Название | Keine Liebe der Welt |
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Автор произведения | Adina Koch |
Жанр | Контркультура |
Серия | |
Издательство | Контркультура |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783347051645 |
Fremder Essigsüß wie Wein
Griechisches Sprichwort
Adina Koch
Keine Liebeder Welt
Roman
© 2020 Adina Koch
Umschlagmotiv: Steffi Koch/ohuzdtrs.jimdo.com
Fotos: Adina Koch
Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN
Paperback: | 978-3-347-05162-1 |
e-Book: | 978-3-347-05164-5 |
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Prolog
Der alte Mann sitzt wie jeden Tag auf der Holzbank am Hafen. Ihre Farbe ist an manchen Stellen durch die salzige Meeresluft verblasst, an anderen fast gänzlich abgeblättert. An den groben Stoff seines Hosenbeins schmiegt sich eine dicke, rotbraune Katze, die nur ein Auge hat. Den Daumen seiner linken Hand hakt er in den Hosenträger. Obwohl er sitzt, stützt er sich schwer auf einen derberen Holzstab. Unter seiner Schiebermütze zeichnen sich glitzernde Schweißperlen ab. Auch wenn es noch früh im Jahr ist, ist es bereits warm und der Himmel makellos blau. Gleich schlägt die Glocke im Uhrenturm, es ist früher Nachmittag. Seine tiefblauen Augen, die gerade das gegenüberliegende Festland fixiert hatten, gleiten über das sanft wogende Wasser und erfassen die einlaufende Fähre. Ihr Signal erklingt durchdringend. Kurz darauf legt sie an, spuckt aufgeregt plappernde Menschen aus aller Welt auf die kleine griechische Insel. Alles ist wie immer. Wie seit Jahrzehnten. Menschen kommen und gehen. Tag für Tag, Jahr für Jahr. Heute bleibt sein Blick an einer jungen Frau hängen, die auf der Reling steht. Sie ist allein. Ihr Koffer hat eine auffällige Farbe und ist so groß, dass sie ins Schwanken gerät, als sie das schmale wackelige Brett betritt, das als Gangway dient. Sie ist sehr jung. Der alte Mann seufzt, denn ihm erscheinen viele Menschen sehr jung. Lebt er doch schon ewig. Und hat er doch schon so viel gesehen. Seine Gedanken kehren in den Augenblick zurück, und er schaut sie sich genauer an. Sie hat recht kurzes braunes Haar, das sich wie ein Rahmen um ihr hübsches Gesicht legt. Ihre weichen Rundungen, die sich unter ihrem Kleid zu verstecken versuchen, zaubern ihm ein Lächeln ins faltige Antlitz. Sie erinnert ihn an seine große Liebe. Genau hier hat er sie vor langer Zeit getroffen, als er seinerseits zum ersten Mal einen Fuß auf die Insel gesetzt hatte. Vor viel zu langer Zeit. Sie hatte ihn augenblicklich verzaubert und ihn nie wieder losgelassen… Ein Ruck durchfährt den alten Mann. Denn die junge Frau gerät auf der schmalen Gangway erneut ins Straucheln. Er ist viel zu weit entfernt und inzwischen viel zu schwach, um dem Mädchen, wie er sie in seinen Gedanken zärtlich nennt, zur Hilfe zu eilen. Ein anderer übernimmt diese Aufgabe. Der alte Mann beobachtet, wie der Fährkapitän mit einer Hand nach ihrem Ellenbogen greift, ihn zu fassen bekommt. Mit der anderen Hand ebenfalls den Koffer packt. Nach ein paar Schritten haben beide festen Boden unter den Füßen. Sie lächelt ihn unsicher an und sagt etwas, das der alte Mann nicht hören kann. Aber er ist sich sicher, dass sie in einer fremden Sprache miteinander sprechen. Kurz darauf wird der Blick des Mädchens wieder sicherer, sie zieht sich ihre viel zu warme Jacke aus und nimmt ihren Koffer in die Hand, schlägt den Weg in seine Richtung ein. Als sie an ihm vorbeigeht, schenkt er ihr ein Lächeln aus seinen müden, wissenden Augen, das sie schüchtern erwidert.
JANUAR
„Das Leben ist eine Komödiefür den Denkenden und eineTragödie für die, welche fühlen.“
Hippokrates von Kos (460 - 370 v. Chr.)
