Название | Ein Lied in der Nacht |
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Автор произведения | Ingrid Zellner |
Жанр | Контркультура |
Серия | Kashmir-Saga |
Издательство | Контркультура |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783347155794 |
Drei Stufen führten hinauf zu einer Veranda, die sich die gesamte Front des Hauses entlangzog – genau wie der Balkon im oberen Stockwerk, den in regelmäßigen Abständen reich geschnitzte Säulen stützten. Bevor er sich entschließen konnte, diese Stufen hinaufzusteigen und sich bemerkbar zu machen, wurde die Tür geöffnet und ein kleines Mädchen kam heraus. Sie trug eine dicke Mütze in fröhlichem Himbeerrot, eine blaue Brille, einen voluminösen Anorak, der ihr ein bisschen zu groß war, und Fäustlinge. Prem spürte, wie seine nervöse Anspannung unvermittelt nachließ.
»Hallo«, sagte er. »Wer bist denn du?«
Die Kleine spähte durch ihre Brille.
»Ich bin die Salma«, sagte sie. »Und wer bist du?«
»Ich heiße Prem«, antwortete er. »Wohnst du hier?«
»Ja, zusammen mit meinem Bruder«, erwiderte Salma. »Aber noch nicht so lange. Und vielleicht müssen wir auch noch mal woandershin umziehen, sagt Sameera aunty. Das fände ich aber nicht so gut.«
»Wirklich nicht?« Prem stellte die Reisetasche ab und ließ sich auf der obersten Treppenstufe nieder (die ein vorausschauender Mitmensch zum Glück sorgsam von Schnee freigefegt hatte). Salma fand das offenbar nicht im mindesten absonderlich und setzte sich neben ihn. »Wieso denn das?«
»Weil es hier schön ist«, sagte Salma ernst. »Die Kinder sind nett, keiner ärgert mich oder spielt mir Streiche. Nicht mal Yussuf… und dabei sagen alle, das macht er eigentlich dauernd.«
»So ein Tunichtgut ist das?« Prem schmunzelte. »Ich bin sehr gespannt darauf, ihn kennenzulernen.«
»Bist du zu Besuch?«, wollte Salma wissen. »Bist du ein Freund von Sameera aunty und Vikram baba?«
»Kann man so sagen.« Prem atmete tief durch, hob den Kopf und sah, wie der Wagen mit Karim sich an der Abbiegung von der Hauptstraße wieder in Bewegung setzte. Salma folgte seinem Blick.
»War das dein Taxi?«
»So was Ähnliches. Das war der Fahrer einer sehr hilfsbereiten Dame; sie heißt Najiha Kamaal und hat ihm gesagt, er soll mich herbringen.«
Das kleine Mädchen schwieg eine ganze Weile. Dann langte es in die Anoraktasche und zog ein Bonbon heraus. »Magst du das haben?«
»Oh – gerne, danke schön!« Prem wickelte das Bonbon feierlich aus und steckte es in den Mund. »Ich hab aber gar nichts für dich.«
»Macht nichts.«
Salma schaute immer noch in die Richtung, in die der Wagen davongefahren war.
»Meine ammi hat für die Kamaal sahiba gearbeitet«, sagte sie plötzlich. »Sie hat immer gesagt, sie rechnet ihr Geld zusammen.«
Prem wollte schon antworten, als ihm plötzlich siedend heiß die Nachrichtensendung wieder einfiel, die Ende Dezember selbst im Zentralgefängnis von Srinagar für Aufregung gesorgt hatte. Die Explosion und der darauffolgende Großbrand, der die Zentrale von Najiha Kamaals Gulmohar-Partei fast völlig zerstört hatte. Die verbrannte Frauenleiche in einem der verwüsteten Räume, die nicht, wie zunächst angenommen, Najiha Kamaal gewesen war, sondern deren Buchhalterin. Die zwei verwaiste Kinder hinterließ, einen Jungen und ein Mädchen, zwölf und elf Jahre alt.
Es dauerte einen langen Moment, bis er wusste, was er sagen wollte. Und dann sprach er leise und behutsam.
»Wo ist deine ammi jetzt?«
»Weg.« Das kleine Mädchen sah ihn nicht an. »Da, wo sie gearbeitet hat, gab es ein schlimmes Feuer. Und sie… sie kam nicht rechtzeitig raus, weißt du.«
»Ich verstehe. Du musst sehr traurig sein.«
»Ich… weiß nicht. Ich will eigentlich bloß, dass sie wieder da ist. Dass dieser Tag mit dem Feuer nie passiert wäre. Das ist einfach gemein. Jetzt kann ich nicht mehr mit ihr reden, und sie singt mir nichts mehr vor.«
Salma sprach in heftigem Ton, und die Worte kamen immer schneller, als sei plötzlich ein Damm gebrochen.
