Название | World Runner (1). Die Jäger |
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Автор произведения | Thomas Thiemeyer |
Жанр | Детские приключения |
Серия | |
Издательство | Детские приключения |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783401808840 |
Der Gedanke an die bevorstehenden Ferien machte Tim wehmütig. Viele seiner Freude würden wegfahren. Nur die wenigsten blieben den Sommer über zu Hause. Sechs lange Wochen und kaum jemand da, mit dem man etwas unternehmen konnte.
Er stellte sein Fahrrad ab und eilte auf den Haupteingang zu.
Farid wartete bereits auf ihn.
»Na, Alter«, begrüßte er ihn mit breitem Grinsen. »Alles gut überstanden? Keinen Ärger gekriegt?«
»Um den zu kriegen, müsste ja erst mal jemand zu Hause sein«, sagte Tim. »Aber Dad war nicht da. Emily hat sich natürlich gewundert. Hat angefangen, Fragen zu stellen. Ich hab ihr erzählt, ich wäre beim Ruderclub am Decksteiner Weiher gewesen und gekentert. Hat sie sofort geglaubt, schließlich weiß sie, wie schlecht ich mit Booten zurande komme.«
»Dann weiß sie von nichts?«
»Niemand weiß das, nur du und ich«, sagte Tim. »Und dabei soll es auch bleiben, okay?«
Im Nachhinein wünschte er sich, er hätte die Aktion alleine durchgezogen. Dass Farid seine Niederlage live miterlebt hatte, war nun wirklich nicht nötig gewesen. Nicht, weil Tim wie ein nasser Sack ins Wasser gefallen war – so etwas konnte immer mal passieren –, sondern, weil er schlecht vorbereitet gewesen war. Zumindest fühlte es sich so an. Dieses verdammte Zahlenschloss! Aber wie hätte er das auch ahnen können? Er hatte zu Hause alles noch einmal nachgelesen, nirgendwo hatte es einen Hinweis auf ein zusätzliches Schloss gegeben.
Egal, Farid war sein Freund und würde die Klappe halten. Auf ihn war Verlass. Und den Film konnte man löschen.
Den Kopf voller Gedanken, betrat er das Schulgebäude.
Es war Montag. In der ersten Stunde hatten sie Deutsch bei Frau Limmer. Seine letzte Arbeit hatte Tim in den Sand gesetzt. Er musste dringend mündlich ein paar Punkte machen, um nicht kurz vor der Zeugniskonferenz noch auf die Vier abzurutschen. Einziges Problem: Auf dem Lehrplan stand Lyrik. Deutscher Expressionismus am Beispiel von Gottfried Benn. Der Name des Gedichtes lautete Krebsbaracke.
Ausgerechnet!
Tims Mom war letztes Jahr gestorben. Leukämie. Seitdem war das Thema Krebs tabu für ihn. Immer wieder hatte er diese Anfälle nackter Panik, die wie eine Flut über ihn hinwegbrandeten. Er konnte nichts dagegen tun. Sie kamen völlig unangekündigt und meist in den unpassendsten Momenten. Dann kochten die Emotionen unaufhaltsam in ihm hoch. Er bekam einen Kloß im Hals, sein Herz raste, Tränen schossen ihm in die Augen. Tim kostete es seine ganze Kraft, um nicht loszuheulen wie ein Mädchen. Der Gedanke an einen weiteren Panikausbruch reichte, um seine Hände schweißnass werden zu lassen. Er vergrub sie tief in seine Hosentaschen und trabte hinter Farid her. Montage. Er hatte sie schon immer gehasst.
Das erste Mal, dass ihm auffiel, dass etwas nicht stimmte, war, als sie die Abkürzung über den Glaskasten nahmen. Glaskasten nannten sie das eigenständige Treppenhaus, über das die oberen Stockwerke leichter zu erreichen waren. Der Weg führte gefährlich nahe am Lehrerzimmer vorbei, weshalb die meisten Schüler den Umweg über das Haupthaus in Kauf nahmen.
Eine Gruppe Schülerinnen aus der oberen Jahrgangsstufe lief vor ihnen, vermutlich auf dem Weg zu den naturwissenschaftlichen Räumen. Schnatternd und sich über irgendwelche Internetstars unterhaltend, breiteten sie sich über die gesamte Treppe aus. Als sie ihn und Farid sahen, verstummten die Gespräche und die Mädchen blieben stehen. Eine von ihnen, eine Schönheit mit haselnussbraunem Haar, sah Tim an, öffnete den Mund und brach in Kichern aus. Zwei andere machten große Augen, ehe sie Farid und Tim durchließen.
