Ohne Fluchtpunkt 2. Winfried Klose

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Название Ohne Fluchtpunkt 2
Автор произведения Winfried Klose
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783347087286



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Bikerticks: Designerklamotten, Bikerladies, dezente Plastikbrüste, Blicke aus Huskypupillen, Lederkluft als Glückshaut, Euphorie der Vibration, des Schwebens – noch im Stillstand, Pochen der Gonaden, Einverleiben durch Blicke, Ausweiden von ferne… Im Kokainflirren Bildern vom Durchschwingen steiler Traumkurven nach, getragen vom Grummeln der Motoren, Summen des Schwarms, Blinkern hinterher, Impulsen vom Bordcomputer…

      Im Schub der Maschinen und dem Dahin auf Rädern bin ich mittendrin, in Wahrheit – eine Randfigur, von Anfang an mit halbem Herzen dabei, dann schon ausgebremst, ausgegrenzt – nicht wegen meines Fahrstils, meines Schweigens; die Unbotmäßigkeit erkennen sie im Blick, wittern sie im Aber, versteckt in Nichtigkeiten, die eben noch verbindlich waren… Ausgeschlossen erkenne ich die Rudelführer, ihre Gefolgschaft am Verschwinden von Ticks, letzten Eigenheiten: mit Kumpanen abschwenken, Extratouren reiten, Klamotten, die aus dem Bikerrahmen fallen, Frauen nicht als Bikerladies zu sehen… Die Ränder ihrer Welt blenden sie aus, alle hinter einem her, verschwinden sie im Rudel, am Ende schere ich aus, lasse sie hinter mir, im Grollen meiner „Monster“.

      Einer der Biker nannte mich nach meiner Maschine, als Monster bin ich wer, ordnet sich meine Welt, ich rechne mit allen Eventualitäten, Finessen meiner Verfolger, überprüfe meine Koordinaten, verfeinere das Netz meiner Vorsichtsmaßnahmen, man könnte es total nennen, am Rande franst mein Kontroll system freilich aus, oft erkenne ich Anzeichen, dass sie mir bis nach Italien nachstellen, zu erfassen, wo ich tanke, zufällig vorbeikomme, an videoüberwachten Kaizonen, Bordellen, Supermärkten… Ich stecke meine Erkundungswege, wohin bisher keiner vordrang – als Geologe an Gestein hämmernd, genau ab. Ich beargwöhne selbst Cécile, mit ihnen zusammenzuarbeiten, zumindest durch nicht bedachte Äußerungen, eine Art Zuwendung oder Abweisung, wie ich sie nicht pflege, mich zu verraten. – Manche Immobilie, die ich zeitweise bewohne, erreiche ich nur auf Umwegen zu Fuß. Eine der Maschinen kann ich vakuumverschweißt verschwinden lassen. Um das Paket spurlos zu versenken, muss ich ständig ein Rinnsal Abwasser in die Güllegrube leiten, dass sich der Spiegel nicht absenkt. Spürhunde haben mehrmals Grundstück und Haus erschnüffelt, Gendarmen haben sich überzeugt, dass hier eine Maschine steht, sie wittern freilich weiter eine blinde Spur.“

      Früher hatte sich Jean oftmals verletzt, schon so, dass sich einer um ihn kümmern musste, später waren es die Karambolagen mit der Maschine; dann hatte er, halbwegs die Übersicht zu halten, immer wieder Sektoren aus seinem Leben herausgeschnitten: Seine Gesundheit war ihm gleichgültig, nur frösteln mochte er nicht, war nie ohne die geliebte Kluft unterwegs. Jean hatte keine Freude, sich etwas zuzubereiten, er trank. Seine Leutseligkeit war ins Gegenteil umgeschlagen, sie galt am Schluss gerademal Außenseitern und Gendarmen, die ihn aufsuchten. Seit dem Unfall – Jean zog das Bein nach – war sein Traum passé, sich tänzerisch zu betätigen; die Beschäftigung mit Theoretikern und Kritikern der Theaterarbeit hatte ihm Knut verbaut. – An Frauen hatte Jean das Interesse verloren, Äußerlichkeiten waren ihm fremd, ihn konnte da nichts aufregen. Eine Frau musste angezählt sein, nur durfte das keiner merken. Sobald sie schnelle Antworten zu Fragen, die ihn antrieben, parat hatte, zog ihn nichts hin. Aber schon eine tiefe Stimme und eine unspektakuläre Art der Zuwendung deutete Jean als etwas, was ihn wohl an Helga erinnerte, an ihre Verlässlichkeit. Jean kannte fast nur Schauspielerinnen, er mochte Frauen, denen es nicht in den Sinn kam, sich darzustellen, eine wie Magdalena Vermehren, die immer „hinfiel“, aus dem Tonio Kröger, kam in seinen Aufzeichnungen immer wieder vor. Einzelheiten ihrer Psyche mochten eben nicht zu ihm passen, er äußerte da kaum Erwartungen, er glaubte aber wohl, von dieser Art Frauen nicht im Stich gelassen zu werden. – Auf der anderen Seite litt Jean unter Knuts Auftritten – wo auch immer er auftrat. In ihm stieg unbändiger Zorn hoch über Knuts umsichtige Motivation seiner Darsteller, hinter der seine riesige Erwartung stand, und sein müheloses Zuordnen psychischer Zusammenhänge, die in manchem Stück nicht einmal angelegt schienen. Vor allem störte ihn, mit welcher Besessenheit er Protagonisten aus bedeutenden Dramen durch seine zurückhaltende Darstellung – nah an der Alltagsvernunft, auf nichts Außergewöhnliches aus – um ihre Fallhöhe brachte und in vielen Stücken leere Individualitäten vorwegnahm. Bei manchen Figuren betonte er nicht deren Brüche und Abgründe, er verbarg sie eher. Im souveränen Daherschreiten sah er schon ein Einschreiten voraus. Stark entworfene Figuren blieben im gesellschaftlichen Hintergrund verhaftet, dessen Normen brüchig geworden waren – eine Welt aus den Fugen. – Auf dieses leise Herantreten und vorsichtige Tasten – letztlich dann doch nach einer Antwort oder einem Sinn – reagierte Jean wie manche Reptilien, die schon bei weit entfernten Erschütterungen beizeiten sicheres Terrain aufsuchen.

