Название | Lottes bunter Lebensherbst |
---|---|
Автор произведения | Gabi Ebermann |
Жанр | Контркультура |
Серия | |
Издательство | Контркультура |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783347093829 |
Die Heimfahrt nach der Trauung, die letzte Nacht im Heim, Julia, die mit ihr zum Flughafen gefahren war, das Einchecken, die Sicherheitskontrollen, bis hin zum Platznehmen im Flieger, das alles hatte sie wie in Trance erlebt. Sie wusste nicht einmal, ob es real war oder nur ein Traum. Sie schwebte in so einer Art Zwischenwelt, als würde sie neben ihrem Körper stehen und sich selbst aus der Ferne zusehen. Lotte vermutete daher, dass es sich tatsächlich nur um eine Fantasievorstellung handelte.
Miki und Tom neben ihr fühlten sich jedoch durchwegs real an. Sie hatten sie in ihre Mitte genommen und hielten ihre Hände. Lotte blickte durch das kleine Fenster und sah dem emsigen Treiben rund um den Flieger zu. Gerade wurden die Koffer unter ihnen verstaut. Es geschah alles ganz zügig, ohne jede Hektik. Es handelte sich um alltägliche Handgriffe für die Flughafenmitarbeiter.
Im Flugzeug selbst herrschte eine spürbare Unruhe. Die Menschen drängelten zu ihren Sitzreihen und verstauten das Handgepäck über ihren Köpfen. Wie gut, dass Lotte das schon aus sicherer Entfernung beobachten konnte, denn sie hatten den Flieger fast als erste Gäste betreten und ihre Plätze längst eingenommen. Lottes Blick war zwar auf das Geschehen gerichtet, ihr Kopf fühlte sich aber leer an, sie konnte das alles nicht richtig aufnehmen. Vielleicht hatte sie doch zu viele von den Beruhigungstropfen genommen?
Egal, sie fühlte sich verlangsamt und das war vielleicht gut so. Sie saß ganz still da und versuchte, sich zu besinnen. Ihre Freundin Klara hatte ihr eingebläut, sich in der ersten Phase des Fluges nur auf das Atmen zu konzentrieren. Sie wollte gleich damit beginnen: tief ein- und ausatmen. Es funktionierte, in Lotte breitete sich eine angenehme Ruhe aus. Sie war so müde.
Miki rüttelte sie sanft. „Aufwachen, meine Liebe!“, Lotte rekelte sich und wusste im ersten Moment gar nicht, wo sie sich befand. Als sie bemerkte, dass sie bereits in Dubai gelandet waren, war sie fassungslos. Da hatte sie sich ein ganzes Leben lang vor dem Fliegen gefürchtet und dann schlicht und einfach alles verschlafen. Das konnte doch nicht möglich sein, den ganzen vermeintlich so schrecklichen Sinkflug hatte sie einfach nicht mitbekommen. Kein Ohrensausen, keine Panik und schon gar kein Sturzflug. Ihr immer wiederkehrender Albtraum war eine einzige Farce gewesen.
Der zweite Teil des Fluges, von Dubai nach Sydney, gestaltete sich nicht ganz so einfach, Lotte war beim Start sehr angespannt und hatte schweißnasse Hände. Diesmal wollte sich auch kein gnädiger Schlaf einstellen. Miki erklärte Lotte das Entertainmentprogramm im Flieger. Er schlug vor, sie sollte sich vorstellen, sie wäre im Kino. Er stöpselte ihre Ohren mit kleinen Kopfhörern zu und startete eine Staffel der „Big Bang Theory“. Er wusste, dass Lotte diese Serie mochte. Und tatsächlich konnte sie sich ein wenig entspannen und den Gedanken, wirklich in einem großen abgedunkelten Saal vor einer riesigen Leinwand zu sitzen, ein bisschen genießen. Sie wusste gar nicht, wann sie zuletzt in einem Kino gewesen war und versuchte, nicht daran zu denken, dass sie sich tausende Kilometer über der Erde befand. Ihre angeschwollenen Beine und der Druck in den Ohren ließen diesbezüglich aber kaum einen Zweifel aufkommen. Sie konnte nichts essen, nur zum Trinken zwang sie sich, schließlich wollte sie ihren beiden Begleitern nicht noch mehr Scherereien machen. Sie nickte dann doch noch ein, döste kurz vor sich hin, nur um erschreckt wieder hochzufahren. Zur Ablenkung betrachtete sie die endlosen Wolkentürme, die an dem kleinen Fenster vorbeizogen. Schafe, ein Haifisch und ein Segelboot. Sie versuchte sich darauf zu konzentrieren, in welchen Formationen die Gebilde am Himmel scheinbar schwerelos an ihr vorbeitanzten. Die Wolken sahen wie flauschige Knäuel aus, wie kleine Häschen, die sich aneinander kuschelten. Dann hatte sie wieder das Gefühl, als würde sie Federn sehen, die sich zu sanften Flügeln formierten. Ob Theo und Johanna sie wohl begleiteten auf ihrer langen Reise? Diese Vorstellung gefiel Lotte sehr gut und mit einem Mal fühlte sie sich sicher und behütet. Zudem wirkte das Naturschauspiel so dicht vor ihrer Nase beruhigend auf sie.
