Название | Wolken über Gut Schönwiesen |
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Автор произведения | Stefan Kretzschmar |
Жанр | Контркультура |
Серия | |
Издательство | Контркультура |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783347048614 |
Nach einem kurzen Moment ließ er mich in den Vorraum eintreten. Herr Brettschneider kam die Treppe herunter und begrüßte mich freundlich. Im Herrenzimmer übergab ich ihm die Schmucksachen. Er begutachtete die wunderschön verarbeiteten Wertstücke eine Weile von allen Seiten und beurteilte sie als hervorragende Arbeiten. Er legte beide vorsichtig in ihre Etuis zurück und danach versteckte er sie in einer Schublade seines Sekretärs. Er fragte mich, wann ich wieder zurück müsste. Ich sagte ihm, dass ich noch einen Tag in Wolfenbüttel bleiben wolle. Mich interessiere die Stadt sehr, die Leute und besonders das Schloss. `Sehr gut´, sprach Herr Brettschneider und klopfte mir fast väterlich auf die Schulter. Er bot mir an, bis morgen bei ihnen zu bleiben und er würde sich darum kümmern, dass ich am nächsten Tag in der Früh nach Hause fahren könnte.
Ich schlenderte den ganzen Nachmittag, bis die Kirchturmuhren sechs Uhr läuteten, durch die belebten Gassen und Straßen von Wolfenbüttel. Beim Abendbrot bei der Familie Brettschneider erfuhr ich, dass ich mit seinem Zwillingsbruder Walter bis nach Vienenburg am nächsten Morgen mitfahren könne. Da ich sehr müde vom vielen Herumlaufen war und sehr zeitig am Morgen aufstehen musste, zog ich mich auf mein Zimmer zurück, wo ich auf dem Bett sofort tief und fest einschlief.
Nach einem herzhaften Frühstück verabschiedete ich mich von der Familie Brettschneider. Schnell stieg ich danach in die vorgefahrene Kutsche mit Kutscher ein. Der Zwillingsbruder, Walter Brettschneider, begrüßte mich freundlich und die Fahrt begann. An diesem kalten Februartag wurde es gar nicht so richtig hell. Die dicken Schneewolken am Himmel ließen keine Sonnenstrahlen hindurch. Der Wind stürmte immer schneller über die Felder und Auen. Als wir durch die Wälder fuhren, beugten sich die Bäume gefährlich zur Seite und teilweise auch über die engen Waldwege, auf denen wir unterwegs waren. Der Kutscher trieb die beiden Pferde immer wieder zu schnellerem Tempo an. Am späten Nachmittag setzte Schneetreiben ein. Es gab nur eine Hoffnung, wir mussten noch vor Einbruch der Dunkelheit die Pferdetauschstation im Hessischen erreichen. Mit Müh und Not erreichten wir die Station. Auf dem Gelände vor der Gastwirtschaft standen schon einige ausgespannte Planwagen und Kutschen. Die nicht sehr befahrenen Straßen, die von hier aus in alle vier Himmelrichtungen weiter führten, waren durch den herumwirbelnden Schnee schon fast nicht mehr zu erkennen. Der Kutscher, Herr Brettschneider und ich eilten mit hochgeschlagenen Mantelkragen zum Wirtshaus. Beim Öffnen der quietschenden, schweren Eichenholztür schlug uns der Mief aus der Kneipe entgegen. Es war ein Gemisch aus saurem Wein und Tabakrauch, das uns um die Nase wehte. Nach dem Eintreten in die große Wirtsstube waren einige Blicke auf uns Neuankömmlinge gerichtet. Beim Schein der flackernden Kerzen konnte man für den Moment gar nicht so recht erkennen, wer an den Tischen saß. Wegen des schummrigen Lichts in der Wirtschaft und den lauten Unterhaltungen der Gäste wurde mir etwas mulmig zumute. Zum Glück hatte ich ja noch die beiden kräftigen Männer, den Kutscher und Herr Brettschneider, um mich herum. Die Wirtin trat an uns heran, sie zeigte auf einen Tisch in einer Nische, an dem noch genügend Platz für uns drei war. Nachdem wir die Bestellungen abgegeben hatten, schauten wir uns erst einmal um. Der Raum war gefüllt mit Reisenden und Fuhrmannsleuten. Die Gäste mussten wohl schon einige Zeit hier drinnen sitzen. Die vernebelte, stark nach Tabak riechende Kneipenluft wollte einfach nicht durch die weit geöffnete Zwischentür, die zum zweiten Kneipenraum führte, abziehen. Nach einer Weile, die warme Suppe mit Brot war verzehrt und der Humpen Bier fast leer, wurde die Tür zur Wirtschaft aufgestoßen.
