Delete. Petra Ivanov

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Название Delete
Автор произведения Petra Ivanov
Жанр Учебная литература
Серия
Издательство Учебная литература
Год выпуска 0
isbn 9783858827814



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      Leo pfeift leise. «Okay, Indianer, ganz ruhig. Wir suchen jetzt deine Kollegen auf und holen uns die Kohle. Wann will dich der Russe treffen?»

      «Das geht nicht!» Meine Stimme klingt fast wie die von Julie. «Es sind alles Köche! Die arbeiten heute. Vermutlich haben sie das Geld nicht mal dabei! Ich dachte … du könntest mir aus der Klemme helfen.»

      Leo bleibt stehen. Plötzlich sieht er wieder so schwer aus. Als er den Kopf schüttelt, breitet sich ein komisches Gefühl in meinem Magen aus. So, als würden ein Dutzend Regenwürmer darin tanzen. Oder Junikäfer.

      «Ich zahl’s dir zurück!»

      «Ich bin pleite.»

      Seit ich Leo kenne, träumt er von einem eigenen Auto. Er hat zwar noch keinen Führerschein, aber wenn es so weit ist, will er sich einen gebrauchten BMW kaufen. Im ersten Lehrjahr musste er seinem Vater den ganzen Lohn abliefern, aber seit er achtzehn ist, darf er einen Teil davon behalten. Er gibt keinen Rappen aus. Dass er die Wände nicht mit Bankauszügen vollpappt, grenzt an ein Wunder.

      «Du musst zur Polizei», sagt er leise.

      Die Regenwürmer in meinem Magen führen eine Stuntshow auf. Auch wenn mir die Sache mit der Bewährung egal wäre, kann ich nicht zur Polizei. Wenn mein Vater von der Geschichte erfährt, bin ich tot.

      Plötzlich geht die Tür auf, und Julie streckt den Kopf rein.

      «Schon mal was von klopfen gehört?», schnauzt Leo sie an.

      Julie rollt die Augen. «Das geht schon zwei Wochen so», erklärt sie mir. «Seit er von New York erfahren hat.»

      «New York?», wiederhole ich.

      «Hast du’s noch nicht gehört? Wegen Nic?»

      Ich schüttle den Kopf.

      «Sie darf in New York vortanzen! An einer bekannten Schule!» Julie strahlt. «Ich weiss einfach, dass sie es diesmal schafft. Ihr Programm ist echt flippig! Eine Mischung aus Ballett und Hip-Hop, einfach super. Sie hat einen eigenen Style. Das hat sie dir zu verdanken, Leo. Sie hat es mir selbst gesagt. Ohne dich hätte sie nie Hip-Hop-Schritte eingebaut.»

      Leo schlägt mit der Faust gegen die Wand. New York. Kein Wunder, will er morgens nicht mehr aufwachen. Vielleicht werden wir bald wieder zusammen zocken.

      Julie reisst das Fenster auf. «Komm schon, mach dich bereit. Nic kommt jeden Moment.»

      «Ich komm nicht mit», sagt Leo. «Ich hab zu tun.»

      «Du musst! Wir brauchen dich!»

      «Ihr könnt den Stoff ohne mich aussuchen. Mir ist es schnuppe, was ich anziehe.»

      «Bitte, Leotrim!» Als er nicht einlenkt, fügt Julie hinzu: «Nic wird enttäuscht sein.»

      Leo verzieht das Gesicht.

      Eine Freundin zu haben, ist ziemlich anstrengend. Ich war mal einige Monate mit einem Mädchen aus der Parallelklasse zusammen. Plötzlich konnte ich nicht mehr tun und lassen, was ich wollte. Es war, als hätte ich mich in einen Anhänger verwandelt. Sie fuhr irgendwohin, und ich holperte hinterher.

      «Chris kann ja mitkommen», schlägt Julie vor.

      Bevor ich etwas sagen kann, klingelt es an der Haustür. Leo poppt aus dem Raum und verschwindet im Bad. Julie wirft mir einen flehenden Blick zu, aber ich tue so, als bemerke ich ihn nicht. Mit einem Seufzer verlässt sie das Zimmer. Kurz darauf höre ich Nicoles Stimme.

      Auf einmal kommt mir eine Idee. Nic ist an der Goldküste aufgewachsen. Seit ihr Vater im Knast sitzt, wohnt Nic zwar mit ihrer Mutter in der Stadt, aber sie trifft sich immer noch mit reichen Tussis. Vielleicht kann sie das Geld auftreiben.

      Ich schlendere aus dem Zimmer, die Hände in den Hosentaschen vergraben.

