Название | Der Abgerichtete |
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Автор произведения | Maxi Magga |
Жанр | Контркультура |
Серия | |
Издательство | Контркультура |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783347097537 |
Merkwürdig gekleidet waren die Menschen hier! Viele Frauen trugen Kleider, die so eng waren, dass sie sich sicher kaum darin bewegen konnten, und diese hatten rundherum winzige Löcher, durch die man die Haut sehen konnte. Etliche Männer trugen Hosen, die ebenso eng und unbequem schienen wie die Kleidung der Frauen, und dazu Hemden, die in grellen Farben leuchteten, mit völlig unpraktischen weiten Ärmeln. Manchmal war es schwierig in dieser Buntheit überhaupt ein Kastenabzeichen zu erkennen.
Moron begegnete auch einigen Bewohnern der Unterstadt mit ihren grünen Kennzeichen der E-Kaste. Vor ihnen musste er sich in Acht nehmen. Diese Menschen waren nie allein in der Stadt unterwegs. Nur allzu gern würden sie die Gelegenheit nutzen, sich an ihm für die eigene Geringachtung durch die höheren Kasten zu rächen. Dass er mit seinem roten Abzeichen der F-Kaste ausgerechnet hier Hilfe finden könnte, brauchten sie nicht zu fürchten.
Nach seinem stundenlangen Fußmarsch bis zur Stadt wurde Moron weitere zwei Stunden kreuz und quer umher gehetzt. Er erkannte es schnell als eine der gewohnten Schikanen, denen seine Kaste ausgesetzt war, dass er oft genug in eine falsche oder sogar in die Richtung geschickt wurde, aus der er gerade gekommen war, wenn er zaghaft sein Holzstück vorgezeigt hatte. Irgendwann stand er aber doch vor dem richtigen Gebäude. Sorgfältig verglich er Zeichen für Zeichen. Es stimmte. Und es konnte doch nicht sein! Der Name auf dem Schild neben der Haustür war blau geschrieben. Blau! Das war die Farbe der C-Kaste! Was hatte einer aus der C-Kaste mit ihm zu tun? Wie benahm man sich in dessen Gegenwart? Wie hatte man ihn anzusprechen? Es musste unbedingt ein Fehler sein! Noch einmal verglich er die Form der Zeichen. Kein Zweifel, sie stimmten überein.
Unschlüssig stand er vor der großen, gläsernen Tür und wagte nicht sie anzufassen. Mitten auf dem Weg war er stehengeblieben, so dass die Vorüberhastenden gezwungen waren ihm auszuweichen. Sie schimpften und rempelten ihn an. Sein Erscheinungsbild und sein fassungsloses Erstaunen weckten andererseits aber auch Neugier und Spott. Nicht wenige blieben vor ihm stehen, musterten ihn ungeniert, tuschelten und lachten. Schließlich floh Moron vor dieser Art von Demütigung ins Haus. Dort gingen die Wunder der Stadt weiter. Er lief über riesige weiche Tücher, die überall auf dem Boden lagen, stieß gegen Tische, die so blank waren, dass er sich darin spiegeln konnte, und blickte in Lampen, die ohne Kerzen oder Öl brannten, und das am helllichten Tag. Es war sein Glück, dass man bereits auf ihn wartete, sonst hätte das Abenteuer vielleicht ein unrühmliches Ende genommen. So aber wurde er von der wohl schönsten Frau abgefangen, die er je gesehen hatte, und in das Büro des Anwalts gebracht, der ihn hierher bestellt hatte. Dort saß er nun auf der alleräußersten Kante seines Stuhls drei Menschen gegenüber, die es sich in hellen, komfortablen Sesseln bequem gemacht hatten, dem Anwalt mit seinem blauen Abzeichen und einem vornehm aussehenden, dezent gekleideten Paar, das der silbernen Plaketten gar nicht bedurft hätte, um sich als Mitglieder der zweithöchsten, der B-Kaste, auszuweisen. Das brünette, glatte Haar der Dame fiel seidig glänzend bis tief in den Rücken, die braunen, smaragdgrün umrandeten Augen funkelten Moron lebhaft an, die leicht geöffneten Lippen gaben einen Blick auf makellos weiße Zähne frei. Hätte man ihn gefragt, er hätte nicht angeben können, wie alt sie war, aber bestimmt kaum älter als er. Ihr vielleicht 34 oder 35 Jahre zählender Mann stand ihr an Eleganz in nichts nach. Das tiefschwarze Haar war offensichtlich vor kurzer Zeit erst geschnitten worden, ohne solche Patzer und Fehler wie bei Moron. Die Augen schienen unergründlich. Man hätte ohne genauere Prüfung nur sagen können, dass sie sehr dunkel waren. Während das Paar dem Anwalt zuhörte, musterte es den auf seiner Stuhlecke balancierenden Mann, der sich sichtlich unwohl fühlte. Unablässig knetete er seine Finger und verlegen versuchte er seine Füße unter dem Stuhl zu verstecken. Die Frau lächelte ihm freundlich aufmunternd zu.
