Ganz für Familie. Erwin Sittig

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Название Ganz für Familie
Автор произведения Erwin Sittig
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783347077768



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können. Aber war sie nicht eine Zauberbiene?

      Sie brauchte sich nur zu wünschen, dass sie wie ein Mensch sprechen kann, und schon wäre ihr Problem gelöst. Doch sie muss gut überlegen. Was ist, wenn Bienen nur so leise reden, dass die Leute sie trotzdem nicht hören. Dann wäre ein Wunsch vertan und sie hatte doch nur zwei. Außerdem hatte Biene Bumm sie gewarnt, dass der Flug nachhause lebensgefährlich sei. Wahrscheinlich würde sie ihren Zauber brauchen, um sich zu retten.

      „Tut mir leid, Oma und Opa Humpi. Ihr müsst noch etwas warten. Ich werde Papa mit dem Auto hinterherschicken.“

      Und sie flog zügig weiter, um die Sorgen der Großeltern ein wenig zu verkürzen. So schön das Fliegen anfangs auch war, es fiel ihr immer schwerer. Sie war es gewohnt, sich mit den Beinen vorwärts zu bewegen, doch hier hatten die Arme die Hauptarbeit zu leisten. Außerdem ist die Strecke verhältnismäßig viel länger geworden, da sie jetzt wesentlich kleiner war. Trotzdem kam sie schneller voran, als mit dem Fahrrad. Dafür musste sie größere Pausen einlegen, da die Flügel lahm wurden. Zusätzlich bekam sie Hunger und Durst.

      Sie war froh, den ersten Bauernhof zu erreichen. Noch mehr freute sie sich, dass die Leute im Freien saßen und den Frühstückstisch gedeckt hatten. Essen im Überfluss. Sie brauchte sich nur hinsetzen und den Rüssel hineintauchen. Sogar der leckere Honig von den gestreiften Bienen stand auf dem Tisch.

      Hanna stürzte sich mutig in die Leckereien, doch bevor sie landen konnte, schlug eine Hand nach ihr. Wieder gelang es ihr nur knapp, auszuweichen. Das Unglück wollte es, dass sie sich dabei dem nächsten Menschen näherte, der ebenfalls nach ihr schlug. Nachdem sie bei weiteren Landeversuchen wiederum attackiert wurde, ging sie zum Angriff über, da sie wusste, dass viele Leute vor Bienen Angst haben.

      Doch Hanna wurde in ihrer Wut zu unvorsichtig, so dass sie einen kräftigen Hieb des kleinen Jungen abbekam und sie benebelt durch die Luft torkelte. Kaum kam sie etwas zu sich, sah sie auch schon den Bengel auf sich zustürzen, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, ihr den Garaus zu machen. Nur knapp entging sie seinem Fußtritt und flog in panischer Angst davon.

      Zornig wünschte sie lauthals dem Jungen einen Bienenstich in die Nasenspitze, so dass die so stark anschwellen solle, dass er nichts mehr sehen könne. Sie lachte sich halb krumm, als sie sah, wie ihr Wunsch Wirklichkeit wurde. Gleich darauf wurde ihr mit Schrecken bewusst, dass sie einen Zauber unsinnig verschleudert hatte. Und trotzdem wollte ihre Schadenfreude nicht vergehen.

      Ihr Hunger quälte sie immer noch und sie schaute sich auf dem Hühnerhof um. Musste sie tatsächlich mit dem schmutzigen Wasser vorliebnehmen und mit dem Brei, der dort für das Federvieh herumstand? Sie hatte keine Wahl.

      Sie war nicht mal halbwegs satt, als sich ein riesiger Schatten näherte. Gerade noch rechtzeitig hatte sich Hanna umgedreht, als auch schon der harte Schnabel eines Huhns nach ihr hackte. Erneut entkam sie nur knapp und wunderte sich, wie viel Feinde so eine Biene hatte. Sie wünschte sich sehnlichst, wieder die kleine Hanna zu sein, die vor nichts Angst haben muss, weil Mama, Papa, Oma, Opa und viele andere auf sie aufpassen. Aber sie hütete sich, das laut auszusprechen. Das Ziel war noch nicht erreicht. Mutti muss unbedingt die Schokobienen kennenlernen, sonst wäre alles umsonst gewesen.

      Sie fühlte sich soweit wieder okay, dass sie weiterflog, immer die Straße entlang. Da kein Lüftchen wehte und die Sonne nicht zu heiß brannte, kam sie flott voran. Das heimatliche Dorf war schon zu sehen, als sie erneut einen bedrohlichen Schatten über sich bemerkte. Ein Vogel hatte sie im Visier.

      Hanna spürte sofort, dass er es auf sie abgesehen hatte. Ihr Herz raste vor Angst und sie beschleunigte ihren Flug. Doch der Vogel, sie hatte keine Zeit nachzusehen, was für einer es ist, setzte schon zum Sturzflug an. Bald war er auf einer Höhe mit ihr und Hanna versuchte Haken zu schlagen. Sie holte alles aus sich heraus und stellte fest, dass ihr Verfolger zumindest ebenso flink, wie sie war. Lange würde sie nicht mehr durchhalten. Und dann ließ sie sich einfach fallen und klammerte sich an die Unterseite einer großen Blüte. Durch die Blütenblätter beobachtete sie zitternd ihren Gegner, der sie anscheinend aus den Augen verloren hatte.

