Der Selbstmörder. Paul Blumenreich

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Название Der Selbstmörder
Автор произведения Paul Blumenreich
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783961188727



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Ich bin eine rechte Törin! – Nie hätte ich es wagen dürfen in dieser Stunde, aber ich habe es doch gewagt.«

      Er verstummte. Sie wunderte sich so gar nicht und sie frug so gar nicht nach jenem. Vielleicht aber kannte sie schon sein Schicksal, vielleicht auch war er nicht tot.

      »Sind Sie es denn wirklich, Josepha?«

      »Ja,« wiederholte sie, »ich bin es.« Sie schlug den Schleier zurück. Ein hübsches, lächelndes Gesicht, das sich ihm eifrig hinneigte. Er begriff nicht, was hier vorging.

      »Und der Tote?« frug er.

      »Lassen Sie ihn doch ruhen,« antwortete sie, »ich bin frei.«

      »Ist er also wirklich tot?«

      »Gewiß ist er tot, mein Mann.«

      »So war es Ihr Mann? – Und dieser Ring?«

      »Was ist's mit dem kleinen Ringe?« fragte sie.

      »Sie kennen ihn nicht?« rief er verwundert aus. »Nein? – So sind Sie also nicht Josepha?«

      »Freilich bin ich das, und Sie – Sie sind doch der Herr, der mir abends immer folgte?«

      »Niemals bin ich Ihnen gefolgt, ich sehe Sie zum ersten Male.«

      Josephine lachte laut auf.

      »Ach, das ist zu komisch! – Sie suchen eine andere und ich einen anderen, denjenigen, der mir tagelang nachstellte, – zu komisch!«

      Und sie schüttete sich aus vor Lachen; schließlich mußte er auch lachen. Er war halb enttäuscht, halb belustigt.

      »Gehen wir nun doch ein wenig spazieren, da uns das Schicksal so zusammengeführt!« schlug er vor.

      Und sie gingen. Sie plauderte heiter und unbefangen; sie war Witwe und lebte bei einer strengen Tante, wollte sich ein wenig amüsieren. Und er, – was wollte er nur mit dem Toten, Josepha? – Er widersprach: Er hätte Pflichten gegen sie zu erfüllen.

      »Ach, lassen wir die Gespenstergeschichten, amüsieren wir uns! – Wir sind jung, wir leben.«

      Sie schlug ihm vor, da und dorthin zu gehen; er kannte ja noch gar nicht die Vergnügungen der Großstadt. Sie wußte um so besser Bescheid.

      Als sie neuerdings das Monument passierten, wohin er unwillkürlich wieder gelangt war, sah er plötzlich ein süßes, blasses Mädchengesicht mit traurigen, fragenden Augen; sie schien auf jemanden zu warten. Plötzlich wurde es ihm klar: Die Josepha an seiner Seite war die Sirene, die ihn verlockte in den Sumpf der Großstadt. Er riß sich gewaltsam los, plötzlich aber besann er sich noch, führte sie ritterlich bis zu einer Droschke, und nun stürzte er zurück nach dem Denkmal. –

      Da stand die andere noch immer und wartete.

      »Josepha, Du bist es!« – Ganz unwillkürlich sagte er Du und er eilte mit offenen Armen auf sie zu. Sein Herz sagte es ihm ja, das war die richtige Josepha. Und da hing sie auch schon an seinem Halse.

      Welch ein süßer Schreck, ein junges, holdes Wesen so an seiner Brust zu fühlen, das ihr Köpfchen vertraulich anschmiegt! – Es war zu schön, ein Augenblick traumhafter Seligkeit; aber nur ein Augenblick, das konnte ja nicht währen. Er sagte:

      »Ich bin von ihm gesendet.«

      Sie stieß einen dumpfen Schrei aus, taumelte zurück, wollte fliehen und hielt dann laut atmend inne.

      »Warum ist er nicht selbst da?«

      »Er – – er kann nicht kommen, – aber ich –«

      »Was wollen Sie von mir?«

      Er zog sie sanft in das Bereich der nächsten Gasflamme; stumm streckte er ihr die Hand hin mit dem Ringe.

      »Er gab ihn mir für Sie, Josepha.«

      Nun schlug sie den Schleier zurück; ein süßes, schönes, blasses Gesicht, von schlichtem, braunen Haar umrahmt; wie reizend sie war! – Er verging vor Glück, daß sie nur mit ihm sprach.

      »Es ist ein Ring, ich gab ihn ihm,« rief sie mit bebender Stimme. Und plötzlich brach sie in wildes Schluchzen aus.