Der draußen tobende Schneesturm, wirbelte seine weißen Schneeflocken durch die geöffnete Eingangstür in die Gastwirtschaftsstube. Ein Trupp hessischer Soldaten und etwa acht Männer, in ihre Mäntel eingehüllt, traten polternd in die Wirtsstube ein. Etwas erschrocken schauten sich einige Leute nach der Truppe um, die sich offenbar nicht zu benehmen wusste. Der Korporal von den fünf hessischen Soldaten brüllte sofort los. `Wir brauchen Wein und Bier und zwar etwas plötzlich!´ Die Wirtin stellte sich mit all ihrer Größe vor den kleinen, dicken, brüllenden Korporal. `Wenn sie hier weiter so herumschreien werfe ich sie hochkant zur Tür wieder hinaus, haben sie mich verstanden?´ Dem Anführer verschlug es erst einmal die Sprache. Er konnte es kaum glauben, dass es ein Weibsbild wagte, so mit ihm zu reden. Die Wirtin schleuderte ihm gleich noch ein paar weitere Worte an den Kopf. `Sie sind nicht der erste Werber, der bei mir nichts bekommen hat. Da vorn am Tisch links neben der Eingangstür ist noch Platz für ihre Truppe,´ sagte sie ruhig und zeigte zum einzigen noch freien Tisch in der Gaststube. Verblüfft und ziemlich sprachlos ließ der Korporal die Truppe dort Platz nehmen. Im Blickwinkel hatte er die Bilder an der einen Wand gesehen, von wo es über eine Treppe zu den Gästezimmern ging. Die Bilder zeigten einen hessischen ulanen Reiteroffizier und einen Hauptmann der Garde. Er wusste sofort, wenn er hier über die Stränge schlüge, würde er bestimmt den Knast von innen sehen. Die Truppe hatte inzwischen an dem zugewiesenen Tisch Platz genommen. Die Wirtin und zwei flinke Mädchen schleppten in Krügen Bier und Wein heran. Die Soldaten soffen und fingen an Soldatenlieder zu grölen. Dieser Lärm war kaum auszuhalten, doch plötzlich, ich schaute ein zweites Mal zu dem Tisch, wo die Soldaten und die rekrutierten Männern saßen. Ich traute meinen Augen kaum. Einer der Männer war Konrad, mein bester Freund aus Kassel, der vor einigen Jahren mit seinen Eltern und Geschwistern nach Goslar gezogen war. Ich stand auf und lief am Tisch der grölenden schon ziemlich betrunkenen Soldaten vorbei. Ich wollte zum Schein am Ausschank die abgebrannte Kerze unseres Tisches erneuern lassen. Konrad war wie vom Blitz getroffen als er mich endlich erkannte. Er gab mir heimlich Zeichen, dass er etwas Wichtiges mit mir zu besprechen hätte. Am Ausschank stand die Wirtin und panschte die Getränke für die Soldaten. Mit einem unguten Gefühl fragte ich die Wirtin, ob sie den bestimmten jungen Mann aus der Truppe dort am Tisch hierher holen könnte. Die Wirtin schaute mich musternd an. `Das muss ja was sehr Dringendes sein, wenn Euer Gnaden mich beauftragt, einen Rekrutierten aufzufordern mit mir an den Tresen zu gehen.´ Es dauerte nicht lange und Konrad stand neben mir. Er flüsterte mir aufgeregt ins Ohr: `Du kannst nicht nach Hause zurück, du musst abhauen ins Preußische.´ Die Wirtin, die Ohren hatte wie ein Luchs, schnappte beim Vorbeigehen nur `ins Preußische´ auf. Daraufhin hakte sie uns unter und zog uns beide mit in die Küche. `Das ist heute die beste Gelegenheit um abzuhauen´, sagte sie entschlossen und nicht gerade überrascht. Sie gab uns jeden noch eine wärmende Decke für die Nacht mit und schob uns durch das geöffnete Küchenfenster in die stürmische kalte Nacht hinaus. `Was war denn das?´ - erst als wir mit dem Dunkel der Nacht eins wurden fragten wir uns, warum uns die stämmige Wirtin geholfen hatte. Weder Konrad noch ich konnten uns diese gottesgütige Handlungsweise erklären. Es bleibt wohl auch für immer und ewig ein Geheimnis, was die Wirtin dazu bewogen hatte uns zu helfen.“
„So Felix, und jetzt erzähle ich meinen Teil der Geschichte.“ Alle schauten nun weiter wissbegierig auf Konrad.
„Hm, also, wo fange ich denn gleich an.“ Er überlegte einen Moment und begann mit seiner Erzählung. „Schon Ende des Jahres 1776 im November erhielt ich die Aufforderung, mich bei der Rekrutierungsstelle in Kassel zu melden. Ich wurde zu den hessischen Jägern einberufen. Ich sollte mich für die nächsten Wochen bereithalten bis die hessischen Soldaten mit dem Schiff von Europa nach Amerika transportiert würden. Anfang Dezember fegte ein schwerer Schneesturm durch die Wälder von Hessen und bis Wolfenbüttel hinauf. Auf den Hauptwegen, welche das Fürstentum Hessen und die Grafschaft Wolfenbüttel verbanden, waren viele Bäume entwurzelt worden und auf die Verbindungswege gestürzt. Es wurde jeder verfügbare Waldarbeiter zu Aufräumarbeiten herangezogen. So wurde auch ich von hoher Stelle aus für diese Arbeiten verpflichtet. Unsere Familie hatte vor einigen Jahren das Forsthaus nördlich von Goslar bezogen. Mein Vater hatte dort eine neue Anstellung als Revierförster bekommen. Zwei Tage vor Abreise in die Wälder um Wolfenbüttel kam Albert Steinbach, der Vater von Felix, zu uns ins Forsthaus.“
Alle vier Vogelsangs nickten wohlwollend mit den Köpfen, als sie den Namen ihres Verwandten hörten. „Er bat mich, nach kurzer Unterredung, Felix in Wolfenbüttel zu suchen um ihm mitzuteilen, unverzüglich ins Preußische nach Magdeburg zu Onkel Max zu reisen. Albert drückte mir die Hand und sagte zu mir: `Konrad, egal was du unternehmen musst, du musst Felix unbedingt finden. Wenn Felix zu den Soldaten gezwungen wird und dann nach Amerika geschickt wird, überlebt er das sicher nicht´. Ich versprach Albert alles, was in meinen Kräften stand, zu tun, um Felix zu finden. Zuerst fuhr ich mit einer Kolonne Waldarbeiter in die Nähe von Wolfenbüttel,