Endlichkeit und Vergänglichkeit. Christian Walther

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Название Endlichkeit und Vergänglichkeit
Автор произведения Christian Walther
Жанр Зарубежные стихи
Серия
Издательство Зарубежные стихи
Год выпуска 0
isbn 9783347001060



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      singt die Drossel

      noch darfst du lieben

      Worte verschenken

      noch bist du da

      Sei was du bist

      Gib was du hast

       Rose Ausländer

      Wie die Pflanze, der allmählich die Nahrung versiegt,

      welche sie grünen ließ und am Leben hielt

      - hoch stieg sie, frisch und blühend, empor,

      doch tief nun neigt sie ihr Haupt. Das Haar wird weiß -

      so, da die Kraft mich verlässt, der ein unbeschwertes,

      frohes Leben ich dankt', als im April es blühte,

      fühl' ich nun meine trockne, des Lebenssaftes beraubte

      Hülle sich langsam neigen, schwer und müde.

      Dem Pilger gleich, der des Nachts in der Herberg'

      sinnt, wie lang der Weg sei, der vor ihm noch liegt,

      und beschließt, ihn rasch zurück zu legen,

      auf, meine Seele, gedenk' dieser kurzen Rast,

      schwinge dich nun auf deinen Flügeln

      weit weg von Styx und ew'ger Verbannung!

       Giuliano Goselini

       Abschied und Gedenken

      O Scheiden und Meiden, du bittres Kraut,

      Wer hat dich zuerst im Garten gebaut?

      Konnt' er nichts besseres ziehen?

      Er hat dich mit seinen Augen bethaut,

      Davon bist du gediehen.

       Hafis

      ABSCHIED VON MENG HAN-JAN IM HAUS

      „ZUM GELBEN KRANICH“

      Vom Haus „Zum gelben Kranich“ hat der Freund

      Abschied genommen.

      In Dunst und Blüte des Aprils ist seine Barke

      flussab geschwommen.

      Einsames Segel, ferner Schatten, der im blauen

      Horizont entschwindet -

      Ich sehe nur den weiten Strom noch, der zuletzt

      im Himmel mündet.

       Li Tai-Pe

      ERWARTUNG

      (für Michael Krüger)

      Die Schiffe fahren ohne mich aus.

      Ich bleibe auf den Landungsstegen zurück,

      umzingelt von Möwen.

      Sie öffnen die Schwingen

      wie Fenster,

      durch die ich das Meer

      mit anderen Augen sehe.

      Langsam entfaltet der Himmel

      ein mächtiges Segel

      über dem Steg.

      In der Abendbrise

      beginnt die Fahrt

      auch für mich.

       Wolfgang Bächler

      SENNA HOY

      Seit du begraben liegst auf dem Hügel,

      Ist die Erde süß.

      Wo ich hingehe nun auf Zehen,

      Wandere ich über reine Wege.

      O deines Blutes Rosen

      Durchtränken sanft den Tod.

      Ich habe keine Furcht mehr

      Vor dem Sterben.

      Auf deinem Grabe blühe ich schon

      Mit den Blumen der Schlingpflanzen.

      Deine Lippen haben mich immer gerufen,

      Nun weiß mein Name nicht mehr zurück.

      Jede Schaufel Erde, die dich barg,

      Verschüttete auch mich.

      Darum ist immer Nacht an mir,

      Und Sterne schon in der Dämmerung.

      Und ich bin unbegreiflich unseren Freunden

      Und ganz fremd geworden.

      Aber du stehst am Tor der stillsten Stadt

      Und wartest auf mich, du Großengel.

       Else Lasker-Schüler

      LETZTER FRÜHLING

      Nimm die Forsythien tief in dich hinein

      und wenn der Flieder kommt, vermisch auch diesen

      mit deinem Blut und Glück und Elendsein,

      dem dunklen Grund, auf den du angewiesen.

      Langsame Tage. Alles überwunden.

      Und fragst du nicht, ob Ende, ob Beginn,

      dann tragen dich vielleicht die Stunden

      noch bis zum Juni mit den Rosen hin.

       Gottfried Benn

      MEINER MUTTER

      Das Lachen

      meiner Mutter

      im letzten Sommer

      unter dem Magnolienbaum

      Während ihr Körper

      unter dem blühenden Hügel

      immer leichter wird

      im dünnen Lieblingskleid

       Inge Buck

      AN- ALS IHM DIE – STARB

      Der Säemann säet den Samen

      Die Erde empfängt ihn, und über ein kleines

      Wächset die Blume herauf

      Du liebtest sie. Was auch dies Leben

      Sonst für Gewinn hat, war klein dir geachtet,

      Und sie entschlummerte Dir!

      Was weinest du neben dem Grabe

      Und hebest die Hände zur Wolke des Todes

      Und der Verwesung empor?

      Wie Gras auf dem Felde sind Menschen

      Dahin, wie Blätter, nur wenige Tage

      Gehn wir verkleidet einher!

      Der Adler besuchet die Erde,

      Doch säumt nicht, schüttelt vom Flügel den Staub und

      kehret zur Sonne zurück.

       Matthias Claudius

      GRABINSCHRIFT

      Setz dich an mein Grab ein bißchen.

      Da ist's so still und einsam.

      Sprich zu mir freundlich leise

      Wie zu einem, der keine Antwort geben kann.

      Mir wurde das Unfassbare vergönnt

      Als ein Mensch

      Einige Jahre auf der Erde zu leben.

      Freu dich, der du noch die Sonne schaust.