Der Bewohnerbeirat. Siegfried Räbiger

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Название Der Bewohnerbeirat
Автор произведения Siegfried Räbiger
Жанр Учебная литература
Серия
Издательство Учебная литература
Год выпуска 0
isbn 9783347072787



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werden in der Bevölkerung oft nicht als Unternehmen gesehen. Das Denken im Gesundheits- und Sozialwesen ist geprägt durch die Begriffe des Dienens, Helfens, Unterstützens, die Formen einer uneigennützigen Fürsorge. Doch während der letzten 200 Jahre hat sich das Bild ständig gewandelt „Von der Altersversorgungs-Anstalt zum modernen Seniorenzentrum, zum Dienstleistungszentrum.3

      Ist die Revolution 1848 so manchem als Geschichtsjahr in Erinnerung, war dies nur eines der schlimmen Jahre. In der obigen Festschrift zum 150 jährigen Bestehen der Stiftung heißt es: „1833 bedrohte die Cholera Düren und 1841 das „Nervenfieber“ eine ansteckende Gehirnentzündung, die nicht selten tödlich endete, wiederum vor allem Arme und Alte.“ Wer denkt da nicht an 2020, die Corona Pandemie? Viele wissen, dass in der aufkommenden Industrialisierung Marx und Engels agierten, wenige sehen die Verbindung zu Adolph Kolping. Er übernahm die Ideen des Lehrers Breuer aus Elberfeld und gründete 1852 das erste Gesellenhaus in Köln. Es war die Zeit der Auseinandersetzung der beiden Kirchen und deren Antwort auf die Verelendungstheorie von Karl Marx und Engels.

      Bereits 1822 kam Pastor Fliedner nach Düsseldorf-Kaiserswerth und schrieb 1833 einen Entwurf einer Satzung zur 1836 gegründeten Diakonissenanstalt4 1850 besuchte Florence Nightingale Kaiserswerth, sie gilt bis heute als die Reformerin der neuzeitlichen weltlichen Krankenpflege.1849 wurde das evangelische Krankenhaus Düsseldorf gegründet.5 In der Stiftungsurkunde heißt es: „Von der Überzeugung ausgehend, daß die Krankenanstalten hiesiger Stadt dem täglichen wachsenden Bedürfniß nicht mehr genügen, ferner, daß diesem Bedürfniß am besten durch Stiftungen von Privat-Wohltätigkeitsanstalten entgegengekommen werde, …“.

      Es gab und gibt eine Tradition der Stiftungen und gemeinnützigen Einrichtungen. Pflege bleibt weiterhin in der vermeintlichen Nähe zur Laienarbeit, es fehlt eine allgemein verbindliche Definition.

      1994/1995 mit der Einführung der Pflegeversicherung (SGB XI), sorgsam in über 12 Jahren Diskussion mit der Wissenschaft geplant, ist der bisher letzte Schritt „Privat vor Staat“ umgesetzt. Es wurde das Merkmal der wirtschaftlichen Zielsetzung, Erfolg, Gewinnstreben, Eigennutz etc. bewusst eingeführt. Durch die Pflegebuchführungsverordnung flankiert, in Anlehnung an die Krankenhausbuchführungsverordnung, wird der Bewohner, gleich eines Industrieproduktes, formal als Kostenträger und Erlösbringer behandelt. Zugleich verlagerten die Politiker ein Teil des Sozialstaatsrisikos auf die Arbeitnehmer als neue Pflegeversicherte und gliederten die staatliche Verantwortung auf die neu gegründeten Pflegekassen aus. Der Pflegemarkt wurde zugleich uneingeschränkt für Privatinvestoren geöffnet. Um private Gewinne zu rechtfertigen, wurde formal das bis dahin herrschende „Selbstkostendeckungsprinzip“ für die Kommunen und Wohlfahrtsverbände aufgegeben; auch ihnen wird zwischenzeitlich in der Kalkulation ein Risikozuschlag zugebilligt. Gesundheit, Fürsorge und Soziales wurden lange als Gegensatz zur Ökonomie und knappen Ressourcen betrachtet.6 Zur Beruhigung wurde der Begriff „Qualität“ eingeführt, um vordergründig den Gegensatz zu Ökonomie abzumildern. Die Wirklichkeit zeigt, das Selbstkostendeckungsprinzip gilt weiter, ein Gewinnzuschlag ist dazu gekommen.

       Pflegeeinrichtungen sind Qualitätseinrichtungen (§§ 112ff.SGB XI)

      Was hilft ein Organisationsleitbild mit allgemeinen Grundsätzen einer Organisation/Einrichtung, das sich nach innen an die Mitarbeiter*innen und Ehrenamtlichen und nach außen an die Bewohner und ihre Zugehörigen bzw. Kooperations- und Netzwerk-partner*innen sowie die gesamte Öffentlichkeit wendet, welches aber nicht gelebt wird. Was hilft ein übergestülptes Qualitätsmanagement, was von den Mitarbeitern nicht verinnerlicht, nicht mitgetragen und damit in der täglichen Praxis nicht umgesetzt wird.

