Название | Amour bleu |
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Автор произведения | Andreas Bahlmann |
Жанр | Короткие любовные романы |
Серия | |
Издательство | Короткие любовные романы |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862872350 |
Beschwingt durch das »taggedidagdag, taggedidagdag…« zog ich mit federnden Schritten weiter.
Überall um mich herum ertönte in Fetzen Stimmengewirr. Trotz der nächtlichen Kühle saßen viele Menschen draußen an den Tischen der Restaurants, Bars und Cafés. Ihre Unterhaltungen übertönten und durchmengten sich mit dem Verkehrslärm und der allgegenwärtigen, französischen Akkordeon-Musik, die mit ihren virtuosen Melodien aus allen Richtungen zu wehen schien.
Schließlich stand ich vor dem unscheinbar in der Straßen-Szenerie liegenden Eingang zum Caveau de la Huchette.
Ich bezahlte an der Kasse, erhielt einen Verzehr-Bon und tauchte in die Höhlenwelt des Jazz ein, in der ich zunächst so gut wie nichts sah, weil der Weg in den Club durch einen schummrig beleuchteten, tiefschwarz gestrichenen Tunnel-Korridor führte.
Außer mir hielten sich vielleicht acht oder zehn weitere Gäste im Jazz-Keller auf, die Atmosphäre war gruselig und deprimierend.
Die Band bestand aus einem Schlagzeuger mit Hornbrille und Seitenscheitel, einem schlaksigen Kontrabassisten mit Mönchs-Glatze und blauen Pullunder, einem abgehärmt wirkenden Gitarristen mit mittelblonden, strähnigen langen Haaren, die im Nacken zu einem dünnen Pferdeschwanz zusammengebunden waren und einem Tenor-Saxophonisten mit Pomade-Frisur.
Ich bestellte mir an der Theke ein Bier und erfuhr, daß es sich um die Haus-Band handelte, die hier so explosiv aufspielte und die Zuschauermassen begeisterte.
»Wie viele Abende haben die wohl schon auf diese Art und Weise hinter sich gebracht«, dachte ich.
Im Vergleich dazu fühlte sich mein Liebeskummer gleich ein wenig besser an.
Um im Caveau de la Huchette zur Hausband zu gehören, mußten die Musiker in der Lage sein, wirklich jeden Musikwunsch der Gäste zu erfüllen.
Die Bühne sah aus wie ein überdimensionales Laufgitter, dessen abgeschabte Lauffläche sich etwa einen Meter aus dem schwarzen Estrichboden empor hob, umzäunt von einem Geländer aus Holz und Metall, wie bei einer Galerie.
Schüchtern näherte sich eine junge Frau mit mausbraunen Haaren dem Musiker-Laufgitter und gab dem Saxophonisten ein Zeichen. Dieser unterbrach kurz darauf sein Saxophonspiel, während die Band weiterspielte. Er beugte sich zu ihr hinunter und hielt ihr ein Ohr hin. Sein weit geöffnetes Hemd spannte abenteuerlich stramm und unterteilte seinen von vielen Longdrinks und billigem Essen aufgedunsenen Bauch in unförmige Wülste.
Die in ihrer unauffälligen Art und Weise sehr hübsche Frau flüsterte dem Saxophonisten etwas ins Ohr, und er nickte zustimmend. Als sie sich anschickte, wieder zu ihrem Platz zurückzukehren, tippte er ihr noch einmal von hinten auf die Schulter. Die Frau drehte sich um, er beugte sich erneut zu ihr hinunter, wobei er mit dem Zeigefinger auf seine von geplatzten Äderchen durchzogene, schwitzig-glänzende Wange deutete.
»Hey Lady, I’m gonna play it for you and you’ll give me a kiss …«
Dieser Mann ließ kein Klischee unberührt.
Die Frau schien überrumpelt und lächelte unsicher. Dann gab sie dem Saxophonisten einen flüchtigen Kuß auf seine feiste Wange und kehrte eiligst, eher fluchtartig, in die hinter einem Pfeiler vom Scheinwerferlicht unbeleuchtete, geborgene Sicherheit ihres Barhockers zurück.
Die Kommunikation auf der Bühne war kurz und geräuschlos knapp. Der Schlagzeuger tauschte einige Worte mit dem Kontrabassisten aus, dann zählte er die Band ein.
Aus dem Saxophon schmalzte die Melodie von ›You are the Sunshine of my Life‹, getragen von den träge-seichten Bossa-Rhythmen der Band.
Der schmierige Saxophonist beherrschte sein Instrument in einer bewundernswerten Art und Weise.
