Die Weissen Männer. Arthur Gordon Wolf

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Название Die Weissen Männer
Автор произведения Arthur Gordon Wolf
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783969176245



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      Nachdem er seine Wut abreagiert hatte, kehrte Brandon zu seiner Nachbarin zurück und setzte sie vorsichtig in einen Sessel. Glücklicherweise war Miss Brookdahl bis auf ein paar blaue Flecken nichts Ernsthaftes geschehen. Der psychische Schaden war dagegen beträchtlich. Immer wieder wurde sie von Weinkrämpfen geschüttelt.

      »Wie konnte das denn nur geschehen?«, jammerte sie. »Alexander war doch ein so lieber Freund. Immer höflich und hilfsbereit. Und dann … dann … wie aus heiterem Himmel … !«, ihre Worte verloren sich in einem weiteren Schluchzen. »Er … er fing plötzlich an, Dinge kaputt zu machen! Einfach so. Warum hat er das nur getan? Und wieso reagierte er nicht mehr auf meine Anweisungen, nicht einmal auf das Codewort?«

      Das waren Fragen, die sich auch Brandon stellte. War das von allen gesuchte Hyper-Y2K etwa auch hierfür verantwortlich? Konnte es sein, dass er übergesprungen war und nun auch bioelektronische Lebensformen befiel? Er hatte nicht die geringste Ahnung.

      »Es war wahrscheinlich nur ein blöder Kurzschluss«, antwortete er. »Irgendwelche Steuerkreise haben einfach schlappgemacht. Solche Störfälle geschehen zwar nur äußerst selten, doch es gibt sie.«

      Er war überrascht, wie leicht ihm die Lüge über die Lippen kam. Von derartigen Ausfällen bei Replikanten hatte er bislang jedenfalls noch nie etwas gehört.

      »Die Nachrichten bringen davon natürlich nichts, denn man hat wenig Interesse daran, derartige Dinge an die Öffentlichkeit zu tragen.«

      Hier war er sich dagegen absolut sicher. Mit »man« meinte er natürlich die UMC und falls es in der Vergangenheit tatsächlich derartige Aussetzer gegeben haben sollte, so würde der Konzern tausendprozentig nichts davon nach außen dringen lassen. Die Replikanten waren ein Multi-Billionen-Dollar-Geschäft, und in dieser Liga wurde mit harten Bandagen gekämpft. Im Vergleich zu schlechter PR war die Kernschmelze eines Atomreaktors nur eine momentane Irritation.

      Brandon brühte seiner Nachbarin einen Ingwertee, und während sie sich langsam wieder beruhigte, ging er daran, das Chaos in der Wohnung zu beseitigen. Miss Brookdahl würde einige neue Möbel und neues Geschirr benötigen, ansonsten aber hielt sich der Schaden in Grenzen. Am schlimmsten waren die klebrigen Schmierereien an den Wänden; selbst mit heißem Wasser und Reinigungsmitteln ließ sich nur die äußere Schicht entfernen. Zurück blieben blasse, grün-braune tachistische Wirbel, die eher in das Atelier eines übergeschnappten Künstlers als die Wohnung einer Seniorin gepasst hätten. Nach weiteren vergeblichen Versuchen zuckte Brandon schließlich mit den Schultern.

      »Was soll’s! UMC wird’s wohl verkraften, auch noch einen Anstreicher kommen zu lassen.«

      »So billig wird mir die Firma nicht davonkommen!« Der Tee schien zu wirken, denn Miss Brookdahls Stimme klang jetzt wieder sehr viel kräftiger. »Die werden noch ihr blaues Wunder erleben, das können Sie mir glauben, Brandon! Ich mag ja eine alte Frau sein, aber ich bekomme es immer noch mit, wenn jemand glaubt, mich für dumm verkaufen zu können.« Sie fuchtelte energisch mit den Armen. »Was sage ich ›für dumm verkaufen‹ – einen ›Anschlag‹ haben sie auf mich verübt! Wer weiß, was noch hätte geschehen können, wenn Sie nicht rechtzeitig zu Hilfe gekommen wären. Alexander … er ließ mich nicht mal ans Videophone. Ich war regelrecht seine Gefangene! Und dann dieses schreckliche Lachen! Die ganze Zeit über hat er nur gelacht!«

      Nachdem das Zimmer wieder einen bewohnbaren Eindruck machte, blieb nur noch die Ursache des ganzen Chaos übrig. Brandon beugte sich über den grinsenden Zwerg und starrte ihn nachdenklich an. Vergeblich versuchte er in den toten, leeren Augen ein Motiv für das destruktive Verhalten zu finden. Der Replikant wirkte jetzt so leblos und unschuldig wie ein ausgestopfter Teddy. Wenn da nicht dieses wissende, hämische Grinsen gewesen wäre. Durch die plötzliche Ausschaltung waren die Gesichtszüge erstarrt und in eine dämonische Fratze verwandelt worden.

