Das Fest der Männer und der Frauen. Hans-Ulrich Möhring

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Название Das Fest der Männer und der Frauen
Автор произведения Hans-Ulrich Möhring
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783347094413



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Frauenheld. Sie kannte die Geschichten über ihn, hatte lange vorher seine Blicke auf ihrer Haut gespürt und sich darüber vor Gregor mokiert, und dann hatte sie sich trotzdem von ihm aufreißen lassen wie die Unschuld vom Lande und an der ruppigen Art, mit der er sie fickte, sogar ein gewisses Gefallen gefunden. In jungen Jahren, vor Fred, war sie eher eine Spätentwicklerin gewesen, die zwar die freie Liebe im Mund führte, wie alle damals, aber nicht lebte, auch weil sie es grässlich fand, wie ihr »freier« Vater ihre Mutter in die Verbitterung trieb. Ob ihr sexueller Nachholbedarf nun echt oder eingebildet war, ihre Töchter hatte sie damit verunsichert. Und die Töchter wiederum sie. »Mal wieder ein Versuch mit einer Mutti – haut einfach nicht hin«, war Hapes abschließender Kommentar gewesen. Die Mädchen hatten ihn gehasst. Das Traumschiff der einen Nacht kreuzte wieder draußen vor der Kieler Förde: eine Nacht hatte es gegeben in ihrem Leben, eine Nacht auf den Wellen des heißen Blutes, Eine Nacht … Und dann hatte sie doch noch im wirklichen Leben die leidenschaftliche Liebe erfahren, von überwältigender Intensität, mit dem wunderschönen jungen Joel, um den sie gekämpft und den sie verloren hatte. Mit ihm, schien ihr, hätte sie den Mythos der einen Nacht überwinden können. Doch obwohl er stolz war, sie erobert zu haben, und sie ihn tiefer berührte, als er sich eingestehen konnte, gab es für eine Frau wie sie in seinem Weltbild nur eine einzige Kategorie, und so sehr sie sich bemühte, ihm eine weitere Welt aufzuschließen, und obwohl ihr das in ihrem unmittelbaren Zusammensein sogar vorübergehend gelang, letztendlich war und blieb sie eine Hure. Er sprach es nicht aus, oder erst ganz am Schluss, doch sie hatte es immer gefühlt. Ihr uralter Mädchentraum vom afrikanischen Häuptlingssohn zerbrach mit ihm endgültig.

      Was blieb, war das Bild der einen Nacht.

      Der Mann aber, der ihr diese Nacht einst geschenkt hatte, oder den Traum davon, verließ ihr Bett, als sie nach all den Jahren endlich zusammenlagen (er meint es nicht als Zurückweisung, hatte sie sich die halbe Nacht vorgebetet, es ist … etwas anderes), und in der nächsten Nacht, als er sie so unzweifelhaft wollte wie sie ihn, stellte er sich an, als wäre es sein erstes Mal überhaupt, und wurde von einer Sekunde zur andern von einem Mann, unter dessen Händen sie vor Lust und Liebe zerschmolz, zu einem hilflosen Jungen, der keinen Finger mehr rühren konnte. Schon gar nicht den elften. Er konnte nur liegen und atmen. So eine Masse Mann, so wehrlos ausgeliefert. Doch er wurde nicht schlaff. Er war groß in ihr. Groß und auf eine Art, die sie nicht kannte … wunderbar. So wie jetzt, als er erneut in sie eingeht und still liegen bleibt. Atmet. Eine Welle der Zärtlichkeit überfließt sie. Mit beiden Händen nimmt sie sein Gesicht, blickt ihn an. Er erwidert den Blick nicht, schließt die Augen, leise lachend, verlegen. Sie weiß, warum. Sie anzusehen wäre schon zu viel. Es ist ihr egal. Komm, denkt sie, komm, Mann, komm! Im Rhythmus des Atems drängt sie sich ihm entgegen, fasst seine Hinterbacken, holt ihn sich, und da reißt er die Augen auf, den Mund, stemmt sich ruckartig hoch und stößt einen Ton aus, der aus den Eingeweiden zu kommen scheint, tief und rau und anhaltend, dann knicken ihm die Arme ein und er sinkt schwer auf sie nieder. Sie liegt plattgedrückt unter ihm und liebt ihn, liebt ihn. Sie muss verrückt sein. Später helfen ihr seine Hände, sich zu entspannen. Es mag dauern, aber eines Tages werden sie den Weg zusammen gehen. Das werden sie.

      Sie verabredeten, dass er bis zum Umzug einmal im Monat für ein paar Tage nach Kiel kam und sie besuchte. Öfter ging nicht. Bis September musste Bo noch bei Volker einhüten, erst da kam die Familie aus Peru zurück. Außerdem wollte er vorher noch möglichst viel Geld verdienen, um etwas in Reserve zu haben, wenn er sich im Norden neu orientierte. Er hoffte dabei auf Volkers Unterstützung, der sich durch seine Hamburger Verbindungen in der norddeutschen Waldbauszene gut auskannte und ihn wahrscheinlich an Förster oder Baumschulen vermitteln oder mit anderen Baumsteigern bekannt machen konnte, die an einem erfahrenen Mitarbeiter im Team Bedarf hatten. Fürs erste jedoch wartete im Süden jede Menge Arbeit auf ihn, denn die Aufarbeitung der Sturmschäden durch Wiebke war in vollem Gange, und Berthold rechnete fest mit ihrer bewährten Zusammenarbeit. Das Gebiet um Ravensburg gehörte nicht zu den am schwersten betroffenen, die Lage war bei weitem nicht so schlimm wie zwischen Ulm und Leutkirch, wo ganze Waldstriche flachlagen, aber sie war schlimm genug. Einerseits war schleuniges Handeln geboten, damit der Borkenkäfer sich in den Massen von Sturmholz nicht rasend schnell vermehrte, andererseits kam dadurch in kurzer Zeit ein Mehrfaches des jährlichen Holzeinschlags auf den Markt, was einen Preisverfall nach sich ziehen musste. Damit waren auch die Aussichten für die Zapfenpflücker nicht so rosig, meinte Berthold. Die Waldbesitzer würden jetzt verstärkt auf Laubholz setzen, weil viele der geworfenen Nadelholzbestände ganz offensichtlich nicht standortgerecht gewesen waren, mit der Konsequenz, dass die Nachfrage nach Zapfen erst einmal zurückging. Vielleicht war es keine schlechte Idee, wenn Bo sich gleich im September mit Volker über Alternativen zur Zapfenpflückerei beriet. Wer weiß, ob es nicht sinnvoller war, sich bei der Wiederaufforstung zu verdingen, die in Norddeutschland sicher genauso anstand.

