Götter und Göttinnen. Manfred Ehmer

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Название Götter und Göttinnen
Автор произведения Manfred Ehmer
Жанр Религия: прочее
Серия Edition Theophanie
Издательство Религия: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783748210832



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sind hierbei sehr bemerkenswert, und sie verdienen es, genauer hervorgehoben zu werden:

      Izanami und Izanagi sind ein Götterpaar, und somit stellen sie eine männlich-weibliche Polarität dar. Es war also nicht ein isolierter männlicher Schöpfergott, der die Welt hervorgebracht hat, wie es in den Traditionen des Patriarchats so gesehen wird, sondern die Weltwerdung geht auf die Tat einer mann-weiblichen Paargenossenschaft zurück. Izanami und Izanagi verkörpern in diesem Sinne auch Yin und Yang, die mann-weibliche Ur-Polarität.

      Die „schwimmende Himmelsbrücke“, auf der sie beide stehen, ist ohne Zweifel der Regenbogen, der in der religiösen Mythologie der Völker eine so große Rolle spielt. Seit jeher galt der Regenbogen als die Brücke zum Reich der Götter. In der germanischen Mythologie haben wir etwa die Himmelsbrücke Bifröst, auf der die Götter zur Erde herabsteigen. Die Regenbogenbrücke Antahkarana gilt als die Brücke zur Geistigen Welt.

      Wenn die beiden Götter nun mit Hilfe eines Juwelenspeers die Salzflut aufrühren, so ist dies eindeutig eine Anleihe aus der indischen Mythologie. Dort wird nämlich berichtet, wie die Götter einst den Urozean aufquirlten, bis sie auf seinem Grunde Amrita, das Wundermittel der Unsterblichkeit, fanden.

      Wenn es in der Erzählung heißt, die Götter bauten auf der erstgeschaffenen Insel ein Haus mit einem Steinpfeiler in der Mitte, der „das Rückgrat der Welt“ ist, so verweist dies auf eine uralte Vorstellung, nämlich die den Himmel stützende Weltsäule. Sie wird auch die Weltachse oder axis mundi genannt. Zu diesem Thema schreibt Nelly Naumann in ihrem Buch Die Mythen des alten Japan: „Nach der Vorstellung nordasiatischer Völker wird der Polarstern, um den sich das Himmelsgewölbe dreht, geradezu als Himmelssäule angesehen oder doch als der Punkt, in dem sich der Himmel um die Weltsäule dreht. Diese Welt- oder Himmelssäule steht vor der Wohnung des ,Himmelsgottes’ und wird teilweise mit dem Himmelsgott selbst identifiziert. Verschiedene sibirische Völker haben Bilder der Himmels- oder Weltsäule angefertigt (…). Auch hier zeigt sich demnach eine Bilderwelt, die derjenigen des japanischen Mythos gleicht.“19

      Als ein weiteres mythisches Motiv wäre das der Heiligen Hochzeit zu nennen. Denn es wird berichtet, dass Izanami und Izanagi den Weltenpfeiler in je umgekehrter Richtung umgehen, bis sie in der Mitte wieder zusammentreffen; dies ist der Ort der Vereinigung, aus der weitere Götterkinder hervorgehen, vor allem Ebisu, der Gott der Fischer, und die acht Inseln Japans. An dieser Stelle geht der Mythos in Theogonie über, in die Lehre von der Gottwerdung und der Aufeinanderfolge der Göttergenerationen. Bei diesen Göttern handelt es sich um kosmische Götter, also um solche, die ganz direkt mit dem Naturgeschehen zu tun haben, nicht aber um transzendente Mächte.

      Die hesiodische Theogonie

      Hesiod (um 700 v. Chr.) war ein altgriechischer Bauerndichter aus Askra in Böotien, der das homerische Zeitalter durch zwei Hexametergedichte entscheidend ergänzte: Werke und Tage, 828 Verse und Theogonie, 1022 Verse, ein Werk, in dem erstmals eine systematische Darstellung der griechischen Götterwelt gewagt wird. Er bringt Ordnung und System in das bunte Göttergewoge Homers, stellt Zeus ganz in den Mittelpunkt, gibt auch einen Querschnitt durch die Entwicklung, indem er die ganze Reihe der aufeinander folgenden Götter-Generationen darstellt, von der ersten Urzeit bis zur Vollendung in der Gegenwart. Und wenn man sagt, dass Hesiod den Griechen ihre Götterwelt erst gegeben habe, dann muss man bedenken, dass er auch an vorindogermanisch-pelasgische Mythen anknüpft; ein Einfluss aus dem Orient ist zudem unverkennbar.