      Nicole lächelt, als sie mich sieht. Ihre Zähne sind so gerade wie die Latten eines Gartenzauns. «Hey, Chris! Schon lange nicht mehr gesehen! Wie geht’s?»

      «Okay.»

      «Kommst du auch mit? Shoppen, meine ich?»

      «Nö.»

      «Schade. Wollen wir uns alle über Mittag im Mac treffen? Was meinst du?»

      Wenn Nic etwas fragt, will sie eine Antwort. Ein Schulterzucken reicht nicht. Sie steht dann einfach da und wartet wie mein Vater, aber ohne den bohrenden Blick.

      «Ich weiss nicht», sage ich.

      «Leo will nicht mitkommen», platzt Julie heraus.

      Nicole stemmt die Hände in die Seiten.

      Leo kommt frisch geduscht auf uns zu. Sein Blick klebt an Nicole. Wenn sie in der Nähe ist, sieht er nichts anderes mehr. Sie küsst ihn. Ich schaue weg. Leo ist mir unheimlich. Er mutiert in Nics Gegenwart zu einem anderen Wesen.

      «Stimmt das?», fragt Nic. «Du willst nicht mitkommen?»

      Leo schiebt seine Finger in ihr Haar. «Mir ist etwas dazwischengekommen.»

      «Julie braucht den Stoff heute, sonst wird sie nicht rechtzeitig fertig!» Nic macht einen Schritt zurück, so dass sich Leos Finger in der Luft bewegen.

      Ich räuspere mich und versuche, etwas zu sagen, doch niemand beachtet mich.

      Nic redet weiter, darüber, wie wichtig die Kleider seien, dass sie bei diesem Tanzevent gut aussehen müssten, dass sie lange dafür geübt hätten, es Ehrensache sei, man sich in der Szene kenne und überhaupt. Julie stimmt ein, und gemeinsam bombardieren sie Leo, der sein Gewicht von einem Fuss auf den anderen verlagert.

      Es riecht nach Bratenjus, jemand kocht zu Mittag.

      Auf einmal läutet mein Handy.

      «Hast du die Kohle?», fragt der Russe.

      Im Hintergrund höre ich Lily weinen. Ich bringe keinen Ton heraus.

      «Verdammt, Mann, es ist mir ernst!»

      «Ich weiss», stottere ich. «Bitte …»

      «Deine Bitten kannst du dir sonst wohin stecken. Ich will die Kohle! Und zwar sofort! Sonst kannst du deine Schwester vergessen!»

      Stille.

      «Alli wänd es stuck vo eim», singt Phenomden. «Vom ganze chueche wänds ä kei.»

      Ich registriere, dass die Kopfhörer um meinen Hals liegen, begreife nicht, warum ich Phenomden trotzdem hören kann. Der Reggaerhythmus hallt mir in den Ohren, jeder zweite Schlag ist laut: tic, bumm, tic, bumm. Ich wiege mich im Takt der Musik. Befinde mich auf einer Schaukel, die nicht anhalten will. Plötzlich packt jemand das Seil. Ich rutsche von der Sitzfläche. Falle hinunter. Reisse die Augen auf. Ich stehe mit dem Rücken zur Wand, meine Knie zittern.

      Julie hält mich am Arm fest. Ihre Augen sind rund. Nic kommt auf mich zu, die Hand ausgestreckt. Irgendetwas klappert. Es sind meine Zähne.

      10:42

      Ich sitze auf dem Sofa und wiederhole die Geschichte. Julie hat die Hand vor den Mund geschlagen, Nic kaut auf ihrer Unterlippe. Leo kann nicht stillsitzen. Er geht ans Fenster, dann zum Sessel, dann wieder ans Fenster.

      «Du musst zur Polizei!», stösst Nic aus.

      «Wenn er das macht, kommt er wegen Dealen dran!», entgegnet Leo.

      Nic wird laut. «Soll er deswegen das Leben seiner Schwester aufs Spiel setzen?» Sie schaut mich an. «Das hast du nun vom Kiffen! Ich hab dir immer gesagt, dass es bescheuert ist!»

      «Der Russe tut ihr bestimmt nichts», widerspricht Leo. «Er will nur die Kohle. Sobald er sie hat, gibt er Lily zurück. Er ist ja nicht völlig durchgeknallt.»

      «Und wo treiben wir so viel Geld auf?», will Nic wissen.

      Julie schleicht aus dem Raum.

      Mein Hirn hat sich ausgeklinkt, dafür nehme ich Sachen wahr, die mir vorher