      Sanft und ruhig begleitete er sie nach einer der Bänke in der Nähe der Tiergartenstraße, und dort ließen sie sich nieder. Sie steckte den Ring an ihren Finger und fragte jetzt:

      »Wie kam es? – Ich kann es gar nicht fassen; ich glaube von schrecklichen Träumen gefoltert zu sein. Wie wußten Sie? – Wie fanden Sie mich?« –

      Er wollte antworten und stockte wieder. Es klang ja alles gar zu sonderbar. Wußte er doch nicht einmal den Namen des Mannes. Und er stammelte eine etwas verworrene Erklärung, welche darin gipfelte, daß er sich so sehr gesehnt, Josepha kennen zu lernen, sich jetzt sehnte, ihr zu dienen. Aber seine warmen, schüchternen Worte schienen ihr wohlzutun; sie beruhigten offenbar, gewannen ihm Vertrauen. Ach, wie wohl ihm das tat!

      Und sie erzählte ihm jetzt, nach und nach ruhiger werdend. Karl war ihr Jugendfreund, war als Buchhalter angestellt im Geschäfte ihres Vaters, und auf dessen Wunsch sollten sie heiraten. Sie hatte Karl gern, ihr Herz war sonst frei, und so fügte sie sich. Karl war ein intelligenter Mensch, hatte die allerglänzendsten Aussichten; einmal als junger Bursche hatte er einen dummen Streich gemacht, nachher aber war er allezeit ordentlich, gewissenhaft gewesen. Sie lebten alle in Eintracht und Frieden nebeneinander, die Hochzeit hing noch von Karls zu erfüllender Militärpflicht ab.

      »Er hat Sie sehr geliebt?« unterbrach Armin. Er war bereits eifersüchtig auf den Toten.

      »Ja, er hat mich sehr geliebt. Und welches Mädchen bliebe gleichgiltig dagegen?«

      Aus ihren Worten klang heraus, daß er die Beziehungen wohl ernster genommen haben mochte als sie, und Armin atmete erleichtert auf. Schon die Nähe des jungen Mädchens, das ihm jetzt ihr Herz öffnete, beglückte ihn, und er wußte noch nicht einmal ihren Familiennamen. Wie romantisch das war! Ja, Josepha war wie vom Himmel gesendet. –

      »Schon in letzter Zeit,« erklärte sie weiter, »war Karl etwas verändert, war reizbar, aufgeregt, fehlte oft abends. Wenn ich ihm dann Vorwürfe machte, folgten leidenschaftliche Ausbrüche, aber er wollte nicht zugeben, daß irgend eine Wandlung eingetreten sei. Und dann« – ihre Stimme bebte – »kam er eines Abends nicht nach Hause, kam Morgens nicht mehr in das Kontor. Er wohnte ja im selben Hause, hatte schon an unserem Abendtisch gefehlt und war die ganzeNacht nicht heimgekommen. Das gab einen entsetzlichen Schrecken in unseren wohlgeordneten, ruhigen Verhältnissen. Papa lief zur Polizei, suchte, forschte, tagelang, – keine Kunde; niemand wußte etwas. Wir erließen eine Zeitungsnotiz »Vermißt«, wir veranlaßten Anschläge an den Säulen, alles vergeblich. Sie können sich nicht denken, wie schrecklich diese Ungewißheit, diese Angst, diese fürchterlichen Vorstellungen auf uns lasteten. Wir aßen nicht, schliefen nicht, das Geschäft stockte, alles war außer sich. Da las ich einmal in der Zeitung: »Josepha, Luisendenkmal, abends neun Uhr.« Wie soll ich Ihnen schildern, wie mir zu Mute war! War das Karl? – Und warum hielt er sich ferne? – Warum kam er nicht? – Und dennoch, wer sonst konnte mich rufen? – In meiner Angst wagte ich nicht, meinen Eltern etwas zu sagen, sie in eine frohe Hoffnung zu wiegen. Vielleicht hatte Karl irgend eine Schuld auf sich geladen, die er nur mir zu gestehen den Mut hatte; genug, ich ging. Als ich Sie gewahrte, Sie mich anriefen, glaubte ich anfangs, Sie hätten durch Zufall erfahren, was bei uns vorgegangen, und wollten das für sich benutzen. Meine Eltern mit ihren strengen Anschauungen hatten nie geduldet, daß ich mit Karl allein ausgehe; nur in ihrer Begleitung machten wir hier und da einen Spaziergang. So trafen wir uns manchmal unter harmlosen Vorwänden heimlich, – natürlich wurde das nicht durch die Zeitung verabredet, – und als ich Sie sah, mußte ich wohl an einen Mißbrauch glauben, bis Sie mir den Ring wiesen; dann war ich überzeugt. Armer Karl! Ach, erzählen Sie mir nochmals –«

      Und Armin erzählte nochmals, versuchte dabei das Bild mit dem Gehörten zusammenzureimen. Beinahe weinte er mit Josepha; es war doch eine sehr ergreifende Geschichte. Und nun bedankte sie sich beim ihm für seine Gewissenhaftigkeit, für die Mühe, die er sich genommen; sie drückte ihm herzlich