Название | Omnipotens |
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Автор произведения | Thorsten Klein |
Жанр | Контркультура |
Серия | PSYCHE |
Издательство | Контркультура |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783347093713 |
Alexandra sah ihn an. Er sah ausgemergelt aus, seine Haut war grau. Trotzdem wirkte er immer noch jung. Aber nicht mehr so jungenhaft wie einst. Ein schneller Scan zeigte ihr, das warme, rote Feuer der Revolution war aus seinem Inneren Ich verschwunden. Dort brannte jetzt eine kalte, blaue Flamme, die ihn verzehrte.
Und die heller leuchtete, als er weitersprach: „Bolschoi wird sicher als erster draufgehen. Er ist der Älteste von uns und hat gerade erst zwei Attentate überlebt. Negative Begleiterscheinungen seines Zarentums. In diesem Land ist der, der ganz oben steht, immer der Zar. Auch wenn er keine Krone trägt und sich anders nennt. Als Zar hat er auch das Privileg, auf der Abschussliste von Extremisten zu stehen.“
„Willst du ganz oben stehen?“, fragte Alexandra erstaunt, die in Michaels Innerem Ich solche Wünsche erkennen konnte.
„Ich? Ganz oben? … Warum eigentlich nicht? … Wenn ich dadurch diese Revolution retten kann. Siehst du eine bessere Alternative?“
„Jede Alternative ist besser, als deine Trennung vom Inneren Gesetz. Wenn du dir in Psyche Wahre Macht erkämpfst, hast du jedes Recht auf dein Vollbürgertum verloren.“
„Aber es ist für eine gute Sache!“, warf er ein.
„Seine eigene Moral über den Haufen zu werfen, nur um der Chimäre Macht hinterher zu rennen, kann niemals eine gute Sache sein. Wo ist der Michael, der auf einer friedlichen Revolution bestanden hat, und die auch gegen den Willen von Bolschoi, Wissarew und Tscherkassow durchsetzen konnte?“
„Ich glaube, der ist in den Wirren dieses Bürgerkrieges gestorben. Einer allein kann zwar Frieden wollen, aber ihn nicht durchsetzen.“ Seine Resignation war fast greifbar.
„Dann versuch es wenigstens. Rede mit denen, die in Russland Macht ausüben. Sprich mit Bolschoi. Auf ihn hören alle.“
Michaels Lachen war noch furchtbarer als sein Äußeres. „Bolschoi? Auf den hört keiner mehr. Er ist verletzt, er ist krank und alle zählen nur noch die Tage, bis zu seinem baldigen Tod. Die anderen hoffen, er möge bald sterben. Du glaubst mir nicht? Besuch ihn doch. Dann wirst du sehen, dass er bald sterben muss.“
Ort: Psyche, Bad Döttelbach, Schwarzwald
„So schnell stirbt man nicht, Herr Minister. Wir wandern auf diesen Berg. Wir lassen uns von diesem Spaziergang nicht abhalten. Sie müssen keine Angst davor haben, hinauszugehen. Hier im Schwarzwald geschieht Ihnen nichts, hier wird Sie keiner umbringen.“
„Glauben Sie mir, mein lieber Kriminalrat Renatus, die Kugel, die mich töten soll, ist schon gegossen.“
„Das mag sein, Herr Minister, aber in meiner Begleitung genießen Sie Polizeischutz. Auch wenn ich im Moment auch nur ein Urlauber bin. Ein Polizist ist immer im Dienst.“
„Ein Minister auch, Herr Kriminalrat. Trotzdem muss man ein wenig entspannen. Sie haben vollkommen recht, wir werden diese Wanderung auf den Berg machen. Ein wenig frische Luft tut immer gut. Vor allem in dieser Gegend.“
Der Minister stand auf und zog sich seine Jacke an. Mit Mühe, wie der Polizist sehen konnte. „Tut die Schulter immer noch weh?“, fragte er deshalb.
„Er muss ein erbärmlicher Schütze gewesen sein. Obwohl er ein Offizier war. Der erste Schuss ging in die Schulter, mit dem zweiten traf er die Brotbüchse in meiner Aktentasche. Dabei war noch heller Tag, als er vor dem Moabiter Amtsgericht auf mich geschossen hat.“
„Vielleicht hatten Sie einen Schutzengel?“ Der Polizist kannte sich damit aus. Er war schon seit Jahrhunderten ein Schutzengel. Nicht nur als Polizist.
„Ich hatte einfach Glück. Das hat man nicht so oft. Aber der Täter ist im Gefängnis und wird es erst in fünfzehn Jahren verlassen“, meinte der Minister.
