Die Vertrauensfrage. Jutta Allmendinger

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Название Die Vertrauensfrage
Автор произведения Jutta Allmendinger
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783411913084



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Vertrauens, den diese Theorie in Bezug auf die Wirtschaft behauptet, findet sich durch international vergleichende Umfragen bestätigt. Höheres Vertrauen in Fremde geht demnach mit Wirtschaftswachstum und besserer Ausbildung der Bevölkerung einher. Aber nicht allein ökonomische, sondern auch psychische und soziale Faktoren wie Lebenszufriedenheit oder eine geringere Selbstmordrate hängen mit höherem Vertrauen zusammen.7 Was diese Ergebnisse nicht erklären können: Was war zuerst da? Das Vertrauen? Das Wirtschaftswachstum? Die Zufriedenheit?

      Um diese Fragen zu beantworten, muss man sich genauer anschauen, auf welchen Ebenen Vertrauen aufgebaut wird und welche Arten des Vertrauens sich unterscheiden lassen. Im Kleinen gibt es zunächst das, was man »partikulares Vertrauen« nennt. Es basiert auf Beziehungen zwischen Personen, die sich persönlich kennen oder deren Verhalten weitgehend gegenseitig bekannt ist. Solches Vertrauen besteht in Familien, zwischen Freunden, im Idealfall am Arbeitsplatz. Wir sprechen vom kleinen Wir.

      Grundlage ländervergleichender Analysen ist demgegenüber das »generalisierte Vertrauen«. Es basiert nicht auf konkreten Beziehungen zu Menschen, die man persönlich kennt, sondern auf dem Bild, das man von seinen Mitmenschen im Allgemeinen hat. Warum dieses generalisierte Vertrauen in einzelnen Ländern so verschieden ausgeprägt ist, wird seit Jahrzehnten diskutiert. Die jeweiligen Erklärungen lassen sich vor allem danach unterscheiden, aus welcher Richtung sie argumentieren: von unten nach oben – oder umgekehrt.

      Im ersten Fall wird vor allem die Rolle bürgerschaftlichen Engagements betont. Mit ihm und insbesondere seinem Verfall hat sich der amerikanische Politikwissenschaftler Robert Putnam auseinandergesetzt.8 Er fragte, wie Demokratien funktionieren, und fand die Antwort im sozialen Kapital. Darunter versteht Putnam drei eng miteinander verbundene soziale Mechanismen. Erstens das Vertrauen. Zweitens Normen der Gegenseitigkeit: Ich helfe in der Erwartung, dass mir in der Zukunft geholfen wird. Und drittens freiwillige Vereinigungen, also Vereine oder auch losere Gruppen etwa in der Nachbarschaft, in denen diese Gegenseitigkeit gepflegt und soziales Vertrauen aufgebaut werden kann.

      In solchen Vereinigungen lernen die Menschen die Grundnorm der Demokratie, das gegenseitige Geben und Nehmen, und damit das daraus erwachsende Vertrauen. Putnam geht davon aus, dass sich dieses zunächst noch partikulare Vertrauen in der Nachbarschaft oder im Verein schließlich auch auf die Gesellschaft insgesamt übertragen lässt, also zu einem generalisierten Vertrauen wird. Vertrauen beginnt im Kleinen und geht dann ins Allgemeine.9

      Andere argumentieren genau umgekehrt und sagen, es seien die großen politischen Rahmenbedingungen, die darüber bestimmten, ob eine Gesellschaft von generalisiertem Vertrauen geprägt sei oder nicht. Als überzeugend hat sich in diesem Zusammenhang insbesondere die Analyse der sozialstaatlichen Modelle erwiesen. So lässt sich zum Beispiel zeigen, dass in den breit ausgebauten Sozialdemokratien Skandinaviens das Vertrauen zwischen den Menschen sehr hoch ist.10

      Vertrauensvorschuss

      Jutta Allmendinger

      An einer Universität ist eine wichtige Professur zu besetzen. Es geht um viel. Die nächste Exzellenzrunde steht an, man sucht ein Zauberwesen: international wissenschaftlich ausgewiesen, breit aufgestellt, neugierig auf die Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen, kollegial, bereit, sich für die Belange der Universität einzusetzen, den Diskurs mit Politik und Öffentlichkeit zu suchen.

      Ich leite die Berufungskommission. Anhörung folgt auf Anhörung. Begeisterung kommt nicht auf, von einer Einigung ist die Kommission weit entfernt. Ein Mehrheitsentscheid? Eine Neuausschreibung? Ich muss entscheiden.

      Trotz zunehmender Frustration macht mir das Verfahren von Beginn an Freude. Das liegt hauptsächlich an einem mir völlig unbekannten Kommissionsmitglied, einer jungen Frau, selbst Professorin an einer kleinen Universität, Mutter dreier Kinder. Ihre Fragen sind hellwach, zeigen ein breites Wissen, zeugen von Humor. Keine Verbissenheit, keine Show. Ihre Art ist von einer sehr bescheidenen Selbstverständlichkeit.

      Es braucht eine Weile, dann aber klickt es: Eigentlich suchen wir dieses Kommissionsmitglied. Ich sondiere. Die Einwände kommen schnell: Die Publikationsliste ist zu dünn, die weitere Entwicklung unklar. Drei Kinder. Erwerbstätiger Ehemann. Zu hoch das Risiko. Zu hoch der Vertrauensvorschuss.

      Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt. Neuer Anlauf.

      Das Kommissionsmitglied wird eingeladen und angehört. Anschließend Diskussionen über die Vermessung von Potenzial: Wo stünde die Frau, hätte sie keine Kinder? Wie viel Forschungszeit kostet ein Kind? Gibt es Mengenrabatte bei drei Kindern? Dann: viel Mut. Noch mehr Vertrauen. Berufung. Die junge Frau ist mittlerweile ein Star in ihrem Fach.

      Formal war das Verfahren nicht korrekt. Heute wäre es nicht mehr möglich, zu befürchten wäre eine Wettbewerbsklage. Klare Verfahrensregeln schaffen Vertrauen. Das Vertrauen in das Potential der Menschen ersetzen sie nicht.

      Unser Konzept

      Wie unterschiedliche Menschen in Kontakt kommen

      In unserem Ansatz wollen wir einen anderen Blick vorschlagen. Wir wollen nicht fragen, ob Vertrauen von oben nach unten oder umgekehrt herzustellen ist. Wir konzentrieren uns vielmehr ganz auf den relationalen Aspekt von Vertrauen, fragen also zum einen, in welche Beziehungen die Menschen gesellschaftlich eingebunden sind, und zum anderen, inwiefern diese Beziehungen von Vertrauen geprägt sind oder nicht. Für ein »gesundes« Vertrauen, das Grundlage gesellschaftlichen Zusammenhalts sein kann, müssen wir zunächst zwei Bedingungen beachten. Erstens, dass der Kontakt zwischen unterschiedlichen Menschen überhaupt möglich ist. Zweitens, dass die Ungleichheit in der Gesellschaft insoweit begrenzt bleibt, dass ein solcher Kontakt auf Augenhöhe stattfinden kann.

      Grundlegend für die erste Bedingung sind die Arbeiten von Mark Granovetter. Der amerikanische Soziologe und Ökonom untersuchte in den 1970er-Jahren, wie Informationen zwischen unterschiedlichen sozialen Kreisen fließen. Dazu schaute er sich die Berufslaufbahnen von Ingenieuren in Boston an und fragte: Wie kommen die Leute eigentlich an ihre Jobs? Das Ergebnis: Nicht Stellenanzeigen und auch nicht enge Freunde halfen dabei. Stattdessen waren es entferntere, flüchtige Bekanntschaften, die die entscheidenden Informationen gaben.11

      Die Erkenntnis, die Granovetter daraus zog, war so einfach wie genial: Enge Bindungen zwischen Menschen gehen oft mit großer Ähnlichkeit einher – einem ähnlichen Milieu, ähnlichen Orten, ähnlichem Einkommen, ähnlichen Ansichten und ähnlichen Freunden. Alle Mitglieder solcher engen Kreise haben demzufolge auch Zugang zu ähnlichen Informationen. Weiß es einer, wissen es alle. Je enger diese Kreise sind, desto schwerer finden neue Informationen ihren Weg in sie hinein. Bei der Jobsuche zeigte sich der große Nachteil dieser Enge. Nahe Bekannte konnten den Jobsuchenden kaum mehr mitteilen, als diese eh schon wussten. Umgekehrt hieß das: Schwache Beziehungen erwiesen sich als die eigentlich starken. Wer entferntere Bekannte nach offenen Stellen fragte, bekam nicht nur mehr Empfehlungen, sondern auch eine größere Vielfalt davon.

      Granovetters Entdeckung hängt unmittelbar mit dem Vertrauen zusammen. Die kleinen Wirs von Familie und Freunden beruhen, wie schon gesagt, auf einem partikularen Vertrauen. Doch damit alleine ist noch keine Gesellschaft zu machen. Sie entsteht erst im Austausch zwischen den sozialen Kreisen. Jede und jeder Einzelne braucht dafür aber nicht nur soziales Kapital, das enge Bindungen aufbaut, sondern auch ein soziales Kapital, das Brücken baut. Putnam unterscheidet in diesem Sinne das bonding capital vom bridging capital.12 Letzteres sah im Fall der jobsuchenden Ingenieure in Boston etwa so aus: Wer im beruflichen Alltag nicht nur engen Kontakt zu Kollegen, sondern auch ein weitreichenderes, lockereres Netzwerk hatte, profitierte von diesen Beziehungen außerhalb der eigenen kleinen »Blase«.

      Die Chance zum Kontakt muss jedoch nicht an die Menschen selbst gebunden sein. Unter dem Begriff des kontextbasierten Vertrauens wird in den Sozialwissenschaften heute mehr denn je diskutiert, wie unterschiedliche Räume vertrauensbildend wirken können. Im Zentrum stehen dabei Nachbarschaften, weswegen in der einschlägigen englischsprachigen Literatur auch von community trust die Rede ist. In der Nachbarschaft kennt man zwar manche, aber nicht alle Leute. Die Kenntnis der wenigen wird durch den Kontext, den die Nachbarschaft herstellt, jedoch verallgemeinerbar. Das heißt, durch die nachbarschaftlichen Beziehungen