kerl schon einmal gesehen habe, aber ich weiß nicht mehr, wo.«

      »Er ist Sohn des verstorbenen Fleischermeisters Tiepolo aus der ‚Calle Larga‘; in Venedig aufgewachsen, wo er jeden Pflasterstein kennen sollte; Adoptivkind des verstorbenen Conte d‘ Inceto.«

      »Irgendwie und irgendwann bin ich mit ihm schon einmal aneinander geraten. Was war es nur?«

      »Ich kann dir da auch nicht weiterhelfen. Am besten, denke ich, wäre es, wir ließen uns zur Metzgerei bringen, um uns einerseits die Bude, andererseits die dort noch lebende Frau Mama zu Gemüte zu führen. Noch steht uns ein Wenig Tageslicht zur Verfügung. Machen