Der Flug dauerte eine kleine Ewigkeit, doch Lotte wusste, mit jeder Minute kam sie ihrer Familie ein Stück näher. Ihr Herzrasen schob sie auf die Vorfreude.
Diesmal bekam sie den Landeanflug uneingeschränkt mit. Das Ohrensausen verstärkte sich, ihre Hände waren zu Fäusten zusammengeballt und ihre Augen hingen weiter unruhig am Fenster. Es war bereits dunkel draußen. Die bunten Lichter der Stadt unter ihnen wurden größer und größer. Das Rumpeln der ausfahrenden Räder und das Aufheulen der Triebwerke brachten ihren Puls zum Rasen, das Adrenalin schoss ihr in alle Poren, ihre Hände waren klatschnass. Bitte lass jetzt nichts mehr schiefgehen. Ein weiteres Poltern und dann war das Flugzeug auch schon sicher auf dem Boden gelandet. Es fuhr noch endlos dahin, aber sie hatten Sydney tatsächlich erreicht. Endlich! Sie war ihrer Familie schon ganz nahe, das spürte sie. Das Flugzeug rollte aus und Lottes Anspannung begann augenblicklich einer ungeheuren Seligkeit zu weichen. Eine Träne lief über ihre Wange. Sie fühlte sich wie erschlagen und ihre Beine waren steif, aber sie spürte zugleich unermessliches Glück in sich aufsteigen.
In wenigen Minuten würde sie ihre Tochter und ihre Enkel in die Arme nehmen. Diese Vorstellung war unbeschreiblich schön. Lotte konnte es kaum erwarten, bis sie alle Koffer vom Laufband genommen hatten und endlich Richtung Ausgang gingen. Sie fühlte sich wieder wie in Trance, ihre Hände waren noch immer verschwitzt und ihre Wangen von den Strapazen und der Aufregung ganz rot. Sie vermochte nur noch an Lisa und die Kinder zu denken.
Miki und Tom wichen nicht von ihrer Seite, um sie im Gewühl der durcheinanderlaufenden Ankömmlinge nicht zu verlieren. Als sie schließlich in die Ankunftshalle strömten, sah sie gleich das große Transparent. „Willkommen Oma Lotte“ stand dort in riesigen Lettern. Es war mit vier großen roten Herzen verziert. Sie sah zuerst die beiden Jungs, die es hielten. Aaron und William. Ihr Herz machte Luftsprünge und vor lauter Glückseligkeit wurde es ihr ganz warm. Wie groß sie schon waren, ihre „Babys“. Als sie dann Lisa erblickte, weinte sie vor Freude. Die Tränen kullerten unaufhörlich über ihre Wangen. Diesen Moment würde sie nie wieder im Leben vergessen. Es war unglaublich und Lotte war unendlich dankbar. Sie lief los so schnell es ihre zittrigen geschwollenen Beine zuließen. Miki und Tom ließ sie einfach samt den Koffern stehen. Alles rund um sie versank. Sie hatte nur noch Augen für ihre geliebte Tochter und die beiden Buben.
3
Alexander lächelte im Schlaf, gluckste, rollte sich auf die andere Seite und schlief friedlich weiter. Er hatte Lotte aus ihrem Tagtraum gerissen.
Die Wohnung lag ganz still da, Miki und Tom waren nicht zu sehen. Es hatte bereits zu dämmern begonnen.
Lotte war in solchen Dingen geduldig genug. Sie konnte warten. Die angekündigten „unvorhergesehenen Ereignisse“ würden nicht verloren gehen. Sie hoffte nur inständig, dass keine Katastrophe ihrer aller Glück jäh zerstören würde. Wie glücklich sich doch alles gefügt hatte in den letzten Jahren, sie wollte einfach nichts davon hergeben. Vielleicht war ja alles halb so schlimm, sie wollte nicht wirklich an einen Unglücksfall glauben.
Lotte schloss die Augen und nickte selbst ein wenig ein. Sie fand Anschluss an ihren Tagtraum, in dem sie Lisa in ihren Armen hielt und wiegte wie ein kleines Kind. Sie hielten sich endlos lange fest, und als Lottes Knie aufgehört hatten zu zittern, spürte sie, wie sich innerer Frieden in ihr breitmachte. Sie drückte ihre Tochter weiter ganz fest an sich, atmete ihren vertrauten Duft ein, strich immer wieder durch ihr Haar und stammelte unentwegt „Ich liebe dich“. Wie hatte sie das vermisst! Wie hatte sie es um Himmelswillen nur all die Jahre ohne ihre Familie ausgehalten. Sie musste wirklich verrückt gewesen sein.
Als sie sich endlich voneinander trennen konnten, waren ihrer beiden Augen von den Glückstränen stark gerötet. Die Zeit schien für die Dauer der Umarmung stehen geblieben zu sein. Für einen kurzen Augenblick hatte die Welt aufgehört, sich zu drehen.
Wie durch einen Schleier nahm sie nun auch ihre beiden Enkel wahr und zog sie, zum ersten Mal in ihrem Leben, in die Arme. Sie waren beide schon größer, als Lotte es erwartet hatte. William, mit seinem roten Schopf und dem zarten, sommersprossigen Gesicht, wirkte mit seinen zehn Jahren schon fast jugendlich. Aaron sah man gleich an, dass er der Clown in der Familie war, er grinste übers ganze