Seidenstadt-Schweigen. Ulrike Renk

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Название Seidenstadt-Schweigen
Автор произведения Ulrike Renk
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783734994326



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      »Antreten!« Der Ruf des Ausbilders hallte durch die Gänge.

      »Was denn? Es ist doch gleich Essenszeit. Elender Schinder. Wenn der uns wieder durchs Gelände jagt …« Fritz stöhnte auf.

      »Was dann?« Alfred lachte. Beide waren aufgesprungen und griffen nach ihrer Ausrüstung.

      »Wir sind hier nicht auf Urlaub. Los, los Ihr Säcke!«, brüllte der Ausbilder.

      Innerhalb weniger Minuten war die Kompanie zugweise im Hof angetreten, der Kompaniechef äußerte sich kurz zu den soldatischen Tugenden und sprach von der zu jeder Zeit notwendigen Härte gegen sich selbst. Dann übernahmen die Zugführer.

      »Geländedienst, Männer. Fertig werden!« Der Feldwebel ließ den Blick die Reihe entlangwandern. »Stillgestanden, Gruppenführer übernehmen!« Fritz kontrollierte unauffällig, ob die Gasmaske ordentlich befestigt war. Sein Gruppenführer, Unteroffizier Heff, hatte ihn schon wegen kleinerer Vergehen zur Schnecke gemacht.

      Im Gleichschritt marschierten die Gruppen vom Kasernenhof. Nach zwei Kilometern strammen Marsches erreichten sie die Heide. Dort scherte ihre Gruppe aus und ging in Linie vor.

      »Stellung!«

      Fritz ließ sich auf den Bauch fallen, nahm die Hacken herunter und schob das Gewehr feindwärts. So manches Mal hatte er vergessen die Hacken herunterzunehmen. Diesbezüglich gab Heff kein Pardon, immer wieder schnauzte er, dass die Hacken ein gutes Ziel bildeten, und dass man mit angeschossenen Fersen nur eine Belastung und Gefahr für seine Kameraden darstelle. Mitunter ließ er sich dazu hinreißen, hochstehende Fersen einfach um zu treten.

      »Deckung!«

      Fritz drückte sein Gesicht in die kalte Erde, legte die Arme um den Helm, die vereiste Pfütze unter seinem Bauch brach, er spürte das eisige Wasser durch die Kleidung dringen.

      »Sprung auf! Marsch, Marsch!«

      Sie erhoben sich und stürzten in die befohlene Richtung. Der Klappspaten hatte sich aus dem Futteral gelöst, Fritz griff im letzten Moment danach, bekam ihn mit der Linken zu fassen. Die Gasmaskendose schlug gegen seine rechte Hüfte, das Sturmgepäck lastete schwer auf seinem Rücken.

      »Fliegerangriff, neun Uhr!«

      Wieder nahmen sie Deckung. Fritz kam dabei so unglücklich zu Fall, dass er sich die kugelige Verdickung am Ende des Holzstiels seines Klappspatens genau zwischen die Beine schlug. Stöhnend richtete er sich auf, zog den Spatenstiel aus dem Schritt.

      »Sie da!« Der Unteroffizier zeigte auf ihn. »Soll das volle Deckung sein? Sie sind tot. Weiß Ihr Vater, was für einen Blindgänger er da gezeugt hat? Wollen wir doch mal schauen, ob Sie wenigstens 20 Liegestützen zusammenbringen und zwar hier.« Er wies auf eine ausgedehnte Pfütze. Fritz sank in den Schlamm und führte den Befehl aus.

      Immer wieder gingen sie in Stellung, stürmten im Sprung, nahmen Deckung vor imaginären Maschinengewehren und unablässig feuernden Schlachtfliegern. Sie stürmten, ließen sich fallen, gingen ins Ziel, stürmten erneut und nahmen Deckung. Etliche weitere Kameraden seiner Gruppe kamen in den Genuss zusätzlicher Bewegungsübungen. Ihr Uffz war heute wieder in Geberlaune.

      Als sie wieder auf dem Kasernenhof eintrafen, trieften sie vor Schlamm und Schweiß.

      »Wegtreten zum Waffenreinigen!«

      Im Flur vor den Stuben saßen sie einander gegenüber, während die Ausbilder in der Gangmitte das Waffenreinigen überwachten.

      »Da sind ja noch Elefanten im Lauf!« Diesmal nahm der Unteroffizier Adolf aufs Korn. Adolf zog den Gewehrlauf nochmals durch, hielt ihn dem Unteroffizier hin. Ihre Mägen knurrten, aber bevor sie ihre Uniformen und Stiefel nicht gesäubert hatten, würde es kein Essen geben.