      »Was soll mit Alex … mit diesem Ding hier geschehen?«, fragte er schließlich.

      Miss Brookdahl vermied es, auch nur in die Richtung des künstlichen Geschöpfes zu blicken.

      »Packen Sie es in den Schrank im Flur«, antwortete sie nun wieder mit zittriger Stimme. »Und schließen Sie um Gottes Willen die Tür gut ab!«

      Da seine Nachbarin offensichtlich weder Verwandte noch nähere Freunde besaß, fragte Brandon sie auch nicht danach, ob sie die Nacht in einer anderen Wohnung verbringen wollte. Sie weigerte sich auch strikt dagegen, einen Arzt in Anspruch zu nehmen.

      »Ich weiß, Sie meinen es nur gut, Brandon«, entgegnete sie auf seinen Vorschlag, »aber mir fehlt wirklich nichts. Nach all der Aufregung muss ich jetzt nur ein wenig zur Ruhe kommen. Und morgen werde ich den Leuten bei UMC die Hölle heißmachen.«

      Nachdem er sich vergewissert hatte, dass sie mit dem Notwendigsten versorgt war, verließ er schließlich die Wohnung.

      »Und scheuen Sie sich nicht, mich beim geringsten Problem zu rufen!«, sagte er zum Abschied.

      Als er vor seiner eigenen Wohnungstür stand, durchzuckte ihn kurz ein unangenehmer Schreck, doch schließlich fand er die Schlüsselkarte in seiner Hose. Um nichts in der Welt hätte er nochmals den Weg über den Außensims nehmen wollen.

      Müde stolperte er ins Bad. Vor dem Spiegel sah er nun, dass nicht alles Rot auf seinem Körper von Marmelade herrührte, an einigen Stellen an Schulter und Oberarmen hatte ihm das Mistding von Alexander recht tiefe Schrammen verpasst. Seine Hände glänzten wie rohes Mett. Zudem war der linke Teil seiner Schläfe bis hinunter zum Ohr geschwollen. Morgen würde es bestimmt in allen Farben des Regenbogens leuchten.

      »Na klasse!«, stöhnte er. »Echt Giga-A !«

      Er beträufelte einen Wattebausch mit Jodtinktur und tupfte damit über alle Verletzungen. Das Zeug brannte wie Salzsäure; dennoch war er sich nicht sicher, ob er den grinsenden Zwerg nicht noch öfter hätte schlagen sollen.

      Es war drei Tage später, als Brandon zum ersten Mal die weissen Männer sah. Er war ausgesprochen guter Laune, da er seine Firma fast einmal pünktlich hatte verlassen können. Auf dem Rückweg war er zur Feier des Tages sogar in sein Stamm-Deli gegangen und hatte sich mit einer Flasche Port, Crackern, Weintrauben und Roquefort Käse versorgt. Auch wenn sein Privatleben aktuell nicht der Rede wert war, so gab es doch auch Dinge, die man sehr wohl ganz allein genießen konnte. Und dazu gehörte für ihn ein Abend mit Wein und Käse und ein urzeitlicher 2D-Schwarz-Weiß-Film auf dem hierfür mehr als überqualifizierten Holoscreen.

      Ausgelassen pfeifend verließ er den Aufzug und schlenderte den Flur entlang. Sein Pfeifen verstummte abrupt, als er die beiden Männer bemerkte. In ihren weißen Overalls sahen sie wie Anstreicher oder Kammerjäger aus, doch Brandon konnte keine der sonst üblichen Utensilien entdecken. Nur einer der Männer trug eine schmale schwarze Ledermappe. Der Fremde war mittelgroß und äußerst korpulent. Sein Bauch spannte den dünnen Stoff des Overalls so stark, dass Brandon befürchtete, er würde jeden Augenblick reißen. Sein Gesicht ähnelte dem einer Bulldogge. Einer Bulldogge mit Bluthochdruck, dachte Brandon. Der fast kahle Schädel, die kleinen schwarzen Augen, die hängenden Wangen, alles schien vor Schweiß zu glänzen. Und das bei einer konstanten Flurtemperatur von 19 Grad.

      Sein Begleiter war das genaue Gegenstück; er war beinahe zwei Meter zehn groß und extrem hager. Unter seiner weißen papierartigen Hülle schienen nur Knochen zu stecken. Passend zur Kleidung wies seine Haut einen nahezu identischen Farbton auf. Sie wirkte so weiß, als sei sie künstlich gebleicht worden. Wie ein farbloser Clown oder ein Vampir, kam es Brandon in den Sinn. Das einzig Dunkle an ihm waren seine Augen.

      Als er an den beiden Männern vorüberging, fing er von dem ›Vampir‹ einen kurzen, intensiven Blick auf, der aus unendlich tiefen, öligen Tümpeln zu kommen schien. Für einen Augenblick hatte Brandon das Gefühl, etwas Kaltes, Schleimiges berührt zu haben. Seine Hand zitterte leicht, als er seine Schlüsselkarte über den Sensor zog.