Sephi
I
Regen peitscht ohne Unterlass gegen das dreckige Fenster der Straßenbahn. Der Himmel ist mausgrau, genau wie die Stadt. Genau wie meine trüben Gedanken. Sie springen unaufhörlich zurück an jenen Abend vor drei Tagen. Es fühlt sich an wie ein trauriger Film in Endlosschleife in meinem Kopf: „Ich kann nicht über Nacht bleiben, das habe ich dir doch gesagt, Sephi! Und außerdem fallen mir keine Ausreden mehr ein, die ich ihr erzählen könnte!“ Seine Worte sind wie spitze Nadeln, die mich tief treffen. Es ist das erste Mal, dass er so mit mir spricht. Unbeherrscht, laut. Etwas in seiner Stimme ist kalt, so kalt wie der Januarregen. Groß wie er ist, füllt er meinen kleinen Flur fast komplett aus. Er steht gebückt und bindet sich die Schuhe. Es ist kaum fünf Minuten her, dass wir zusammen im Bett lagen. Ich fühle noch immer seinen warmen Atem auf meiner Haut, seine Erektion tief in mir. Ungeduldig stieß er immer wieder in mich. So als könne er es kaum abwarten, endlich damit fertig zu werden. Genauso wie er es zuvor kaum abwarten konnte, mich in mein Schlafzimmer zu ziehen. Dass ich extra für ihn das schwarze, fließende Kleid angezogen hatte, bemerkte er nicht einmal. Dabei hatte er es mir gekauft. Damals, als ich, naiv wie ich war, dachte, dass schon bald alles gut werden würde. Dass Liebe immer stärker ist.
Während die Bahn an immer düsterer wirkenden Straßenzügen vorbeirauscht, wird mir klar, dass es erst ein halbes Jahr her ist, als sich mein Leben wie auf den höchsten Höhen des Olymps anfühlte, voller Nektar und Ambrosia. Die Fernsicht war atemberaubend, auch wenn die dunkle Front schon in der Ferne aufzog. Ich konnte sie mehr erahnen, als tatsächlich sehen. So weit entfernt. So unwirklich. Ich ließ mich von seinen Versprechen, von seiner Leidenschaft blenden, die heiß wie die Sonne war – und von meinem unerschütterlichen Glauben an die Kraft der wahren Liebe. „Aber…“, ich komme nicht dazu, etwas zu antworten, denn er streift sich bereits die Jacke über. Die Tür fällt dumpf hinter ihm ins Schloss. Das Wort prallt von dem schweren Holz ab, schlägt direkt vor mir im Boden wieder ein wie eine Granate: Aber. Keine Umarmung. Kein Kuss. Kein Hinweis auf ein Wiedersehen. Ich breche in meinem kleinen Flur zusammen, krümme mich, weine. „Ich habe dir mein Herz auf einem Silbertablett serviert, trotz allem“, schreie ich ihm meine Verzweiflung hinterher. Auch das kann er nicht mehr hören. Das Tablett fällt mit einem lauten Poltern auf den harten Boden, darauf mein Herz. Zerquetscht von den Sohlen seiner Schuhe.
Die bloße Erinnerung lässt mir, mitten unter den Menschen in der Bahn, heiße Tränen in die Augen schießen. Ich wende mich ab, schäme mich, für den Moment, für meine Taten, für meinen unerschütterlichen Glauben an die Liebe. Krampfhaft schaue ich aus dem Fenster. Quer über den Straßen hängt noch immer die Weihnachtsdekoration, windschief inzwischen. Ihre Lichter blinken in verschiedenen Tönen, doch sie verschwimmen in den Regentropfen und hinter meinen Tränen zu einem undefinierbaren Fleck. Ich schmecke Salz auf meinen Lippen, fühle mich noch immer beschmutzt und um meine Gefühle betrogen.
Aus den Augenwinkeln erkenne ich, dass die alte Dame, die mir gegenübersitzt, mich mitleidig anschaut. Alle anderen sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um etwas zu bemerken. Die meisten starren auf die Displays ihres Handys. Musikvideos, Spiele, Nachrichten – alles flimmert, alles lenkt ab. Ich bin froh darum. Ich selbst halte auch ein Handy in meiner Hand. Sein Display ist tiefschwarz. Nur in der oberen linken Ecke blinkt ein helles Licht. Grell und ohne Unterlass macht es mich auf Neuigkeiten aufmerksam. Es will mir sagen, dass ich eine Nachricht erhalten habe, wahrscheinlich gleich mehrere. Es flackert immer wütender, scheint zu rufen: „Willst du nicht endlich nachschauen! Es ist bestimmt wichtig. Es ist von ihm!“ Nein. Ich möchte nicht nachschauen. Blinde Wut steigt in mir auf, ein Gefühl, das mir bisher im Leben noch niemals begegnet ist. Das aber seit dieser Nacht wächst, mir Halt gibt. Auch wenn noch immer Tränen der Scham fließen.
Die Straßenbahn stoppt völlig unerwartet, der Fahrer legt eine Vollbremsung hin, die sich gewaschen hat. Er lässt das Signal so laut ertönen, dass es mir in den Ohren klingelt. Menschen schwanken, abgestellte Taschen geraten ins Rutschen. Ein Kind fällt fast, ein großer Hund bellt nervös.