      Es war nur die Grundausbildung, da mussten sie durch, sagte sich Fritz, als er abends todmüde ins Bett fiel.

      7. Kapitel

      Der Tag blieb ruhig. Gegen 15 Uhr bekam Fischer den Anruf, dass die Bombe entschärft war.

      Kurze Zeit später klingelte wieder Fischers Diensttelefon.

      »Ich habe es gewusst!« Oliver Brackhausen klang aufgeregt.

      Fischer wechselte den Telefonhörer in die andere Hand, nahm einen Stift und einen Zettel. »Was hast du gewusst?«

      »Es ist ein Toter in der Grube. Eingewickelt in eine Plane. Ich hab nur vorsichtig nachgeschaut.«

      »Welchen Eindruck hast du denn? Wie lange ist er schon tot?«

      »Das ist ein Soldat aus dem Krieg.«

      »Ich werde den Staatsanwalt informieren. Bleib vor Ort, ich melde mich gleich wieder bei dir.«

      Staatsanwalt Altmann ging sofort ans Telefon.

      »Fischer, KK 11. Im Zoo wurde eine Leiche gefunden.«

      »Ich dachte eine Bombe? Davon hab ich jedenfalls gehört.«

      »In dem Bombenkrater liegt ein Toter. Gut möglich, dass er dort schon so lange liegt wie der Blindgänger. Brackhausen hält ihn für einen Soldaten aus dem Krieg.«

      »Ist da überhaupt noch etwas zu identifizieren? Außer Knochen? Nach über 60 Jahren?« Altmann klang verwundert. »Der große Angriff auf Krefeld war doch 1943.«

      »Der Leichnam war wohl in eine Plane gewickelt. Ich habe ihn selbst noch nicht gesehen, kann auch nichts über eine vermutliche Todesursache sagen. Dass er in eine Plane gewickelt war und in einem Bombenkrater lag, spricht nicht für einen natürlichen Tod.« Fischer nahm die Schachtel Zigaretten aus der Jacke, legte sie auf den Schreibtisch.

      »Nicht unbedingt. Aber ob wir da jemals etwas herausbekommen werden?«

      »Also keine Spurensicherung? Da sind so viele Leute vom Räumdienst gewesen, Spuren gibt es sicherlich nicht mehr.«

      »Nein. Lassen Sie ihn abholen und nach Duisburg zur Rechtsmedizin bringen. Alles Weitere sehen wir dann.«

      Für einen Moment war Fischer versucht in den Zoo zu fahren und beim Abtransport der Leiche anwesend zu sein. Irgendetwas an der Sache berührte ihn, obwohl es vermutlich kein Fall werden würde. Doch dann schaute er auf den Stapel Unterlagen, die er noch abzuheften hatte und rief Brackhausen an.

      Die abendliche Besprechung verlief ruhig. Im Moment gab es keine dringenden Fälle und Fischer verabschiedete sich für die nächsten zwei Wochen in den Urlaub.

      »Ich hab noch drei Akten, die ich durchgehen muss«, sagte er der Sekretärin Christiane Suttrop. »Die nehme ich mit und reiche sie im Laufe der Woche ein.«

      »Kein Problem. Wann ist denn dein Umzug?«, fragte sie.

      »Wir machen das so häppchenweise. Martina hat für Freitag einen Wagen bestellt, sie hat mehr Möbel als ich. Aber ich muss meine Wohnung noch streichen. Und die Übergabe ist schon in wenigen Tagen.«

      »Streichen? Eine elende Arbeit, abkleben, abdecken, du hast mein Mitleid.«

      »Wohl wahr. Die Wände sind gelb vom Nikotin. Ich hoffe, die Farbe deckt gut.«

      »Selbst schuld. Falls etwas ist, unter welcher Nummer kann ich dich erreichen?«

      Fischer überlegte einen Augenblick. Am liebsten hätte er gesagt: gar nicht. Wenn er mit Martina weggefahren wäre, könnte ihn auch niemand erreichen.

      »Über mein Handy. Zur Not musst du auf die Mailbox sprechen.«

      »Der Chef kommt ja übermorgen wieder und im Moment ist nichts los. So ruhig war es schon lange nicht mehr. Schönen Urlaub … ähm … Umzug, Jürgen. Ich freue mich für euch.« Sie zwinkerte ihm zu.

      »Hoffen wir, dass es so ruhig bleibt.«

      Jürgen Fischer fuhr zu seiner Wohnung an der Rheinstraße. Wieder belud er ein paar Kartons. Er hatte nun fast alles eingepackt. Sein Bett und die Matratze kamen übermorgen auf den Sperrmüll,