Das war merkwürdig. Normalerweise guckten die Mädchen aus der Oberstufe Jungs aus den unteren Klassen wie sie nicht mal mit dem Arsch an. Dass sie stehen blieben, um sie vorbeizulassen, fand Tim eigenartig. Dass sie sogar ihre Gespräche unterbrachen, verdächtig.
Kaum hatten sie die Gruppe hinter sich gelassen, begann das Geschnatter und Gelächter wieder von vorn. Lauter als zuvor. Tim blickte zurück. »Was war denn da los? Hast du so was schon mal erlebt?«
»Was denn?«, murmelte Farid.
»Na, das da eben. Erzähl mir nicht, das wäre dir nicht aufgefallen.«
Sein Freund blickte starr zu Boden. »Kein Plan, wovon du redest.«
»Du verarschst mich …«
»Tue ich nicht. Was weiß ich, was in deren Köpfen abgeht. Ist mir auch egal.«
»Hm.« Tim war nicht überzeugt. Mädchen waren ein Dauerthema bei ihnen. Je unerreichbarer, desto interessanter. Aber es war Montagmorgen, da tickten die Uhren scheinbar anders. Schweigend gingen sie ein paar Meter, dann fing Farid wieder damit an, den letzten Abend durchzukauen. »Dir ist doch nichts passiert, oder? Ich meine bei dem Sturz. Nichts verstaucht oder so?« Er tastete an ihm herum. Tim nervte diese übertriebene Fürsorge. »Mir geht’s prima«, sagte er. »Mach dir mal nicht ins Hemd.«
»Na ja, es war ein ganz schön tiefer Fall. Hättest dir mal den Film ansehen sollen. Da kann man echt Angst kriegen.«
»Jetzt hör aber auf«, sagte Tim. »Gegen einen Kopfsprung vom Zehn-Meter-Turm war das gestern ein kleiner Plumpser.« Er verschwieg, dass er für einen kurzen Moment echte Todesangst empfunden hatte. »Nur schade, dass es mein MP3-Player nicht überstanden hat«, sagte er. »Gibt keinen Mucks mehr von sich.«
»Oh, das tut mir leid«, sagte Farid. »Ein Glück, dass du dein Handy nicht dabeihattest. Das wäre sonst auch im Arsch gewesen.«
»Allerdings. Um den Player ist es nicht schade. Er war alt und nicht mehr besonders gut. Vermutlich ist er deswegen verreckt, weil ich so lange gebraucht habe, um aus dem Wasser rauszukommen. Ich hab echt die Strömung unterschätzt.«
»Ich auch«, sagte Farid hastig. »Ich bin das ganze Ufer mit dem Rad abgefahren und habe dich nicht gefunden. Mann, was habe ich mir Sorgen gemacht. Wer kommt auch drauf, dass du zur anderen Seite rüberschwimmst.«
»Ich habe dir doch gesagt, dass man dort besser rausklettern kann«, sagte Tim mit gesenkter Stimme. »Vermutlich hast du mir wieder mal nicht richtig zugehört. Ist auch egal jetzt. Mir wäre es lieber, wenn wir von was anderem sprechen. Muss ja nicht gleich die ganze Schule erfahren, was wir gestern getrieben haben.«
»Äh, jetzt, wo du es erwähnst«, Farid sah sich panisch um. »Es gibt da etwas, was ich dir sagen wollte …«
Tim stieß ein genervtes Grunzen aus. »Nicht jetzt, okay? Ich habe echt andere Probleme.«
»Wovon redest du?«
»Ich habe mich doch bei der Limmer für die mündliche Prüfung angemeldet, schon vergessen? Damit ich meine Note aufpolieren kann. Ich muss mich jetzt echt konzentrieren.« Er verschwieg, dass ihn dieses Gedicht so runtergezogen hatte, dass er keine Lust mehr auf irgendwas gehabt hatte. Nicht mal auf einen Chat mit seinem besten Kumpel.
»Na ja, dann eben später.« Irgendetwas lag Farid auf der Seele, das konnte Tim sehen. Aber was immer das war, es musste warten.
Als sie das Klassenzimmer erreichten, waren die meisten ihrer Mitschüler schon da und wieder hatte Tim ein etwas ungutes Gefühl, als er die anderen sah. In allen Ecken des Klassenzimmers wurde aufgeregt geredet und getuschelt. Als sie eintraten, erstarben die Gespräche – als hätte man bei einem Radio den Lautstärkeknopf auf null gedreht. Viele seiner Mitschüler warfen Tim interessierte Blicke zu, manche flüsterten hinter vorgehaltener Hand. Offensichtlich waren Farid und er die Einzigen, die keine Ahnung hatten, worum es ging. Oder?
Tim sah seinen Freund an. »Farid?«
Der schuldbewusste Blick verriet