Götter und Göttinnen. Manfred Ehmer

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Название Götter und Göttinnen
Автор произведения Manfred Ehmer
Жанр Религия: прочее
Серия Edition Theophanie
Издательство Религия: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783748210832



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Wesen, Nymphen, ganz zu schweigen von den Titanen und den uralten vorolympischen Göttern, dem Chaos, der Nacht und dem Äther. Ich möchte im folgenden Teil dieses Buches daran gehen, all diese Wesen darzustellen, ungefähr so, wie ein Portraitmaler, der Bilder malt, manchmal aber auch wie ein Zeichner, der eine grobe Skizze hinwirft. Ein Anspruch auf Vollständigkeit wird dabei nicht erhoben; dieser Band ist eine Sammlung von Essays, aber kein systematisches Lehrbuch der Mythologie. Bei den Portraits und Skizzen wird sicher auch manch Seltsames und Bizarres zutage treten. Und wir beginnen unser Panoptikum natürlich mit Zeus.

       Zeus ~ Dis Pater ~ Jupiter

      Höchster der Unsterblichen,

      viele Namen nennen dich,

      ewig allmächtiger Zeus,

      dich, Urquell allen Werdens,

      der nach ewigen Gesetzen

      herrscht im All, ich grüße dich, Zeus.

      Ja, ich darf’s. Allein von allem,

      was da lebt und kriecht auf Erden,

      ist ein Abbild er des Alls:

      wir sind deines Geschlechtes.

       Zeus-Hymnus des Kleanthes36

      Unter dem Namen Zeus verehrten die Griechen das höchste göttliche Prinzip, einerlei ob als konkrete menschliche Person vorgestellt oder als allgemeines Weltgesetz. Zeus ist der „Vater Äther“ in Hölderlins ergreifendem Hymnus, die alldurchdringende Lebenskraft; die Zeusnatur lebt aber auch in uns selbst, wie Kleanthes sagt („wir sind deines Geschlechts“). Diesen Gedanken griff später der Apostel Paulus auf, als er den Athenern vom „unbekannten Gott“ predigte: „Denn in ihm leben, weben und sind wir, wie auch einige der Dichter bei euch gesagt haben: Wir sind seines Geschlechts“ (Apg. 17,28). Zeus kann sowohl theistisch als auch pantheistisch gedeutet werden; Hölderlin besingt ihn in seinem Hymnus An den Äther so:

      Himmlischer! Sucht nicht dich mit ihren Augen die Pflanze, streckt nach dir die schüchternen Arme der niedrige Strauch nicht?

      Dass er dich finde, zerbricht der gefangene Same die Hülse, dass er, belebt von dir, in deiner Welle sich bade, schüttelt der Wald den Schnee, wie ein überlästig Gewand, ab.

      Auch die Fische kommen herauf und hüpfen verlangend über die glänzende Fläche des Stroms, als begehrten auch diese aus der Wiege zu dir; auch den edlen Tieren der Erde wird zum Fluge der Schritt, wenn oft das gewaltige Sehnen, die geheime Liebe zu dir sie ergreift, sie hinaufzieht.37

      In Zeus können wir nur allzu deutlich einen uralten indogermanischen Wetter- und Himmelsgott erkennen. Sein Name (altgriechisch Ζεύς, neugriechisch Δίας oder Dias) leitet sich von dem Wortstamm div- für „leuchten“ her und ist identisch mit dem Namen des höchsten Gottes im indogermanischen Pantheon. Auch die indischen Götter waren Devas, Leuchtende, und dis ist gleichbedeutend mit theos – Urform und Prototyp des Gottes überhaupt. Zeus ist Dis Pater, Gott-Vater, und somit Jupiter (im Lateinischen) oder Dyaus Pitar (vedisch). Der Name kennzeichnet ihn als den Gott des glänzenden, heiteren, hellen Himmels; er ist in erster Linie der Wettergott, der die Wolken versammelt, den Regen sendet, Gewitter heraufziehen lässt, oft den Donnerkeil schleudert und zuckende Blitze niederwirft, eine gefährliche Waffe im Kampf gegen die Feinde des Olymp, die als Titanen oder chthonische Götter zu denken sind. Als Wettergott thront er im Himmel oder auf hohen Bergen, und als Regenspender und Träger der Fruchtbarkeit ist er der Kultgemahl der Mutter Erde, mit der er die „Heilige Hochzeit“ vollzieht. Solche Gedankengänge verfolgt auch Pherekydes von Syros (den man üblicherweise zu den Vorsokratikern rechnet): „Zas (Zeus) und Chronos waren von Ewigkeit her, ebenso Chthonie; für Chthonie aber entstand der Name ‚Erde‘, da Zas ihr die Erde als Brautgabe zum Geschenk machte.“38

