Beschützerin des Hauses (Neuauflage). Marlene Klaus

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Название Beschützerin des Hauses (Neuauflage)
Автор произведения Marlene Klaus
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783862827565



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verunsichert, sprang ebenfalls auf. Ihre dummen Kuhaugen schimmerten feucht. Das konnte sie nun gar nicht brauchen. »Ich mach doch nur Spaß«, lenkte Agnes ein.

      »Bei dir weiß man das nie«, murmelte Elli.

      »Was ist jetzt mit der Heilmännin?«

      Elli schniefte, dann sagte sie in versöhnlichem Ton: »Der Gäßler sagt, die fährt nachts zum Schornstein hinaus und treibt’s im Wald mit dem Teufel.«

      »Das will der gesehen haben?«

      Elli nickte.

      »Wieso sagt er das nicht meinem Vater?«

      »Hat er, sagt er, behauptet, die Sache mit Baumann wäre nicht geheuer, man müsste untersuchen, ob die nicht was damit zu schaffen hat.«

      »Nicht geheuer?« Ob Gäßler doch etwas gesehen hatte? Mist, warum hatte sie nicht zu Ende gelauscht! Was sagte Elli da? Die Heilmännin? »Was soll die Heilmännin damit zu schaffen haben? Die hat ihn doch verbunden am Morgen. Und zum Bader geschleppt.«

      Agnes setzte sich und Elli tat es ihr nach.

      »Ja, aber …« Elli wurde sichtlich unbehaglich. Sie legte den Kopf schief und kratzte sich. An der Art wie sie guckte, erkannte Agnes, dass Elli eben erst aufging, dass das, was sie ihr zur Unterhaltung und Versöhnung erzählen wollte, möglicherweise eher dazu angetan war, ihren Zorn erneut auf sich zu ziehen. Sie konnte Ellis Unsicherheit fast riechen. Und der Geruch machte sie gierig.

      »Rede!«, befahl sie, was ihr einen Blick von Elli eintrug, der ihre Vermutung bestätigte. Elli hatte Angst vor einem weiteren Wutausbruch. Soll sie haben, dachte Agnes, betrachtete betont gelangweilt ihre Handinnenfläche.

      »Es geht die Rede … achGottachGott, du weißt, die Heilmännin ist nicht ganz sauber, man munkelt schon lange … und der Baumann ist der beste Freund vom Friedgard …«

      »Du machst mich krank, Elli, sag mir was los ist!«, unterbrach Agnes sie ungeduldig. Zu viel Angst war auch nichts. Da traute Elli sich kaum, das Maul aufzumachen.

      Elli erhob die Hände vor der Brust. »Die Leute meinen, die hätte den Baumann selber zusammengeschlagen. Aus Eifersucht. Dass der Friedgard nicht so viel Zeit mit dem zubringt. Damit sie ihn für sich hat.«

      »Für sich?« Aber kaum hatte Agnes dies ausgesprochen, dämmerte ihr, was Elli damit sagen wollte. Mit einem Satz sprang sie auf.

      »Was?! Eifersüchtig, weil die beiden Männer oft beieinander hocken?« Ihre Hände ballten sich zu Fäusten. »Sie soll Baumann niedergeschlagen haben, damit Friedgard mehr Zeit mit ihr verbringt?« Fast hätte sie laut aufgelacht.

      Elli zog in Erwartung eines Schlages den Kopf ein. Es kostete Agnes all ihre Willenskraft, nicht tatsächlich zuzuschlagen.

      Die Heilmännin! Immer und immer wieder die! Erst hockte Friedgard schon als Knabe bei ihr. Und kaum war er aus Heidelberg zurück – ohnehin eine Zeit, in der es dunkel geworden war in ihrem Leben –, trieb er sich wieder bei diesem Nachtschad herum. Was sollte sie, Agnes, da sagen? Sie bekam ihn doch noch weniger zu Gesicht! Und nun sollte die Heilmännin, … sie konnte es nicht einmal denken, so übel wurde ihr davon! Sie stapfte mit dem Fuß auf. Und erst als sie das Blut schmeckte, merkte sie, dass sie sich die Unterlippe noch einmal aufgebissen hatte.

      »Ach Agnes, geh, ich wollt’s ja nicht sagen. Aber die Leute reden schon länger …« Sie erhob sich ebenfalls und machte eine hilflose Geste. »Und es wundert mich, dass du’s noch nicht gehört hast.«

      Ellis Gesichtsausdruck wechselte von verzweifelt zu ängstlich, als Agnes sie ansah. Sie wich einen Schritt zurück. Aber Agnes war gar nicht imstande, sich zu bewegen. Sie fuhr sich mit dem Handrücken über die Unterlippe, um das Blut abzuwischen und starrte Elli an. Alle wussten es, nur sie nicht? Es konnte nicht sein. Es durfte nicht sein!

      »Aber wenn’s wahr ist, dann bloß, weil sie ihn verhext hat, sagen die Leute«, fügte Elli an.

      »Verhext«, murmelte Agnes benommen.

      Elli nickte. Dann kam sie wie eine fürsorgliche Mutter heran, wischte ihr mit dem Schürzenzipfel das restliche Blut vom Mund und führte sie sanft am Arm zurück zum Steinblock.