      „Wohnen im Alter“ ist in den letzten Jahren in Deutschland über die bloße Begrifflichkeit des Wohnvorganges hinaus Metapher für einen neuen Lebensstil im Alter geworden: Das selbst bestimmte, auf Kompetenz beruhende Leben im Alter, klar abgrenzt von verschiedenen Formen der Versorgung und Betreuung in Einrichtungen der Altenhilfe und auch den Haushalten der erwachsenen Kinder. Die ältere Generation ist in den letzten Jahrzehnten unabhängiger geworden. Die zunehmende Hochaltrigkeit der Senioren in den 60er und 70er Jahren führte zu einer immensen Nachfrage nach Pflegeheimplätzen, deren Bereitstellung und Unterhalt angesichts der expandierenden Kosten im stationären Bereich von den staatlichen Leistungsträgern kaum noch getragen werden konnte. Hier formuliert nun das Pflegeversicherungsgesetz klar „ambulant vor stationär“. Dazu kommt, dass in Einrichtungen nur noch stark pflegebedürftige aufgenommen werden. Nur wer sich einen Abschlag von 20% der Pflegekassenleistung leistet, kann ohne Anerkennung der sogenannten „Heimbedürftigkeit“, einen Platz vorausgesetzt, in eine Pflegeeinrichtung umziehen.

      Wettbewerbsstrategien der Industrie entfallen, jedoch nicht die notwendigen Ansätze. Die Investoren verfolgen die Kostenführerstrategie durch eine niedrige Kostenstruktur in der eigenen Wertschöpfung. Die Hauptaspekte einer Kostenführerposition sind Prozesseffizienz und eine sehr starke Kostenkontrolle und Kostenreduzierung im Kundenservice und der Verwaltung. Die Mitarbeiter, Angehörigen und Bewohner, insbesondere die Interessenvertretungen, stören scheinbar im Denken. Die Mitarbeiter- und Bewohnerzufriedenheit wird für die zukünftige Akzeptanz wichtig werden.

      Der Gesetzgeber hat, aus gesellschaftlicher Verantwortung heraus, ein formales Gremium der Bewohner in den Pflegeeinrichtungen vorgeschrieben. Aus dem Grund der Hochaltrigkeit ist die Wählbarkeit in die Interessenvertretung auch auf Angehörige und außenstehende Vertrauenspersonen ausgeweitet worden. Bevor nun Außenstehende die Einrichtung mitbegleiten, versuchen Einrichtungsbetreiber die Mitwirkung dieser Personen zu unterbinden und lassen lieber genehme Sprecher wählen. Die zuständigen Ordnungsbehörden sehen diesem Treiben zu. Mögliche Ordnungswidrigkeitsverfahren werden nicht eingeleitet.

      Die alle zwei Jahre stattfindenden Wahlen werden bisher nicht veröffentlicht. Wie sollen Senioren(bei)räte oder Interessensvertreter sich zur Wahl aufstellen lassen, wie können sie gewählt werden? Die Einrichtungsleitung sieht den Heimbeirat überwiegend als notwendiges Übel, er wird als Geheimgremium versteckt. Sollte die Einrichtung nicht stolz auf die Mitwirkung sein, die engagierten Bewohner und Angehörigen herausstellen und die Arbeit zum Wohle aller nutzen?

      Die kommunalen Ratsvertreter, die Senioren(bei)räte kennen oft nicht die demokratischen Rechte, setzen sich für diese Wahlbürger nicht ein, nehmen deren Rechte nicht wahr. Allein die zweijährigen Tätigkeitsberichte der kommunalen Aufsichtsbehörde, gemäß § 14 Abs. 11 Wohn- und Teilhabegesetz (WTG-NRW), werden kommentarlos entgegengenommen. Dieses Verhalten zeigt die derzeitige Sichtweise auf Pflegeeinrichtungen auch oft zum Nachteil der Bewohner, die nur als Wähler gern gesehen, aber ohne Rechte sind. Insbesondere in den Kommunen, in den die Kommune selbst noch eigene Einrichtungen betreibt, müssten und könnten die Ratsmitglieder als Aufsichts- und Kontrollräte gezielte Nachfragen stellen. Das Eintreten eines Aufsichtsratsmitgliedes in einer kommunalen Pflegeeinrichtung könnte vordergründig, bewusst aus einem Interessenkonflikt zwischen optimalen Heimentgelten und notwendiger Qualität bei fehlenden Pflegekräften, unterbleiben. Das Desinteresse ist für andere Mandatsträger nicht erklärbar.

      § 85 Absatz 3 Satz 2, zweiter Halbsatz SGB XI lautet: „Das Pflegeheim hat Art, Inhalt, Umfang und Kosten der Leistungen, für die es eine Vergütung beansprucht, durch Pflegedokumentationen und andere geeignete Nachweise rechtzeitig vor Beginn der Pflegesatz-verhandlungen darzulegen; es hat außerdem die schriftliche Stellungnahme der nach heimrechtlichen Vorschriften vorgesehenen Interessenvertretung der Bewohnerinnen und Bewohner beizufügen.“

      Nach über 20 Jahren von Heimentgeltverhandlungen muss 2019 ein Bundesgericht auf die Einhaltung des Gesetzes gegenüber den Trägern und Pflegekassen pochen.

      Bundessozialgericht stärkt Heimbeirat

      mit Urteil vom 26.09.2019 - B 3 P 1/18 R. Der Tenor lautet: Der Interessenvertretung der Heimbewohner/innen muss zwingend die Möglichkeit einer schriftlichen Stellungnahme zu der Forderung nach Erhöhung der Pflegesätze und Entgelte für Unterkunft und Verpflegung eingeräumt werden, und zwar grundsätzlich schon vor Beginn der Pflegesatzverhandlungen.

      War die Mitwirkung und Mitbestimmung in der Bonner Republik beim Wiederaufbau unverzichtbar, hat sich die Mentalität des Alleinherrschers in den Unternehmen