Der Defibrillator. Claudia Fischer

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Название Der Defibrillator
Автор произведения Claudia Fischer
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783347108691



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gehe, denken, der kleine Hund heißt „Entschuldigung“. Das ist lustig, passt aber gar nicht. Denn mittlerweile bin ich davon überzeugt, dass der Hund keine einzige Entschuldigung ist. Er benimmt sich wie ein Hund. Für ihn ist das normal. Für das Sein in der Welt übrigens auch!

      Außerdem ist die Lage am Hafen mit dem Blick auf die Elbe sowieso auch irgendwie eine Mogelpackung. Das scheint Wuffi auch längst gemerkt zu haben. „Das Tor zur Welt“…. Allein schon dieser Name, der noch die Prägung einer finsteren Zeit in Deutschland mit sich rumschleppt. Und wenn man da steht, heißt das nicht unbedingt, dass man über die eigenen kleinen Grenzen hinweg denken kann. Dafür muss man Orte eigentlich verlassen und sich anderes anschauen. Da stehen die Chancen viel besser, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen und Empathie für andere Lebewesen zu entwickeln, die auf den ersten Blick erstmal total verschieden von dem zu sein scheinen, für was man sich selbst hält. Häufig dauert die Zeit bis zum zweiten Blick nicht sehr lange und man stellt fest, dass sich die angenommene Grundverschiedenheit in Luft auflöst. Natürlich kann man am Hafen mit diesem Blick ein wenig verweilen. Ist dann aber auch nicht viel anders als sich daheim eine Fototapete mit dem Strand von Ko Phi Phi anzuschauen und sich einzureden, man wäre dort. Nützt ja beides nix, wenn man nicht auf Entdeckungsreise geht.

      Wuffi erinnert mich irgendwie an einen Defibrillator. Defibrillatoren gibt es in der ganzen Stadt, Hunde auch. Sie sollen Leben retten, das tun Hunde allerdings auch manchmal. Es gibt sogar welche, die speziell dafür ausgebildet werden. Eines muss man über Defibrillatoren unbedingt wissen: sie nehmen dir die Arbeit nicht ab!

      Die Symbole, die anzeigen, dass sich in der Nähe ein Defibrillator befindet, gibt es überall in der Stadt. Hunde auch. Sie sind besonders gekennzeichnet. Das sind Hunde allerdings nicht. Manchmal stürmen sie ohne Signal plötzlich auf dich zu, wenn sie nicht an der Leine sind. Das ist Wuffi allerdings immer, zur Sicherheit!

      Defibrillatoren sind da, um das Herz zu „resetten“. Das muss man erstmal verstehen. Bei Computern würde man „platt machen“ sagen. Die Computerstimme eines Defibrillators sagt dir genau, was du machen sollst, wenn du mal in die Situation kommst, ein Leben zu retten. Die Stimme sagt dir, wohin die Platinen kommen. Hast du sie angebracht und ein Stromstoß wird abgegeben, musst du mindestens 50 cm von der Person entfernt sein. Das sagt dir die Stimme aber auch. Dann beginnt die Arbeit. 30 Mal das Herz anstoßen, dann zwei Mal beatmen. Das Beatmen ist wichtig, obwohl sie häufig in den Medien darüber informieren, dass man es auch weglassen kann. Die Statistik sagt aber, mit dem Beatmen ist die Wahrscheinlichkeit ohne Schäden zu überleben, größer. Also: atmen!

      Atmen ist generell nicht verkehrt. Ruhig durchatmen kann einen manchmal sogar richtig weit bringen im Leben!

      Wuffi hat manchmal Atemprobleme. Bei Yorkis schiebt sich der Kehldeckel manchmal vor die Luftröhre. Ist halt total überzüchtet diese Terrierart. Sie sind ursprünglich dazu gezüchtet worden, um Ratten zu fangen. Deshalb steht Teddy so hoch im Kurs und aus diesem Grund sind Yorkshire Terrier so klein. So kommen sie in jedes Loch. Gleich nach der Bestimmung als Rattenfänger kam die Sache mit den langen Haaren und den Preisen. Letzteres ist noch nicht ganz vorbei. Einen Preis würde Wuffi nicht gewinnen, wenn dann den der Herzen und das längst nicht bei allen. Die Gruppe seiner Fans wäre übersichtlich. In jedem Fall ist es wirklich schon eine Weile her, als der Yorkshire Terrier sich vom Wolf losgelöst hat.

      Die Menschen und die Wölfe haben sich irgendwann zusammengetan, weil sie feststellten, dass sie die gleiche Nahrung bevorzugen. So kam es dazu, dass die Wölfe neben der Lager der Menschen ausharten. Ab und zu bekamen sie dann die Reste vom über dem Feuer gebratenen Festmahl und ihre Mägen gewöhnten sich an das gekochte Fleisch. Gleichzeitig entstand ihr Bewachergeist, sie fingen an, das Territorium der Menschen zu beschützen. Das macht Wuffi heute noch, und wie! Das können Männer mit Besen, Katzen, undefinierte Geräusche im Treppenhaus und wie gesagt – blöde Lieder im Radio sein. Die Gefahr, die von solchen Liedern ausgeht, ist nicht zu unterschätzen! Manche Lieder haben außergewöhnlich dümmliche Texte, da ist man manchmal froh, wenn es in einer Sprache verfasst ist, die man nicht versteht oder zumindest ungenügend!