      »Pass auf«, sagte sie. »Wir machen den Zauber rückgängig. Du brauchst einen Liebestrank. Wendel, der Knecht vom unteren Freihof, sagt, die Wahrsagerin von Wiesental hätte einem Bauer in Gondelsheim sein störrisches Hausweib wieder gefügig gemacht und dann noch dazu seine Kuh geheilt, die zwei Wochen lang saure Milch gegeben hat.« Sie hielt inne und musterte Agnes aufmerksam. »Der Wendel kennt das Weib. Der sagt dir, wo du sie treffen kannst.« Elli legte den Kopf schief und wagte ein kleines Lächeln. »Du lässt dir einen Liebeszauber geben und dein Friedgard frisst dir aus der Hand!«

      Agnes hörte kaum, was Elli sagte. Der Drang, nach dem Dolch zu greifen, war übermächtig. Gedanken wirbelten ihr im Kopf herum. Barbara Heilmann, dieser Name stand für alles, was ihr Kummer bereitete. Es musste endlich ein Ende haben damit, dass dieses Weib ihr Leben zerstörte! Was sagte Elli? Hexerei? Wie dumm sie gewesen war! Wie anders sollte dieser Nachtschad es schaffen, Friedgard dermaßen an sich zu binden, wenn nicht mit Hexerei. Wie hatte sie nur so blind sein können! Hexerei war ein Fall für die Zent. Und ihr Vater war der Zentgraf. Neben dem Schultheiß der mächtigste Mann im Ort. Da musste sich doch etwas machen lassen. Plötzlich kam ihr ein neuer Gedanke: War dieses Gerede nicht eher ein Segen? Die Heilmännin stand ohnehin im Geschrei. Wenn es möglich wäre, ihr die Sache mit Baumann anzulasten … und wenn ihr Vater sie wegen Hexerei drankriegte … wäre sie diese Plage los. Und wenn er damit Erfolg vor der Zent hätte, würde Friedgard endlich begreifen!

      Agnes erhob sich, strich über den gelbbraunen Pelzbesatz ihrer Schaube. Der Winter dauerte noch immer an. Sie wollte, dass er aufhörte! Sie wollte mit Friedgard durch die Fluren streifen, wie sie das als Kinder getan hatten. Sie wollte den geliebten Blondschopf endlich in die Arme schließen. Und sie wusste, der Tag würde kommen.

      »Will aber das Herz, Mama, wo ist das Herz?«, plärrte Johannes. Ihr vierjähriger Halbbruder hockte auf dem hohen Holzstuhl, den Ingram, der Knecht, auf Anweisung ihres Vaters hatte zimmern müssen, damit der Junge mit am Tisch sitzen konnte.

      Agnes saß mit ihrer großen Familie, zu der auch die beiden Knechte und die Magd Bea gehörten, beim Nachtmahl. Aus den Zinntellern vor jedem Hausmitglied dampfte kräftige Hühnersuppe, angereichert mit Grünkern, Rüben und Petersilie.

      Agnes warf nur einen flüchtigen Blick hinüber zu dem blonden, drallen Kerlchen. Sie selbst ähnelte ihrer verstorbenen Mutter, deren Augen und zarte Statur sie geerbt hatte, worüber sie glücklich war. Aber diese kleine gelbe Made in ihrem Hochstuhl war ein Abbild seiner Mutter Susanne, Vaters zweiter Frau. Die runde Nase, die braunen Äuglein und sein Hausherren-Gebaren kamen ganz auf seinen Vater, dem er nacheiferte. Kein Wunder, schleppte der ihn doch so oft es ging überall mit hin, ließ den Vierjährigen, herausgeputzt wie ein Grafensöhnchen, im Sattel vor sich hocken und erklärte ihm von dort oben stolz die Welt.

      Johannes schmollte und wollte den Mund nicht aufmachen. »Will das Herz!«

      Agnes hatte sofort gesehen, dass sie das Herz nicht hatte. Sie bedauerte das. Heute Abend war sie besonders in Stimmung. Genussvoll hätte sie sich die zarte Innerei vor dem greinenden Kindergesichtchen in den Mund geschoben. Es war ein Spiel in ihrer Familie: Auf wessen Teller das kleine dunkle Herz des Huhns landete, wenn ausgeschöpft wurde, der zeigte es stolz herum und war Sieger des Mahles. Sei’s drum. Sie hatte es nicht.

      Bea schob schüchtern Gemüsebrocken mit dem Löffel umher, da hielt Philipp seinen Löffel hoch. Agnes sah ihn von der Seite an. Ihr Stiefbruder war schmal und schlaksig, blonder Flaum kräuselte sich an seinem Kinn. Er sah seiner Mutter Susanne zwar ähnlich, hatte aber nicht deren kugelrunde Statur. Ein schweigsamer Jüngling war er, der auch jetzt nicht viele Worte machte, sondern den Arm zu seinem Halbbruder hinstreckte, der ihm auf seinem Hochstuhl gegenübersaß. Das passte zu diesem blassen Schwächling, dass er das Herz hergab. Der konnte nicht mal ein Huhn schlachten! Dabei war es doch lustig, zu sehen, wie das dumme Tier noch ohne Kopf im Kreis herumlief wie ein