„Sie haben alles verstanden, Moron Kinze? Oder soll ich etwas noch einmal erklären?“
Nein, er hatte bei weitem nicht alles verstanden. In Wahrheit hatte er nach der ersten so ungewohnten, so falsch klingenden Anrede mit „Sie“ kaum noch etwas gehört. Die fremdartige Umgebung, das rasche Vorlesen der Papiere durch den Anwalt, das freundliche Lächeln der Frau, alles verwirrte ihn, raubte ihm jede Erinnerung an die Fragen, die er mit dem Dorfältesten doch extra so sorgfältig zusammengestellt hatte.
„Wie gesagt, Kinze, wir können den Vertrag heute noch perfekt machen. Die Herrschaften hier haben sich bereit erklärt, Sie in ihr Programm aufzunehmen. Sie wollen Ihre gesamten Schulden übernehmen und Ihre Frau und Ihre Kinder darüber hinaus mit einer ansehnlichen Summe unterstützen, so dass sie hier in der Stadt eine Chance auf ein ganz neues Leben in der E-Kaste haben. Im Gegenzug verkaufen Sie sich als Sklave auf Lebenszeit mit allen Konsequenzen an diese Herrschaften. Falls Sie die ersten 20 bis 25 Jahren überleben, abhängig davon, ob zum Beispiel Arztkosten für Sie angefallen sind, ist Ihre Familie von jeder Rückzahlung befreit und erhält in diesem Moment zusätzlich, als freiwilligen Bonus, die Vergünstigung sich ihren Wohnort selbst aussuchen zu dürfen. Falls nicht, ist eine anteilige Rückzahlung des Kaufpreises entsprechend der abgedienten Jahre anhängig. Haben Sie das jetzt soweit verstanden?“
Moron war sich immer noch nicht sicher, ob er nun wirklich Bescheid wusste, aber es schien genau das zu sein, worum er sich beworben hatte, seit er zufällig von dieser Möglichkeit erfahren hatte. Er sah keinen anderen Weg seine Familie vor dem Verhungern zu bewahren. Zutiefst aufgewühlt blickte auf diese zwei schönen, vornehmen, reichen Menschen, die bereit waren, exakt dafür Sorge zu tragen, und war erfüllt von grenzenloser Dankbarkeit. Er schwor sich sehr hart zu arbeiten, um sich der Gnade, die sie ihm gewährten, würdig zu erweisen.
Geblendet von der Umgebung und erdrückt von der Situation, suchte Moron vergeblich nach den richtigen Worten. Da er keine fand, nickte er nur stumm.
„Nur um ganz sicher zu gehen, Kinze. Sie sind sich also vollkommen darüber im Klaren, dass diese Herrschaften vom Moment Ihrer Unterschrift an die völlige Verfügungsgewalt über Sie, das heißt über Ihre Arbeitskraft und Ihren Körper, haben? Das betrifft im Besonderen ihr Recht, Sie nach Gutdünken zu bestrafen.“
Das war die Stunde, in der ich aus eigenem Willen zum Sklaven wurde. Nicht zu einem Arbeitssklaven, von denen ich ein paar kannte, sondern zu einem Abgerichteten, wie mein Herr es nannte. Den Unterschied sollte ich noch am gleichen Abend bitter erfahren. Ja, es ist wahr, ich hatte mich ihnen selbst ausgeliefert, und ja, ich war bereit, mich völlig zu unterwerfen. Aber was sie daraus machten, war nicht richtig. Das hätte ich mir nicht gefallen lassen dürfen. So sehe ich es heute. Damals dachte ich, das sei der Beginn eines zweiten Lebens. Heute weiß ich, es war mein erster Tod.
Nachdem Moron sein Kreuz auf einem Blatt richtigem, echtem Papier gemacht hatte, forderte ihn der Anwalt auf ihm alle persönlichen Gegenstände sowie sein Gepäck auszuhändigen, damit es seiner Familie überstellt werden könne, ebenso sein rotes Kastenabzeichen. Der elegante Herr fügte mit seiner melodischen Stimme hinzu, dass er nichts mitnehmen dürfe, was an sein altes Leben erinnere. Erstaunt sah Moron auf. Gepäck? Eigentum? Er besaß nichts, das irgendwie von Wert war. Als man ihm allerdings den Ausweis und das Abzeichen wegnahm, wurde ihm schlagartig klar, dass er von nun an nicht nur nichts besaß, sondern auch nirgends mehr dazu gehörte, weder zu seinem Volk, noch zu seiner Kaste.
Der Anwalt raffte die Papiere zusammen, rief einen Angestellten und übergab ihm den neuen Sklaven. Morons Mundwinkel zuckten kurz, als der Mann ihn raubeinig aufforderte sich umzudrehen und die Hände auf den Rücken zu legen, aber er gehorchte ohne Zögern. Er wurde gefesselt, mit verbundenen Augen aus dem Anwaltsbüro geführt und musste sich anschließend in das Gepäckteil eines Luftkissenwagens Petrona Sportiva legen. Es war im Verhältnis zur Größe des Wagens lächerlich klein. Moron musste die Knie bis ans Kinn anziehen, um überhaupt darin Platz zu