      Er kreiste jedoch immer noch in der Nähe und hatte nicht aufgegeben. Sie sah, wie er zwischendurch ein paar andere Insekten verspeiste und hoffte, dass er bald satt sein würde. Sogar als er schon längst nicht mehr zu sehen war, wagte sie sich nicht hervor. Ihr war klar, dass er nicht der einzige Vogel in der Gegend ist und sie wusste, dass diese Wiese riesengroß war. Zum Glück gab es vom Boden her keine Gefahr, zumindest wüsste sie nicht, welches Tier, einer Biene zu nahe treten würde. Sie beschloss, sich den Rest des Weges zwischen den Gräsern und Blumen entlang zu schlängeln. Das schränkte zwar die Geschwindigkeit ihres Fluges beträchtlich ein, erhöhte jedoch ihre Sicherheit enorm.

      Vollkommen entkräftet erreichte sie ihr Dorf.

      Egal, was passiert, jetzt drehte sie nochmal voll auf. Hanna sehnte sich danach, endlich die Stimme ihrer Mutter zu hören. Es war ihr dabei gleichgültig, ob die schimpfen würde, weil sie so lange weggewesen war, ohne Bescheid zu sagen. Sie flog, als ob ein ganzer Schwarm Vögel hinter ihr her wäre und ganz bestimmt hatte sie einen neuen Weltrekord im Bienenschnellflug aufgestellt, als sie durch das offene Küchenfenster ihres Hauses flog.

      Ihre Mutter saß am Küchentisch, hatte den Kopf auf die Arme gelegt und heulte, als hätte man ihr das liebste Spielzeug weggenommen. Hanna fiel auf, dass nichts in der Küche aufgeräumt war, was bisher nie vorkam.

      Hanna wusste sofort, dass ihre Mutti wegen ihr weinte. Am liebsten hätte sie sich gleich zu erkennen gegeben, aber erst muss Mama sehen, was für eine prachtvoll gescheckte Biene sie ist.

      Sie krabbelte über die Hände ihrer Mutter und bereitete sich darauf vor, dass sie sie wegstoßen würde. Es kam ihr erst mal nur darauf an, dass sie den Kopf hebt, um sie als Schokobiene betrachten zu können.

      Aber ihre Mutter sah nur die Biene und bemerkte vermutlich nicht mal, dass sie gescheckt war. Wie wild schlug sie um sich und rief:

      „Verschwinde du Biest. Du bist Schuld, dass meine Hanna weggelaufen ist.“

      Hanna musste höllisch aufpassen, von ihrer Mutter nicht erschlagen zu werden. Sie floh unter den Tisch, wo sie außer Sichtweite war, und überlegte in Ruhe, was zu tun sei.

      Einen Zauberwunsch hatte sie noch frei und danach könnte sie sich zurückverwandeln.

      Es war sicher, dass ihre Mutter in ihrer Wut die gescheckten Flecken auf ihrem Körper niemals sehen würde und auch das Rufen wird keinen Erfolg haben.

      Endlich hatte sie die rettende Idee. Sie wünschte sich, so groß wie ein Huhn zu sein, und flog wieder unter dem Tisch hervor. Dann baute sie sich vor ihrer Mutter auf und drehte sich wie ein Model in der Luft, dass die alles genau erkennen kann.

      Ihre Mutter erstarrte. Kein Auge ließ sie von dieser eigenartigen Erscheinung. Als Hanna sich schon freuen und zurückverwandeln wollte, kippte ihre Mutter um und blieb reglos liegen. Hanna bekam einen gewaltigen Schreck und nahm sofort ihre richtige Gestalt an.

      Sie schüttelte ihre Mutter und rief ihren Namen, doch nichts geschah. Wie könnte sie helfen? Sie hatte einmal im Film gesehen, was man in solchen Fällen macht. Also holte sie eine große Kaffeetasse, füllte sie mit kaltem Wasser und goss sie ihrer Mutter ins Gesicht. Die schoss schlagartig in die Höhe und schnappte, wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft. Dann erblickte sie ihre Tochter, starrte sie genau so an, wie vorher die Biene und kippte wieder um.

      Da ihre Mutter erfreulicherweise am Leben war, verflog die Angst.

      „Mami“, zeterte Hanna „nun stell dich nicht so an. Du bist doch sonst nie umgekippt, wenn du mich gesehen hast.“ Langsam kam sie wieder hoch, schaute aber immer noch ungläubig auf Hanna.

      „Was fällt dir ein, mir Wasser ins Gesicht zu schütten.“ „Der Kaffee war alle und die Milch war zu weit weg. Ich musste Wasser nehmen.“

      Sie kauerte sich neben ihre Mutter und rutschte dann auf ihren Schoß und nahm sie in die Arme, während sie triumphierend fragte: „Und? Hast du die Schokobiene gesehen?“

      Sie setzte Hanna ab, sprang auf und rief: „Nein!