Название | Die Welt, in der wir leben |
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Автор произведения | Wilfried Nelles |
Жанр | Сделай Сам |
Серия | Edition Neue Psychologie |
Издательство | Сделай Сам |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783947508754 |
Die Kindheit gehört zum Kind – der Umgang mit Trauma im LIP
Die Vergangenheit ist das, was vorbei ist
Lebensintegration oder: Das Leben geschieht
Der Lebensintegrationsprozess als modernes Initiationsritual
In Beziehung und allein sein – Erwachsene Liebe
Die Verwechslung von Innen und Außen
Stufe 5: Der Eintritt ins Alter – Das Geistbewusstsein
Die Menopause – Der Eintritt ins Alter
Das Geistbewusstsein – Kreativität und Offenbarung
Stufe 6: Alter und Reife – Das Einheitsbewusstsein
Stufe 7: Der Tod – Das All-Bewusstsein
PROLOG
Februar 1979
Ich liege im warmen Sand am Strand von Koh Samui, einer kleinen, unbekannten Insel im Süden von Thailand. Heute morgen sind wir, meine Frau und ich, hier angekommen. Es ist meine erste richtig weite Reise, wir waren ein paar Tage in Bangkok, wo ein Studienkollege, mit dem ich gelegentlich in der Bibliothek ein paar Worte gewechselt hatte, seit kurzem das Südostasien-Büro des Deutschen Entwicklungsdienstes leitet. Ein gemeinsamer Freund und jetziger Mitarbeiter in dem von mir geleiteten Forschungsprojekt an der Uni Bonn hatte ihn kürzlich besucht, mir von Thailand vorgeschwärmt und die geheimnisvolle Magie Ost-Asiens, das mich seit meiner Jugend anzog, wieder geweckt. Ich hatte ihm eine Salami und Schwarzbrot mitgebracht, er nahm uns dafür mit auf seine erste Dienstreise zu deutschen Entwicklungsprojekten in Südthailand. Koh Samui war die letzte Station, er ist wieder auf dem Rückweg, wir bleiben noch eine Woche hier.
Hier begegnet mir mein Südseetraum. Palmen und tropische Bäume mit breiten Kronen, Sand und warmes Meer, ein paar Bambushütten am Strand, ein bisschen Zivilisation, gerade so viel, dass man mit einem der wenigen Pickups über Sandpisten vom Hafen hierher und wieder zurück fahren kann, eine kleine Theke mit Arbeitsplatte, Wasser, Gaskocher und einem „Kühlschrank“, der mit Eisblöcken gefüllt ist, die täglich per Fähre vom Festland kommen, ein paar Holztische und Stühle unter einem Palmdach als „Restaurant“, einfaches, aber gutes Essen und, ja, auch Bier, das mehr kostet als ein Abendessen, eine Toilette mit einem Wasserbottich und einer Kelle zum Spülen und eine Dusche im Freien hinter der Hütte, abends für kurze Zeit etwas Licht mit Strom von einem Generator. Ansonsten Stille.
Aus dem Meer erhebt sich riesengroß der Mond, es ist Vollmond. Die Kronen der Palmen bilden ein offenes Dach über mir, mein Körper verschmilzt mit der Erde. Nach dem Abendessen habe ich ein paar Züge von einem Joint geraucht – alle, die noch nicht einmal zehn Rucksacktouristen wie die Einheimischen, rauchen hier Gras. Ich bin zwar Nichtraucher und die zwei Mal, die ich zu Hause mit etwa zwanzig an einem Joint gezogen hatte, hatten mich nicht sonderlich beeindruckt, so dass ich kein Bedürfnis nach mehr hatte, aber hier schien es zur Stimmung zu passen und ich wollte nicht abseits stehen. Während mein Körper in der Erde versinkt, so dass ich mich ganz eins damit fühle, höre ich das leise, langsame und regelmäßige Schwappen des Meeres, das hier ganz ruhig ist und dessen leichtes Hinströmen über den Sand der Stille einen Rhythmus gibt: Schwapp – – – schwapp – – – schwapp. Ganz leicht, ganz langsam. Plötzlich sehe ich: Das ist es, das ist alles, das ist die Welt, das ist das Leben: Schwapp – – – schwapp – – – schwapp. Seit Abermillionen Jahren, Tag für Tag: Schwapp – – – schwapp – – – schwapp.
Für Momente bin ich eins damit, nur mein Geist, der dies wahrnimmt, ist noch da, aber auch er ganz still. Frieden, tiefster Frieden. Dann kommt langsam das Denken wieder: „… und unter dieser ewigen Bewegung, mitten in diesem ewig gleich gültigen Schwapp frisst ein Fisch den anderen, wird geboren, gekämpft und gestorben.“ Ich sehe, dass das dazu gehört, dass es kein Widerspruch ist, das Gefühl tiefen Friedens bleibt. Ich spüre wieder meinen Körper, weiß aber nicht, wo er aufhört und der Boden oder die Luft beginnt, und plötzlich bricht aus der Tiefe meines Bauches ein lautes Lachen heraus. Ich sehe mich in Deutschland in meinem Forschungsprojekt, sehe, wie wir uns streiten und spreizen in internen Diskussionen und auf Konferenzen, sehe, wie wichtig wir das alles nehmen, wie wir glauben, die Welt verändern oder wenigstens gestalten zu müssen, und kann nicht mehr vor Lachen: „Doktor Wilfried Nelles, Politikwissenschaftler“ brüllt es aus mir heraus. Meine Frau, die zwanzig Meter hinter mir vor unserer Hütte sitzt, kommt und fragt, was los sei. „Alles okay“, antworte ich, „ich habe nur die Wirklichkeit gesehen.“
Alles okay und doch nichts mehr wie vorher. Viele Jahrzehnte später werde ich Leonhard Cohens Lied Anthem kennenlernen und oft in meinen Kursen zitieren (und gelegentlich singen): „There is a crack in ev’rything/that’s how the light gets in“. An jenem Abend ist ein Riss durch mein Leben gegangen und ein kleines Licht hereingekommen, das nicht mehr erloschen ist. Der Riss scheint mir dadurch entstanden zu sein, dass ich mich sowohl äußerlich (an einem tropischen Strand) als auch innerlich (infolge des Marijuana) an einem ganz anderen