»Und wenn Sinan wieder seinen Schal vergisst, dann muss jetzt ich aufpassen und ihn holen. Das hat sonst immer ammi gemacht. An dem Tag, wo es… wo es gebrannt hat, da sind wir morgens zum Spielen gegangen, und sie ist uns extra noch nachgelaufen mit seinem Schal. Bevor sie in das Haus gegangen ist, wo sie gearbeitet hat. Und danach ist sie in dem Feuer gestorben und ich hab sie nicht mehr wiedergesehen, und deswegen sind wir jetzt hier.« Sie schluckte. »Sinan nimmt den Schal jeden Abend mit ins Bett, weil ammi ihn gestrickt hat.«
Prem musterte sie aus den Augenwinkeln und stellte fest, dass ein paar Tränen unter der blauen Brille hervorkullerten und über die runden Wangen hinabliefen. Er suchte in der Jacke nach einem Taschentuch, wurde aber nicht fündig. Also wickelte er das Halstuch aus Baumwolle ab, das er sich beim Verlassen des Gefängnisgebäudes umgebunden hatte, und reichte es ihr. Salma nahm es, trocknete sich damit das Gesicht und putzte sich die Nase.
»Danke schön.«
Sie wollte ihm das Tuch zurückgeben, aber er schüttelte den Kopf. »Behalt es. Vielleicht brauchst du es noch mal.«
Sie schniefte. »Aber dann hast du doch keins mehr.«
»Das macht nichts«, sagte er sanft. »Ich kauf mir ein neues, okay?«
»Okay.«
Er stand auf und hielt ihr die Hand hin. »Was meinst du – sollen wir hineingehen? Sameera aunty und Vikram baba fangen sicher gleich an, nach dir zu suchen. Und sie werden sich auch allmählich fragen, wo ich bleibe.«
Salma griff ohne zu zögern nach seiner Hand, und genau in diesem Moment öffnete sich die blaue Tür hinter ihnen. Prem drehte sich um und sah Sameera auf der Schwelle stehen. Ihre Augen leuchteten.
»Namaste, Prem! Kommt rein, ihr zwei; hier draußen wird es immer kälter, und wir haben gerade erst eine große Grippeepidemie glücklich überstanden. Lauf, Herzchen, und schau mal nach, ob Zobeida den Chai schon fertig hat, ja?«
Salma warf Prem ein scheues Lächeln zu. Sie ging rasch hinein, rannte einen langen Gang hinunter und war gleich darauf hinter einer Tür verschwunden. Er spürte, wie sich erneut eine Hand um die seine schloss… diesmal die von Sameera.
»Du hast nichts verlernt«, sagte sie weich. »Das hast du großartig gemacht, mera dost.«
»Was denn?«
»Salma ist jetzt seit mehr als drei Wochen hier. Bislang hat sie sich strikt geweigert, über ihre Mutter zu reden; sie hat sie lediglich ab und zu erwähnt. Erst jetzt hat sie den Mut gefunden, etwas von ihrem Schmerz auszudrücken. Und zwar bei dir, hier auf der Veranda.«
»Ich hab ihr bloß zugehört.«
»Und die richtigen Fragen gestellt. Das konntest du schon immer.« Sameera zögerte einen Moment, ehe sie fortfuhr. »Weißt du, ich hab dich vorhin da hinten an der Hauptstraße aus Najihas Auto steigen sehen. Ich wollte dir entgegengehen, aber dann hab ich gemerkt, wie Salma ihren Anorak und ihre Stiefel angezogen hat. Und da dachte ich, ich warte einfach mal und schau mir an, was passiert. Also bin ich hinter dem kleinen Fenster da stehengeblieben und hab euch beobachtet und belauscht. Entschuldige bitte – ich weiß, das gehört sich nicht.«
»Schon gut.« Prem zog eine humorvolle Grimasse. »Das hast du doch damals auch schon getan, nach dem Desaster mit Khan sahab. Bloß, dass du da den offiziellen Auftrag hattest, mich zu beobachten.«
»Und ich fand es furchtbar.« Sameera seufzte. »Ich würde sagen,