Der Schneeti. Lissa Lehmenkühler

Читать онлайн.
Название Der Schneeti
Автор произведения Lissa Lehmenkühler
Жанр Учебная литература
Серия
Издательство Учебная литература
Год выпуска 0
isbn 9783401808963



Скачать книгу

Job seiner Mama, die hier jetzt die Feuerwehr leitet, wären sie sowieso nie umgezogen. In hundert Jahren nicht!

      Aber eins ist klar: In diesem Kaff, in dem es solche schneeballschleudernden Idioten wie die Kojoten (so heißt Roccos Bande, zu der Rocco, Joschi und Tengis gehören) und noch nicht mal einen Modellbauladen, geschweige denn ein Bastelgeschäft oder einen Nachbardackel namens Samson gibt, bleibt Ole nicht.

      Schatz für Schatz packt er seine Lieblingssachen in den Rucksack:

      Zuerst den dicken, abgegriffenen Wälzer mit einem riesigen Fußabdruck auf dem Titelbild: »Yeti – Der Legende auf der Spur«.

      Dann sein Superschnitzmesser. Das hat er von seinem Opa bekommen, der es wiederum von seinem Opa bekommen hat. Im Messergriff sind zwei Buchstaben eingraviert: O und K. Wie Okay. O für Ottokar, K für Knüpfer. Ottokar Knüpfer. Das ist der Name von Oles Opa. Und Ole ist es eine ganz besondere Ehre, dass O und K auch seine Anfangsbuchstaben sind.

      Vorsichtig wickelt er den dritten Schatz aus einem alten, karierten Herrentaschentuch: eine gläserne Schneekugel mit Spieluhr. Ole schüttelt die Kugel und muss wie jedes Mal staunen. Der kleine Junge in der Kugel sieht fast so aus wie er selbst. Und der kleine Opa in der Kugel, der mit dem Jungen einen Schneemann baut, sieht fast so aus wie Oles Opa. Ja, er hat sogar die gleiche Rentier-Strickjacke an! Am liebsten würde Ole seinen Opa jetzt anrufen. Aber das geht nicht. Opa Ottokars Telefonleitungen sind eingefroren und bis die aufgetaut und repariert sind, kann es noch Wochen dauern. Und der kleine Ort, in dem Opa Ottokar lebt, liegt mitten im Wald – und mitten im Funkloch.

      Ole betrachtet die kleinen Figuren, auf die der Schneekugelschnee rieselt, und zieht die Spieluhr auf. Als die vertraute Melodie erklingt, spürt er, wie sich ein warmes, gemütliches Gefühl in seinem Bauch ausbreitet. Und dann kann Ole nicht anders. Er singt zur Melodie ein Lied. Das hat Opa Ottokar ihm schon vorgesungen, als Ole noch eine Babyglatze hatte und ganz klein war.

      Krawumms! Genau in diesem Moment platscht ein dicker Schneeball gegen Oles Zimmerfenster. Himmel noch eins! Das kann ja wohl nicht wahr sein! Können dieser Rocco und seine Bande ihn nicht mal hier in Ruhe lassen?

      »Verzieht euch, ihr Knalltüten!«, ruft Ole, der natürlich weiß, dass ihn draußen niemand hören kann. Schnell schaltet er das Licht aus. Im Dunkeln krabbelt er zwischen den Umzugskartons zum Fenster, linst vorsichtig hinaus und wundert sich: kein Rocco. Keine Kojoten-Bande. Niemand.

      Da hört Ole ein leises Klopfen: tok-tok. Ole spitzt die Ohren. Schon wieder: tok-tok-tok! Und jetzt lauter: tok-tok-tok-tok!

      Und dann hört er es ganz deutlich.

      »Hallö! Hier bin ich!« Ole traut seinen Augen nicht: Mitten auf der Fensterbank in dem zerplatzten Schneeball steht ein kleines schneeweißes, puscheliges Wesen, das ihm zuwinkt und ruft: »Hallöle, Öle!«

      Verblüfft öffnet Ole das Fenster. Das Wesen stapft herein, hüpft »Höppala!« auf einen Karton und schüttelt den Schnee aus seinem fluffigen Fell.

      »Hallöle, Öle, ich bin Schneeti«, stellt sich das Wesen vor.

      »Äh, ich heiße Ole«, antwortet Ole ganz verdutzt.

      »Sag ich döch. Öle! Hallöle, Öle«, begrüßt Schneeti Ole und reicht ihm seine klitzekleine, fluffige Pfotentatzenhand, die zu Oles Verwunderung kalt und warm zugleich ist.