      Helga ordnete Jeans Aufzeichnungen: Einige lange Briefe aus früheren Zeiten, Berichte per mail von Cécile, die viele Notate entschlüsseln konnte, kaum Vermutungen der Geschwister zu Jeans Schweigen, eher vorsichtige Anspielungen auf Knuts abwesendes Zuhören, seinen Blick durch die Oberfläche…, zwei Anfragen von Jugendfreunden, Anknüpfen an pubertäre Krassheiten, Ressentiments, Kamellen aus der Studentenzeit – von Jean wohl nie beantwortet…

      Jean war Jahre vorher – schon gegen Mitte dreißig – abgetreten, am Schluss blieb eine Fassade stehen: der Abtritt von der Bühne, die Ausritte, Unterschlupf in Gehöften – eine einzige Flucht… Verfolgt – taten sich Gräben, Risse auf, Landschaften nahmen ihn auf, Städte verschluckten ihn; hatte er alles hinter sich gelassen, kehrte keine Ruhe ein, ihn verdross der ewig blaue Himmel der Provence, die Motorsägen und Rufe der Holzarbeiter im Revier, das Torkeln der Fledermäuse über den Nachthimmel…Letzte Kontakte schnitt Jean selbst weg, sicheres Terrain zu retten. Menschen ringsum sah er genauso unterwegs, Stück für Stück in die Enge getrieben, dazwischen Exzesse, sich noch einmal zu finden. Jean kapselte sich ab, bildete eine Überlebensspore. – In den Wintermonaten des letzten Jahres – Jean in den feuchtklammen Häusern in Lederhaut – muss er immer wieder einen Film von Tarkowski hervorgekramt haben. In der Hauptfigur, einem Russen im fremden, nasskalten Italien, erkannte sich Jean wieder. Cécile wusste, dass ihn die Figur des Russen arg mitgenommen haben musste, er habe am Telefon nur mehr mit Passagen dieser Figur geantwortet. Sie berichtete, dass die Durchquerung des leeren Beckens in Bagno Vignoni etwas mit Jeans letzten Ausritten gemeinsam hatte, es war der Ritt auf der Klinge.

      Zum Schluss – wusste Cécile – muss er im Dunkeln der klammen Häuser – seinem Atem gelauscht haben; sein Atem – sein Gebet, und in der Lederhülle nicht einmal fröstelnd, fast schon euphorisch, ein vom Fieber Genesender – ehe er zur Maschine stolperte.

      Der Unfallbericht zeichnet Spuren Jeans in dieser Nacht nach: Große Schwingungen auf durchweichtem Grund eines Feldweges, der in eine Platanenallee am östlichen Rand von Tholonet mündet. Die Maschine am dritten Baum linker Hand zerschellt. An der Einfahrt in die Allee hatte starker Regen den Weg überschwemmt – eine Art Furt.

      Zwei Monate nach dem Tod Jeans – Jeans Identität war nach langwierigen Untersuchungen bestätigt, was zu einer eiligen Beisetzung geführt hatte – seien Helga und Knut angereist, durch die Allee geschritten – zu der Urnenwand im Cimetière Tholonet. – Drei Wohnorte von Jean konnten ermittelt werden, aufzufinden war dort weniges, was an ihn erinnerte: der Laptop mit den bekannten Aufzeichnungen, zwei Ducati, die Tarkowski-DVD und jede Menge Ledermonturen, die ihm Halt und Wärme versprachen.

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