      Stellt man sich die Götter als Teile des Jahreskreislaufs vor, dann gehört Zeus in die Periode des Frühlings, denn Regen und Gewitter fallen in diesen Zeitabschnitt hinein; damit steht er in einer Reihe mit anderen indogermanischen Frühjahrsgöttern. Hier wäre etwa der baltische Perkunas zu nennen oder der bei den Slawen verehrte Perun: „Wie bei der Mehrheit der Indogermanen, so stand an der Spitze des slawischen Pantheons der Gott des Gewitters, Donners und Blitzes, unter dem Namen Perun bekannt“, so Zdeněk Váňa in seinem Standardwerk über die slawische Mythologie39. Bei den Kelten haben wir in ganz ähnlicher Gestalt Taranis, den Donnerer, bei den Germanen den hammerschwingenden Thor, ein Feind der Riesen und der Midgardschlange. Selbst bei den Hethitern, dem ältesten indogermanischen Kulturvolk, ist diese Gottheit bezeugt: „Der König des Himmels und Herr des Hethiterlandes ist vielmehr der Wettergott, von dem wir auch nur den altertümlichen hattischen Namen Taru (…) kennen, aber nicht den hethitischen.“40

      So sehr Zeus ein indoeuropäischer Gott sein mag – er besitzt auch Bezüge zur kretisch-minoischen Kultur. Hierher gehört vor allem der Mythos, der besagt, dass Zeus auf Kreta geboren und großgezogen wurde. Die Göttermutter Rhea, so die Erzählung, begab sich noch als Schwangere nach Lyktos auf Kreta und verbarg ihr Kind in einer Höhle des Berges Aigaion. Dort nahmen drei diktäische Eschennymphen, diktaiai meliai, das göttliche Kind in Empfang; als Amme des Kindes wird oft Adrasteia genannt, die das Neugeborene in eine goldene Wiege legte und ihm einen goldenen Ball schenkte, Symbole einer künftig zu erwartenden Weltherrschaft des Zeus. Und doch musste der Ort, an dem das Kind aufgezogen wurde, streng geheim gehalten werden. Denn der Vater aller Olympier, der Titanengott Kronos, trachtete Zeus nach dem Leben. Er hatte ja alle seine Kinder schon verschlungen, da er erwartete, von einem seiner Söhne gestürzt zu werden. Als Kronos aber Zeus verschlingen wollte, gab Rhea ihm stattdessen einen Stein: so wurde Kronos getäuscht und Zeus an jenen geheimen Ort gebracht, wo er aufwuchs.

      Es gibt auf Kreta mehrere Höhlen, die für sich in Anspruch nehmen, Geburtsort des Zeus gewesen zu sein; auch werden verschiedene Personen als dessen Amme genannt. Amaltheia beispielsweise, die das Kind aus ihrem berühmten Horn trinken ließ, dem Horn eines Stieres übrigens, und wenn das Kind schrie, rief sie Knaben herbei, die mit ehernen Schilden und Lanzen Lärm schlugen und wild umhertanzten; so wurde das Schreien übertönt. Diese Knaben wurden Kureten oder Kabiren genannt; sie waren wohl eher Baumnymphen als Menschen (Dryaden vielleicht, Nymphen der Eichen), und später rankte sich ein Kult um sie auf der Insel Samothrake. Dass Zeus später dann, groß geworden, den Kronos mit einer eisernen Sichel entmannte und von seinem Thron stürzte, wurde bereits erwähnt.

      Das sakrale Tier des Zeus war in erster Linie der Adler, sein heiliger Baum die Eiche, ein majestätischer Baum von ausladender Wucht, der Blitze anzieht. Sicherlich war mit Zeus ursprünglich auch ein Baumkult verbunden, und die älteste Mysterienstätte Griechenlands ist das dem Zeus geweihte Baumorakel von Dodona. Schon von Odysseus wurde behauptet, „er sei nach Dodona gegangen, um den Rat des Zeus aus dem Gipfel der Eiche zu lauschen“ (Odyssee XIV, 327). Dodona – so heißt ein hochgelegener dichtbewaldeter Ort bei Epirus im Norden Griechenlands, wo einst ein heiliger Eichenhain stand, dem Hauptgott Zeus und der Titanin Dione geweiht. Die Eichen zu Dodona konnten jedoch weissagen, denn es hieß, dass im Rauschen ihrer Blätter die Stimme des Göttervaters ertönte und den Ratschluss der Götter verkündete.

      Älter als das Orakel zu Delphi, älter noch als die Kultstätten des Zeus zu Olympia und Epidauros, älter vielleicht gar als die Mysterien von Eleusis und Samo-- thrake, stellt Dodona zweifellos das älteste Orakel auf hellenischem Boden dar, „dessen Einzelheiten uns anmuten, als sprächen wir von einem nordischen alten Götterkult unserer eigenen Heimat“ (von Scheffer)41. Priesterinnen weilten auch am heiligen Ort zu Dodona, drei an der Zahl, denen die Aufgabe zukam, die aus dem Rauschen der Eichbäume empfangene Stimme des Zeus so zu deuten, dass sie Sterblichen verständlich würde. Dieses Priesteramt in der Hand von weisen Frauen bildet wohl den Überrest einer matriarchalischen Urreligion, die vor der Einwanderung der indogermanischen Griechen etwa 1600 bis 1200 v. Chr. im gesamten südlichen Mittelmeergebiet sowie auf Kreta und in Kleinasien