Blick auf den Nil. Karim Lardi

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Название Blick auf den Nil
Автор произведения Karim Lardi
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783749778676



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Überall erstreckten sich weitläufige Rasenflächen, auf denen Schafe grasten. Im Schatten der Oliven-, Granatapfelbäume und der Palmen, die sich schlank und elegant erhoben, rasteten die Fellahs und die Hirten der Zeit unbekümmert. Die entschwundene Vorwelt war da, an Schönheit nicht zu übertreffen.

      In der Ferne erkannte Laura die Sphinx, die plattnasig unbeirrt in die Zukunft schaute. Selbst Napoleons mächtige Kanonenschläge schienen ihr nichts Großes angehabt zu haben. Am Ende, dort wo Horizont und Himmel verschmolzen, ragten die Pyramiden stolz und zusammenhaltend auf.

      Laura folgte dem Jungen, durch mehrere Räume, die mit überquellenden Bücherborden zugestellt waren. Während ihr Blick rasch über die Möbelstücke streifte, fand sie Vieles, das sie beeindruckte und in Erstaunen versetzte. Der klassische, viktorianische und geschmackvolle Einrichtungsstil verriet eine feine Kultiviertheit des Besitzers. Zwischen farbenfrohen Gemälden spielte das Grammophon Carmena Borana und sorgte für eine musikalische Untermalung. Die Wirkung war bestechend.

      Der Junge führte sie in ein großes Arbeitszimmer mit prall gefüllten Bücherregalen, in denen Bände von Nachschlagwerken und leicht angestaubte Karten lagen. Ein ergrauter Mann mit Halbbrille, Mitte Siebzig, saß am Tisch, auf dem eine Menge rätselhafter Pläne lagen. Er erklärte und skizzierte auf einem Block einen Plan, während junge Praktikanten und Assistenten im Halbkreis um ihn herumsaßen und aufmerksam zuhörten. Er entsprach ungefähr der Vorstellung, die sie sich von ihm ausgemalt hatte. Seine Haare und seine um die Augen herumliegenden feinen Fältchen verliehen ihm die Ausstrahlung einer wissenschaftlichen Autorität und das Aussehen eines erfahrenen Professors, der seine Arbeit zu lieben schien.

      Als Laura hereinkam, blickte er sich über den Rand seiner Halbbrille hinweg um und winkte sie herbei. Ohne seine Erklärungen zu unterbrechen, holte er mit dem Arm aus und deutete durch ein Zeichen an, dass sie schnell Platz nehmen soll, um an einer Sensation teilzunehmen, während einer seiner Assistenten ihm gerade einige Akten auf den Tisch legte.

      Professor Sander war firm und sachkundig in seinem Fachgebiet und kannte sich erwartungsgemäß in der Szene gut aus. Es schien kein Thema zu geben, über das er nichts zu sagen hatte. Er verfügte über ein umfangreiches Wissen. Archäologie war nur eines seiner zahlreichen Wissensgebiete. Denn er war darüber hinaus ein vielseitiger und auf allen Gebieten der Ägyptologie und Orientalistik tätiger Gelehrter. Er liebte seine Arbeit leidenschaftlich und ging erstaunlich fürsorglich mit seinen Studenten um. Er hegte großes Interesse für ihre Ausbildung und all ihre Fragen. Die Ausbildung des Nachwuchses und die Förderung ihrer Kreativität waren ihm ein Anliegen von eminenter Bedeutung.

      Er setzte großes Vertrauen in sie und führte sie geschickt in die Geheimnisse der ägyptischen Archäologie ein. Das war eine der Ursachen, weshalb sie wiederum solch liebevolle Verehrung und die herzlichste Hochachtung für ihn hegten und weshalb die Zahl der Praktikanten aus aller Welt von Jahr zu Jahr wuchs.

      „Die Archäologie“, sagte er voller Zuversicht „benötigt in nächster Zukunft viele begabte und findige junge Wissenschaftler“. Es ist bei weitem noch nicht alles erforscht. Vieles liegt noch im Verborgenen. Auch heute werden immer wieder neue Königsgräber entdeckt und die Fundamente von verloren geglaubten Pyramiden wiedergefunden. Der ägyptische Boden wird bei einigen Generationen von Archäologen für viele Überraschungen sorgen.

      Es herrschte Ruhe, während er einen Blick auf die Akten warf. Die blauen Augen verengten sich plötzlich zu zwei schmalen Schlitzen, als täte die Schrift in den Augen weh.

      Hastig rückte er seine Brille zurecht und sagte voller Stolz:

      „So wie es den Anschein hat, haben wir es endlich Mal mit einer Sensation zu tun!“

      „Seht euch das gut an!“, sagte er fast außer sich vor Begeisterung, „Was für ein Gewinn! Es ist, wenn ich es in ein einziges Wort fassen soll, Wahnsinn!“

      Ein Hauch von Bewunderung hatte sich auf das Flüstern der Studenten gelegt. Dann folgten erstaunte Ohs und Rufe der Erleichterung.