„Man sagt, er hätte einer Geheimorganisation angehört. Die wäre noch aktiv. Sie befinden sich also durchaus noch in Gefahr, Herr Minister.“
„Gefahr besteht immer, Herr Kriminalrat. Wir waren beide im Krieg und sind nicht gefallen. Da werden wir doch im Frieden auf uns aufpassen können. Oder?“
Der Herr Kriminalrat wusste nicht, ob er den Minister erfolgreich schützen könnte. Aber er würde es versuchen. Die Sinne, mit denen er erst seit einiger Zeit etwas anfangen konnte, zeigten ihm, dass die Kugel gegen den Minister nicht nur schon gegossen war, sondern ihr Schütze sie auch verschießen wollte.
Er hatte alles dafür vorbereitet und das Attentat auf den Minister konnte stattfinden. Heute. Hier im Schwarzwald.
Ort: Psyche, Moskau, Kreml
In Moskau bewohnte der Genosse Bolschoi den Kreml. Warum auch nicht? Mit der Ermordung der Zarenfamilie war diese Immobilie frei geworden. Es wäre schade, sie leer stehen zu lassen. Bolschoi schien um Jahre gealtert zu sein. Seine Haut wirkte grau und eingefallen, seine Augen waren umschattet und seine Stimme klang rau.
Er begrüßte Alexandra mit seltsamen Worten: „Ich fühle mich schon seit Wochen, als sei ich bereits gestorben. Nach dem ich dich gesehen habe, weiß ich, dass es stimmt.“
„Was stimmt? Dass du gestorben bist? Warum?“
Bolschoi versuchte, seine Stimme ironisch klingen zu lassen. Aber die ließ in ihrer Rauheit so etwas nicht zu. „Weil ich dich sehen und mit dir sprechen kann. Aber du bist tot. Ich habe es gelesen. In deutschen und in russischen Zeitungen. Sogar in der Prawda. Also muss es wahr sein.“
Alexandra überlegte eine Weile, bevor sie antwortete: „Meine Freunde haben beschlossen, meinen Tod vorzutäuschen, um mich zu beschützen. Für die Menschen in Deutschland bin ich gestorben. Es war nicht schwer, eine mir ähnelnde Leiche zu finden, welche die Deutschen beweinen und begraben konnten.“ Alexandra sah ihn aufmerksam an, um eine Reaktion zu erkennen.
Aber Bolschoi sah nur genauso aufmerksam zurück. Deshalb fuhr sie fort: „Den Menschen in Russland möchte ich meine Hilfe anbieten. Dir möchte ich meine Hilfe anbieten. Für euch und eure Revolution möchte ich in Psyche weiterleben.“
Nun musste Bolschoi eine Weile überlegen, bevor er antwortete. Alexandra hörte nur Bitterkeit in seiner Antwort. „Du bietest deine Hilfe an? Hast du dieser Welt nicht schon genug geholfen? Deine Revolutionen haben doch stattgefunden. Genauso, wie du sie wolltest.“
„Wie ich sie wollte?“
„Wie du sie wolltest. Ich bin mir sicher, dein Wille ist geschehen. Ich wollte nie, was nach der Revolution in diesem Land geschehen ist.“
„Du wolltest keine Revolution? Dein ganzes Leben hast du für sie gekämpft.“
„Für diese Art von Revolution habe ich bestimmt nicht gekämpft. Das Land ist zerrissen und fast nur noch halb so groß, wie es unter dem Zaren war. Die Menschen hungern noch mehr, als unter dem Zaren. Die Bauern verweigern den Anbau von Nahrung. Die Arbeiter verweigern die Arbeit und die Soldaten wollen Soldatenräte, aber bitte ohne die Bolschewiki. Alle wollten unsere Revolution, aber keiner will uns. Es sollte alles besser werden, aber alles ist schlechter geworden.“
Ein Hustenanfall nach diesen Worten wies deutlich darauf hin, dass es auch um die Gesundheit des Genossen Bolschoi schlecht bestellt war. Er hatte also durchaus Ursache, verbittert zu sein.
„Darüber beschwerst du dich? Was hast du erwartet? Sofortigen Frieden und Eintracht nach einer Revolution? Denk doch mal an die Großfränkische Revolution. Danach hat es fünfundzwanzig Jahre gedauert, bis die Menschen wieder so zueinander gefunden hatten, dass sie miteinander leben konnten und wollten“, antwortete Alexandra.
„Fünfundzwanzig Jahre? Dann kann ich ja getrost weiter wursteln wie bisher. Fünfundzwanzig