      Nun sagt die Forschung, dass die Wölfe irgendwann angefangen haben zu bellen, um Kontakt zu den Menschen aufzunehmen. Wuffi nimmt gerne Kontakt auf zu Menschen! Das Bellen unterstützt er noch, indem er sich bei besonderen Personengruppen an die Hosenbeine hängt: an den gemeinen Postboten zum Beispiel. Wuffi macht da gar keine Unterschiede, ob der nun verbeamtet ist oder nicht. Nein, Wuffi behandelt da alle gleich. Das Lästige an den noch wenigen verbeamteten Postboten ist allerdings, dass sie regelmäßiger kommen, weil sie eben müssen. Die kommen sogar, wenn die Post an sich streikt. In den übrigen, den privatisierten Fällen darf man damit rechnen, dass die armen überlasteten Mitarbeiter einfach nicht hinterherkommen mit dem Zalando-Wahn.

      Für Wuffi ist es einfach komplett unverständlich, dass ein bereits vertriebener Postbote einfach am nächsten Tag wiederkommt und dann noch dazu so ein lächerliches Stück Papier durch den Schlitz in der Tür steckt. Dieses Papier fällt immer auf Wuffis Kopf, da er schon bei dem ersten Geräusch versucht, sich unter der Tür durchzugraben. Er versäumt nicht, jedes Mal ein gebelltes „das gilt ein für alle Mal“ hinterher zu rufen. Ich vermute, er macht sich tiefe Gedanken über Beamte…. Aber sicher wissen werde ich das nie. Ich muss auch zugeben, dass ich ihn selten verstehe. Aber Mühe gibt er sich, das ist keine Frage!

      Sehr wahrscheinlich findet er auch mein Verhalten meistens ziemlich unangemessen, es sei denn, ich schnupper an ihm. Das findet er gut.

      Wuffi verweist Menschen und Hunde beim Gassi gehen gerne auf die angemessene Abstandshaltung. Fährt ein Fahrrad auf dem Bürgersteig ganz dicht hinter uns oder an uns vorbei, egal ob durch die Klingel vorangekündigt oder nicht, springt er in die Richtung und bäumt sich auf. Laut bellend macht er darauf aufmerksam, dass man mit dem Fahrrad nicht auf dem Bürgersteig fahren soll und schon gar nicht Mensch und Hund von hinten erschrecken darf. Bei kleinen Kindern auf dem Fahrrad ist er manchmal gnädig, aber nicht immer. Das Muster, das er anwendet, kann ich noch nicht so genau deuten. Kinder sollen geschützt vor Autos auf dem Bürgersteig fahren, nur Erwachsenen ist es eigentlich in unserer Stadt untersagt.

      Jede Stadt hat ihre eigenen Kapazitäten und Regeln für Fahrradfahrer. Ich glaube, wäre Wuffi ein Mensch, wäre der ideale Job für ihn in der Straßen-Verkehrs-Überwachungs-Behörde zu arbeiten. Vielleicht gibt es die gar nicht, aber sie müsste für Wuffi erschaffen werden, bzw. Wuffi ist ideal erschaffen für diese Form von öffentlichem Dienst. Jedes Mal, wenn jemand bei Rot über die Ampel geht, macht er einen Höllenalarm. Mein Gefühl sagt mir, dass er sowohl für den Innen- als auch für den Außendienst sehr geeignet wäre. Draußen, wie schon dargelegt, besser mit Leine.

      Wuffi gehört ganz klar an die Leine. Das kann man gar nicht oft genug sagen. Die Leine kommt mir übrigens manchmal so vor wie eine Nabelschnur. Wir nähren uns gegenseitig über sie mit Informationen. Ohne Filter transportiert sie offensichtlich meine Stimmungen zu ihm. Ungeachtet dessen, ob ich entspannt und fröhlich oder angespannt und gestresst bin. Je nachdem, wie ich an der Leine ziehe, gelegentlich zerre, kommt es in der gleichen Wucht zurück. Ich wünschte, ich hätte mehr Einfluss darauf.

      Aber Gefühle sind ehrlich und man hat auch keinen Einfluss auf sie. Wenn man sich im Laufe seines Lebens an das Außen und an andere Menschen anpasst, lernt man, dass man seine Gefühlslage nicht oder nur ganz ausgewählt nach außen präsentieren darf. Natürlich hat das eine gewisse Logik. Wenn menschliche Begegnungen daraus bestehen würden, dass man sich hemmungslos gegenseitig seine Gefühle an den Kopf wirft, wäre die ganze Zivilisation davon getragen. Sie würde aber selbst nichts mehr tragen können. In so einer Welt, jedenfalls glaube ich das, könnte sich nichts entwickeln. Kein Zuhören, keine Rücksicht, keine Einsicht, keine Disziplin, nur man selbst in der eigenen Gefühlssuppe. Keine schöne Vorstellung.

      Das Gegenteil ist die Situation, von der ich denke, dass sie recht häufig existiert. Die Haltung, die man einnimmt, ist nicht kongruent mit dem, was man sagt. Wuffi würde, wenn er sprechen könnte, dazu sagen: „Sag doch einfach, dass jemand lügt!“ Ich würde antworten: „Lügen ist ein großes Wort.“ Wuffi würde erwidern: „Ja! Sogar ein dickes und verwerfliches!“ Das Gespräch wäre dann zu Ende, weil Wuffi, wie schon erwähnt, kein Freund großer Worte ist. Ich schon mehr,