      Ole staunt. »Äh, wie …? Holy Moly! Woher kennst du meinen Namen?«

      »Aber hallö! Wöher wöhl? Hör mal! Ich bin ein Schneeti. Ich werde döch wöhl nöch die Namen der Kinder wissen, bei denen ich vörbeischneie, öder? Das wäre ja nöch schöner!« Schon hüpft der Schneeti durch einen Kartonspalt in eine der vielen Umzugskartons und jubelt: »Wie töll! Wie cööl! Wie wundervöll! Ist das für mich?«

      Ole schaut in den Karton und stutzt. Eigentlich ist das ja ein Igel-Iglu, das er zusammen mit seinem besten Bastelclub-Freund Hung für die Igel zum Überwintern und nicht für den Schneeti gebaut hat. (Allerdings wusste er bis vor ein paar Minuten ja auch noch gar nicht, dass es den Schneeti gibt.) Ole kratzt sich am Kopf. »Na ja, also, eigentlich …«

      »Hast du da gerade Ja gesagt? Töll!!!«, ruft der Schneeti, hüpft vor Freude aus dem Karton und hopst schon auf Oles Kopf herum.

      »Hey! Stopp! Das kitzelt!«, kreischt Ole.

      »Ökay! Ökay! Ich stöppe! Nur noch drei Höpser! Höpp! Höpp! Höppala!« Schon hangelt sich der Schneeti an einer Haarsträhne hinab, hüpft auf Oles Schulter und fliegt mit einem doppelten Salto auf Oles Hand. Ole bleibt vor Staunen der Mund offen stehen.

      »Cööl! Deine neue Wuschel-Frisur!«, lobt der Schneeti sein Werk.

      »Findest du?«, fragt Ole und schüttelt sich die Haare zurecht. Er kann immer noch nicht fassen, dass er da gerade mit einem Schneeti spricht.

      »Woher kommst du überhaupt?«, möchte Ole wissen. Der Schneeti deutet nach draußen in den Winterhimmel.

      »Vön öben. Vön höch öben!«

      Mit großen Augen blickt Ole in den kristallklaren Abendhimmel. Am Firmament funkeln die Sterne, vor Oles Fenster glitzert der Schnee. Oles Bauch kribbelt. Die Welt ist so weiß und so still und so geheimnisvoll.

      »Ole, aufstehen!«, ruft Oles Papa.

      Ole gähnt, reibt sich die Augen und verzieht das Gesicht. Ach Manno! Für einen Moment dachte er tatsächlich, er wäre in Hellabach in seinem alten Zimmer. Das hat Ole nämlich geträumt. Und dann ist in seinem Traum auch noch ein kleines, fluffiges Wesen vorbeigeschneit und hat es sich im Igel-Iglu unter Oles Bett gemütlich gemacht. Ole kratzt sich am Kopf und staunt, was Köpfe sich doch so alles zusammenträumen können. »Ein Schneeti! So ein Kokolores!«

      Ole dreht sich auf die Seite und zieht sich die Bettdecke über den Kopf. Da hallt plötzlich – schnörch-schnörch – ein lautes, merkwürdiges Schnarchgeräusch oder genauer gesagt ein Schnörchgeräusch an sein Ohr. Ole schaut unter sein Bett. Tatsächlich! Da ist es: das Iglu. Vorsichtig lugt er herein. Im Iglu schnarcht ein kleines weißes Wesen, dessen kleiner, runder Bauch sich bei jedem Schnörcher hebt und senkt.

      »Holy Moly!«, ruft Ole. »Ich glaube, ich spinne! Der Schneeti!« Da wackelt der Schneeti nacheinander mit allen Zehen, öffnet seine Augen, plustert und streckt sich und hüpft schon wieder –»Höppala!« – auf Oles Schoß.

      »Halli-hallö-hallöle! Schönen guten Mörgen, Öle!«, begrüßt der Schneeti Ole. Ole will gerade antworten, da knurrt der Schneeti-Magen so laut, dass er sich beide Ohren zuhalten muss. Schon reckt der Schneeti schnuppernd seine kleine Nase in die Luft, klatscht in die Pfotentatzen und ruft ganz verzückt: »Kaffee! Köstlich! Nach Schököladeneis das Beste, was ihr Menschen erfunden habt!«

      »Halt!«, ruft Ole noch, doch da flitzt der Schneeti schon Richtung Küche.

      »Morgen, Schnuffelsocke«, begrüßt Oles Vater, der hinter seiner Zeitung am Frühstückstisch sitzt, seinen Sohn. »Toast oder Müsli?«

      »Äh …«, stammelt Ole, denn er traut seinen Augen nicht: Mitten auf dem Tisch macht sich der Schneeti wie ein ausgehungerter Riesen-Yeti über die knusprigen Toastbrote her. Wenn das Opa Ottokar sehen könnte!

      »Ole, könntest du bitte etwas leiser essen? Ich muss mich hier konzentrieren«, sagt Oles Vater, ohne von seiner Fachzeitung mit dem Titel »Zuhören! Das A und O in der Sprecherziehung« aufzublicken.

      »Ähm,