      Wie auch immer, es würde schon Arbeit für ihn geben, sagte er sich beim Anblick des vielen Waldesgrüns, das auf seiner nächsten Weltreise nach Kiel vor dem Zugfenster an ihm vorbeistrich; wobei es im Norden weniger wurde. Das flache Land hinter Hannover war ihm fremd. Früher war er ein reiner Stadtmensch gewesen, der für Landschaften kaum ein Auge hatte. Dann war er nach Süden gegangen, und mittlerweile war ihm die südwestliche Ecke der Republik mit Land und Leuten einigermaßen vertraut, fast hätte man sagen können, heimisch. Auch seine Wanderfahrten hatten ihn immer nach Süden geführt, meistens in die Berge und Wälder Jugoslawiens, die »Schluchten des Balkans«. Und von einem Tag auf den andern bewegte sich sein Leben komplett in der Gegenrichtung – nicht nur geographisch. Der einschichtige Waldschrat im Zirkuswagen aus Oberschwaben zog Knall auf Fall in eine norddeutsche Vorstadtvilla und hatte obendrein eine Familie am Hals, drei Frauen! Als Sofie im Mai mit ihm durch die Kieler Innenstadt gebummelt war und am Abend den Töchtern und ihm das im Vorbeigehen erstandene Sommerkleid vorführte, tänzelnd wie auf dem Laufsteg und die Haare schüttelnd und sich nach links und rechts drehend, da war er sich ein wenig vorgekommen wie ein Entdeckungsreisender aus Kolonialzeiten, der bei einem Eingeborenenstamm im afrikanischen Urwald Zeuge eines archaischen Fruchtbarkeitsrituals wird. Fremd und erregend. Er war auf weitere weibliche Riten und Kulte gespannt. Aber er hatte nichts einzuwenden gehabt, als Sofie ihm erklärte, sie werde zu seinem Junibesuch die Mädchen übers Wochenende zu ihrem Vater nach Berlin schicken, damit Bo und sie die paar kurzen Tage für sich hatten. Ja, die konnten sie brauchen, vor allem Sofie, der es vor dem Spagat zwischen Mann und Kindern auch ein wenig graute. Zeit zum gegenseitigen Kennenlernen würde es noch genug geben.

      Sein Hunger war vergessen, als der Zug im Kieler Hauptbahnhof einlief, so dass es sofieseits keiner Überredungskünste bedurfte, damit sie vor dem Essen noch kurz und heftig Wiedersehen feierten. Während er sich hinterher den Luxus einer Dusche gönnte, brachte sie das vorbereitete Abendessen in Gang, und wie versprochen dauerte es nicht lange, bis Lammlendchen, Rosmarinkartoffeln und Salat auf dem Tisch standen. Er tat sich eine gewohnt große Portion auf, doch kaum war der erste Hunger gestillt, mit ungewohnt wenig, vergaß er seinen halbvollen Teller. Da hatten sie am Vortag erst länglich miteinander telefoniert, und schon wieder gab es unendlich viel zu erzählen. Die Lage des Hauses in Eidernähe brachte ihn auf Kindheitsgeschichten – »ich hab tatsächlich mal in Rendsburg gewohnt, stell dir vor« – und Sofie regte an, am nächsten Tag einen Ausflug zu machen. Warum nicht? Als sie schließlich das Geschirr abräumten, wiegte sie sich beim Gang zwischen Tisch und Spülmaschine in den nur dünn vom Morgenrock umschmeichelten Hüften, eine bekannte Melodie summend, bevor sie das Lied anstimmte, das ihnen gehörte, nur ihnen. »This wound in our one flesh …« Sie trat hinter den Küchentresen, stützte die Hände auf und sah ihn an, sang ihn an, dann hob sie die Hände ein wenig, »… my hands are growing wings«, und er stellte die Salatschüssel ab, trat vor sie hin und stimmte in den Refrain ein: »My love, my love, how can I reach you, how can I touch you?« Wie aus einem anderen Leben. Er stockte kurz und sang in der Wiederholung statt des Textes eine Lautfolge, die sie im ersten Moment verwirrte: »Lalaa, lalaa, hakani ino, hakani uro.« Hn? Na, hatte so, ungefähr so, nicht das ursprünglich nordafrikanische Lied in Sofies Phantasiesprache geklungen? als sie es seinerzeit im Bandbus zum ersten Mal vom Tonband abhörten? Ja, genau! Ihre Augen wurden weit von Erinnerung und leuchteten ihn an, als sie weitersang, von ihm begleitet mit halblaut gebrummten Vokalisen, bei denen er von der Melodie in Tondehnungen, Synkopen und Melismen abhob, die fremdartig klangen; orientalisch?