      Es ging um eine der spektakulärsten Fahndungsaktionen der letzten Jahrzehnte. Gestern war der Ermittlungsgruppe „Wüstenfuchs“ der europäischen Kriminalpolizei (EKP) ein Erfolg gelungen. Hochwertige archäologische Fundstücke in ungewöhnlicher Menge und von einem enormen Schwarzmarktwert haben Zollfahnder am Frankfurter Flughafen entdeckt. Sie wurden vorerst in einer Lagerhalle sichergestellt. Die langwierigen Ermittlungen hatten einen Hehlerring ausgehoben, der seit Jahren in ganz großem Stil gestohlene archäologische Funde angekauft hatte. Die Ermittler sprachen von hochrangigen Persönlichkeiten, die als Kopf dieses großangelegten Ringes gelten. Bei dem Einsatz wurden zwei Prominente festgenommen. Gegen weitere Tatverdächtige erging Haftbefehl. Die Arbeit der Ermittler war noch nicht beendet. Man könne davon ausgehen, dass der Täterkreis noch größer als anfangs angenommen war. Professor Sander vermutete, dass es sich bei den jetzigen Festgenommenen um die Spitze eines Eisberges handelte. Dank der guten internationalen Zusammenarbeit konnten nicht nur zahlreiche Fundstücke gesichert, sondern zugleich die Route des international organisierten Schmuggels archäologischer Fundstücke festgemacht werden.

      Er war total erregt, denn bei einigen entdeckten Kunstgegenständen könnte es sich um Diebesgut aus der Ausgrabungsstätte Abusir handeln. Schließlich leitete er seit Jahren diese Ausgrabungsstätte. Es handelte sich um erlesene Kunstgegenstände und alte Münzen von unschätzbarem Wert und unvergleichlicher Schönheit, die vor Jahren geplündert worden waren.

      Eine wahre Sensation für jeden Liebhaber des Altertums und der Numismatik, der Münzenkunde. Und nun waren sie in Deutschland, einer Drehscheibe des illegalen Antikenhandels, beschlagnahmt worden!

      Seit Jahren versuchte Professor Sander auf das rätselhafte Verschwinden ägyptischer Kunstschätze, die immer wieder im Kunsthandel auftauchten, aufmerksam zu machen. Für seine Warnungen und Ermahnungen wollte aber keiner der verantwortlichen Beamten in Ägypten zugänglich sein. „Wie oft habe ich darauf hingewiesen, in der Hoffnung, dass einer der Verantwortlichen mir ein Ohr leiht!“, wiederholte er erbittert und ein Schatten der Verärgerung huschte über sein Gesicht.

      Alles hatte begonnen als Professor Sander vor einigen Jahren bei einer der Ausgrabungen auf Indizien stieß, die darauf hindeuteten, dass kriminelle Netzwerke von Räubern und Hehlern, skrupellosen Händlern und Beamten, Spekulanten und Millionären mit Kulturgütern und allem, was die Archäologie sonst noch hergab, illegalen Handel betrieben. Ein nicht versiegender Strom von geraubten Antiquitäten wurde passionierten Kunstsammlern in London, Paris, München, und anderen Drehscheiben des illegalen Antikenhandels, zu gigantischen Summen feilgeboten.

      Ihm ging das gegen den Strich und er ließ nichts unversucht, den Dealern das Handwerk zu legen. Er putzte, begleitet von einigen sachkundigen ägyptischen Kollegen, die auch sehr viel Herzblut in die Wiedergewinnung geplünderter ägyptischer archäologischer Kunstwerke steckten, Klinken in den Chefetagen der verschiedenen Ministerien. Er musste die Herren von oben bis unten und von hinten bis vorne vollschleimen, erzählte er, während ein hilfloser Zorn in ihm hochstieg.

      Sämtliche Instanzen waren sie rauf und runtergegangen. Sie waren mit dem Labyrinth von Treppen und Korridoren vertraut, denen man folgen musste, in der Hoffnung an die richtige Stelle zu gelangen. Und zu ihrer großen Überraschung und Bestürzung tat sich immer wieder eine noch wichtigere Instanz auf, die noch mehr zu sagen hatte als die vorherige. Das Problem war ja immer, dass sich jede dieser Instanzen für wichtig hielt, aber keine von ihnen für irgendetwas zuständig war! Jedem waren die Hände auf oberste Anordnung hin gebunden. Die Unbekümmertheit und Gleichgültigkeit um ihn herum sowie die ständigen leeren Versprechungen brachten Professor Sander zur Weißglut.

      Wie etwa in Kafkas Romanen, so war die ägyptische Bürokratur. Alles endete mit einer ewigen Warterei und mit dem elendigen Herumplagen mit unliebsamem Papierkram vor dem Tor einer unsichtbaren Instanz.

      Nach der Sitzung kam Professor Sander lächelnd auf Laura zu und bot ihr einen Rundgang durch die Ortschaft an.

      „In den Arbeitszimmern riecht es verstaubt. Es ist ein herrlicher Tag und ich muss mir ein bisschen die Beine vertreten. Hätten Sie vielleicht Lust auf einen kleinen Spaziergang, Frau Talbrück? Schon mal