Er verschmolz regelrecht mit seinem Saxophon, alles an ihm zerfloß mit den sanften Tönen, die durch das Mundstück, dann durch den geschwungenen Hals tief in die Seele seines abgewetzt aussehenden Instruments hinab glitten, um dann aus dem nach oben gebogenen dunklen Trichter-Schlund heraus zu perlen.
Eine wunderbare Zartheit verzauberte den Raum.
Die mausbraune Frau nippte in ihrer Ecke, beinahe zärtlich und mit geschlossenen Augen, an ihrem Getränk.
Ich blendete den traurigen Anblick dieser abgehalfterten Band aus und schloß ebenfalls die Augen, um mein von Liebeskummer durchtränktes Herz diesen wunderbaren Klängen zu übergeben. Kaum hatte ich jedoch die Augen geschlossen, da zerstörten laut trampelnde, stampfende Schritte diesen kurzen Moment der Innigkeit.
Ein wissendes Grinsen ging durch die Reihen und Gesichter des Theken-Personals, aber auch der Band und einiger Gäste.
Eine imposante Frau tauchte mit schweren Schritten stampfend aus der Dunkelheit auf und baute sich, wie ein zu Fleisch gewordenes Monument, mitten auf der Tanzfläche auf.
Aus ihrem Schatten heraus trat eine mickrige Gestalt, die von der monumentalen Frau blitzartig, mit unfaßbarer Gewalt gepackt und wie eine Puppe vor sich geschleudert wurde. Dort landete das Männchen mit einem »Klick-Klick« der Schuh-Absätze und das Paar verharrte einander gegenüberstehend, wie in einer Tanzposition.
Die Frau war fast einen Meter und neunzig groß und trug einen weißen Petticoat mit roten Punkten.
Sie besaß die Statur eines Gewichthebers und die Arme und Hände eines Schwergewicht-Boxers.
Ihre widerspenstigen, zu einer roten Pferdeschwanz-Frisur gebündelten Haare gaben ihr dennoch etwas von einem kleinen, wilden, aber auch musikalisch empfindsamen Mädchen, welches die Natur mit Maßen ausgestattet hatte, die wohl nur den berühmten französischen Bildhauer Rodin uneingeschränkt beglückt hätten.
Ihr männlicher Begleiter war ein schmächtig ausgefallenes Geschöpf mit einer Körpergröße von wohlwollenden einem Meter und sechzig und schulterloser Statur.
An seinen Füßen trug er Schuhe mit hohen Plateau-Sohlen. Die Absätze waren mit Metallwinkeln beschlagen.
Der Mann wirkte auf eine rührende Art unproportioniert, und seine linkischen Bewegungen verliehen ihm den schüchternen Charme eines liebenswürdigen Trottels.
Seine Haare waren zu einer riesigen »Entenschwanz«-Haartolle zusammengekämmt, wie es die Halbstarken der fünfziger und sechziger Jahre zu tun pflegten. Nur entpuppte sich dieses Exemplar als wahres kunsthandwerkliches Meisterwerk:
Der Haaransatz des Mannes war bereits bis zur Kopfmitte zurückgewichen, und nur durch verwegenes Nach-Vorne-Frisieren, unterstützt durch brachialen Einsatz von Haarspray und Pomade, konnte diese imposante Tolle entstanden sein.
Der massive Einsatz von Plateau-Sohle und Haartollen-Turm brachten ihn größenmäßig noch nicht auf Augenhöhe, aber zumindest ein gutes Stück näher an seine Dame.
Ein markerschütternder »Rooock’n’Roool!«-Schrei brachte den Jazzkeller in seinen Fundamenten zum Erbeben.
Ihr linker Arm pumpte in rhythmischen Stoßbewegungen nach oben, ihre mächtige Hüfte schwang bebend und ihre Füße stampften dazu ungeduldig im Takt mit.
Elvis lebte – daran konnte es nun keinen Zweifel mehr geben!
Das Gesicht unter der Haartolle wirkte leicht nervös angespannt und dann passierte es endlich:
Der Schlagzeuger nahm grinsend das Tempo der stampfenden Füße und des pumpenden Arms auf, schlug seine hölzernen Schlagstöcke gegeneinander und zählte laut ein:
»... one … two … one - two - three - four...«
Mit dem ersten Ton landete der Saxophonist auf seinen Knien, blies sich zu Bill Haley’s Rock’n’Roll-Klassiker ›Rock around the Clock‹ die Seele aus dem Leib, und die Knöpfe schienen mit seinem Hemd verschweißt zu sein.
Die mächtige Frau explodierte regelrecht in eine leidenschaftlich getanzte Demonstration tief erfüllter Liebe zum Rock’n’-Roll, und die Haartolle kämpfte akrobatisch um ihr Leben.