      Am Anfang seiner Theogonie schildert Hesiod seine Berufung durch die Musen, diese nämlich „lehrten einst den Hesiod schönen Gesang, als er Schafe weidete unter dem gotterfüllten Helikon“; sie händigen ihm den Rhapsoden-Stab aus und den Lorbeerkranz, als Hoheitszeichen seines Dichtertums, und dann hauchten sie ihm „eine weissagende Stimme ein, damit ich rühme, was sein wird und was vorher war“. Die Musen waren die inspirierenden Schutzgeister der Dichter; es gab neun an der Zahl, und die erste unter ihnen war Mnemosyne, das heißt die „Erinnerung“, das „Weltgedächtnis“ oder, esoterisch gesprochen, die Akasha-Chronik. Hesiod versteht sich also auch als ein Prophet, der um Zukünftiges wie um Vergangenes weiß, weil er aus dem Tableau der Welt-Erinnerung schöpft. Und nun beginnt Hesiod mit seinem gewaltigen Weltschöpfungsmythos. Er fängt an bei einem Urzustand, in dem es selbst die Götter noch nicht gab; sie waren noch nicht ins Sein getreten, es gab nur wogende Urmächte, die aus tiefsten Gründen auftauchen und ein formloses Material zu der Welt formen, wie wir sie heute kennen:

      Wahrlich, zuerst entstand das Chaos und später die Erde, breitgebrüstet, ein Sitz von ewiger Dauer für alle Götter, die des Olymps beschneite Gipfel bewohnen und des Tartaros Dunkel im Abgrund der wegsamen Erde, Eros zugleich, er ist der schönste der ewigen Götter; lösend bezwingt er den Sinn bei allen Göttern und Menschen tief in der Brust und bändigt den wohlerwogenen Ratschluss. Aus dem Chaos entstanden die Nacht und des Erebos Dunkel, aber der Nacht entstammten der leuchtende Tag und der Äther, schwanger gebar sie die beiden, von Erebos‘ Liebe befruchtet.20

      Hesiod führt uns hier den Zustand der Urschöpfung vor Augen. Und es ist eine interessante Tatsache, dass er als ersten Ursprung das Chaos setzt. Der Wortbedeutung nach heißt „Chaos“ so viel wie „Spalt, Höhlung“, das dazu gehörige Verb bedeutet „aufsperren, aufklaffen, gähnen“, es ist also eine klaffende Tiefe, ein gähnender Abgrund. Aber dieses Chaos ist auch ein schöpferisches Prinzip, eine Art kosmische Gebärmutter: die Nacht und der Erebos gehen aus ihm hervor, die ihrerseits zusammen den Tag und den Äther erzeugen. Allenthalben ist das Motiv der „Heiligen Hochzeit“ allgegenwärtig. Es ist die mystische Union von Nacht und Erebos, später dann auch die von Erde und Himmel. Eros ist dabei immer gegenwärtig, er fungiert als der kosmogonische Eros, als die allverbindende Kraft im Universum, die alle Polaritäten zusammenbringt und damit die Heilige Hochzeit überhaupt erst ermöglicht.

      Auch vom Tartaros ist im obigen Text die Rede. Er ist der tiefste Abgrund des antiken Welt-Kosmos; auch er gehört, wie das Chaos und die Erde, zu den Urzeugungsmächten, die seit Anbeginn bestanden; einsam steht er da, ohne Stammeltern und ohne Kinder; nur mit der Erde zeugt er das Ungeheuer Typhoeos. Streng genommen gibt es hier zwei Götter-Stammbäume, einmal die Kinder des Chaos (Nacht, Erebos, Tag, Äther), und dann die der Erde, die mit dem Himmel die Titanen und alle späteren Göttergeschlechter erzeugt. „Griechische Schau der Welt, griechisches Lebensgefühl kündet sich hier, gleich zu Beginn der Götterfolge an: ein zweifacher Ursprung, zwei polare Bereiche: Unform und Form, abgründige Tiefe und klare, feste Begrenzung; vage Todesdunkelheit … und gleichmäßig wandelnde Gestirne bestehen nebeneinander. Sie mischen sich nicht, die Nachkommenschaften von Chaos und Gaia gehen keine Verbindung ein, aber sie bekämpfen sich auch nicht, es ist kein Agon zwischen Unform und Form, zwischen den Ausgeburten des Chaos und den Kindern der Gaia.“21

       Ge ~ Gäa ~ Gaia

      CINIS SUM, CINIS TERRA EST,

      TERRA DEA EST, ERGO MORTUUS NON SUM.

      Ich bin Asche, die Asche ist Erde,

      Die Erde ist eine Göttin, also bin ich nicht tot.

      – Grabinschrift aus der römischen Kaiserzeit

      Die Erd ist unsere Mutter, Aditi ist Heimat,

      Der Luftraum schirmt uns gegen Fluch und

      Unheil.

      Der Vater Himmel segne uns vom Himmel;

      Wo ich die Brüder treffe, mög ich bleiben!

      – Atharvaveda VI, 120

      Bekannt sind die Namen, unter denen die zur Göttin erhobene Erde verehrt wurde: in der altgriechischen Kultur als Ge, Gäa oder Gaia, zuweilen auch als Demeter; in Rom als Terra Mater und im kleinasiatischen Raum als Kybele. Die Verehrung der Großen Muttergottheit, von der jungsteinzeitlichen Magna Mater bis hin zur ägyptischen Allgöttin isis, war nichts anderes als ein Kultus der Göttin Erde. Die ältesten Kunstwerke