VERGANGENE ZUKUNFT. Gisbert Haefs

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Название VERGANGENE ZUKUNFT
Автор произведения Gisbert Haefs
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783957659002



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das zu kombinieren. Dieser schon beinahe historische Aspekt würde Folgen haben, auch wenn mir das nicht klar war.

      Aber eines fiel mir schnell auf: Rolf W. Liersch trug Romane zur Serie bei, darunter das Taschenbuch »Sternenstaub«.

      Der andere Autor, der am Konzept mitgearbeitet hatte – Thomas R. P. Mielke – tat das nicht. Ich erinnere mich daran, dass ich das rätselhaft fand. Immerhin stand unter dem Seriennamen: nach einer Idee von Rolf W. Liersch und Thomas R. P. Mielke. So weit, so geheimnisvoll.

      Dass die Geschichte des Terranauten-Konzeptes Irrungen und Wirrungen beinhaltete, ahnte ich nicht. Zunächst war da einfach diese ungewöhnliche Mischung aus Ideen, sie sich auf den ersten Blick zu widersprechen schienen.

      Thomas R. P. Mielke war in meinem Kopf also zunächst ein Abstraktum mit erstaunlichem Ruf. Ohne die Details zu kennen, schrieb ich ihm damals die Yggdrasil-Idee zu.

      Den Terranauten war kein langes Leben beschert. Das mag an vielem gelegen haben, die Enttäuschung war auf jeden Fall groß, als sie eingestellt wurden. Dass danach Taschenbücher erschienen, die die Serie weiterführten, war kein wirklicher Trost. Jedem war klar, dass es sich um einen Abgesang handelte. Zudem schafften es diese Romane nicht, den Zauber aufrechtzuerhalten – zumindest nicht bei mir. Und wenn ich das langsame Verwelken der Serie im Folgenden bedenke, war das bei anderen ebenso wenig der Fall.

      Im Gegensatz zu vielen anderen, teilte ich damals die Einstellung »entweder – oder« nicht. Für mich schlossen sich Perry Rhodan und die Terranauten niemals aus. Zu unterschiedlich waren die Ideen, und obwohl die Einzelromane oft deutlich gesellschaftskritisch waren, blieb der Zweifel, ob man aus diesem großartigen Konzept wirklich alles herausgeholt hatte. Häufig war die Meinung zu hören, die Konzeption sei zu anspruchsvoll gewesen, der Ansatz einfach zu anders. Ich teile diese Meinung nicht. Damals wäre sicher der Zeitpunkt gewesen, die Sache noch weiter zuzuspitzen. Vielleicht war das, was an Texten erschien, nicht anders genug? Ich kann die Frage auch im Rückblick nicht beantworten. Die Achtziger begannen und damit änderte sich gesellschaftlich so einiges. Die Terranauten waren »grüne« Science-Fiction. Das »Konzil der Konzerne« war durchaus ein kritischer Kommentar zur Realität, aber vielleicht war die Serie eben doch zu nah am Bekannten orientiert.

      Irgendwann erfuhr ich, dass unter Michael Gördens führender Feder das Urkonzept so sehr verändert wurde, dass Thomas R. P. Mielke sich damit nicht mehr identifizieren konnte. In einem Interview verriet er, dass er für vernünftige Auflagenzahlen keine Chance mehr sah. Und für einen Autor, der eindeutig Profi ist, ist das ein durchaus schlagendes Argument.

      Seit damals ist Thomas R. P. Mielke in meinem Gedächtnis vorhanden. Als ein kreativer Kopf, der tatsächlich querdenken kann. Ich sehe das als Kompliment, auch wenn Verlage diesem Gedankengang nicht gerade häufig folgen. Die Siebziger mit ihrem Fokus auf individuellen Ansätzen (beispielsweise in der Musik. Damals gab es Schallplattenlabels, die von ihren Künstlern nur eines forderten: anders zu sein als alle anderen).

      Mit den Achtzigern war das vorüber und führte später dazu, dass Musik, bevor sie unter Vertrag genommen wird, von Musikpsychologen auf Massentauglichkeit geprüft wird. So buchstabiert man Armseligkeit.

      Schon 1981 erschien »Der Pflanzen Heiland«, in dem die Idee der pflanzlichen Intelligenz unter anderen Aspekten aufgegriffen wurde. Vielleicht eher in dem Sinn, der Thomas R. P. Mielke ursprünglich vorschwebte? Gut möglich, wenn auch nur eine Spekulation meinerseits.

      Dann kam das Jahr 1983 und damit ein Buch, das mich mitriss: »Das Sakriversum«.

      Eine unglaubliche Geschichte über kleine Menschen, die sich unter dem Dach einer Kathedrale in einer eigenen Welt lebten. Da war es wieder: diese wunderbare Fähigkeit, Dinge zu kombinieren, die auf den ersten Blick kaum zusammenzubringen waren.

      … dabei kommt mir in den Sinn, dass ich »Das Sakriversum« wieder einmal lesen sollte …

      Als ich – sehr viel später – selbst zu den professionellen Autoren stieß, war es diese Kombination: Fantastisches mit möglichst exakt recherchierter Historie zu verbinden, die letztendlich wieder durchbrach.

      Ich möchte das als Inspiration werten, nicht als Imitation, denn, um Thomas selbst zu zitieren, den ich letztes Jahr in Unterwössen kennenlernen durfte: »Ich orientiere mich nicht an Kollegen. Das verdirbt nur den eigenen Stil!«

      Worte eines kreativen Kopfes. Und mehr gibt es dazu nicht zu sagen.

      … bis auf »Danke!« vielleicht.

      Initiiert wurde die folgende Geschichte von Jörg Weigand, der die Schuld an meiner Schreiberei trägt. Gerne, wie ich glauben möchte. Aber der Ansatz, Historisches mit Fantastischem zu verbinden, trägt – neben Hans Kneifel – ganz eindeutig Thomas R. P. Mielkes Handschrift.

      Ich hoffe, er bedauert nicht allzu sehr, was er da angerichtet hat.

      

      Rainer Schorm: Hunger

      1213 A. D.

      Inmitten des großen Platzes, der die Baustelle umgab, blieb der Mann stehen. Bleiches Novemberlicht flutete den festgetretenen Lehmboden, bevor sich der Mond wieder hinter treibenden Wolkenfetzen verbarg. Es war kalt. Der Frost schickte seine ersten Atemzüge in die junge Stadt.

      Der Mann warf einen zögernden Blick über die Schulter. Er musterte die Häuser, die dunklen Fenster. Die Stadt schlief, und mit ihr alle ihre Bewohner; bis auf diejenigen, welchen die Sicherheit anvertraut worden war. Vom Norsingertor her war das Horn des Nachtwächters zu hören, dann seine Stimme. Auf die Entfernung klang sie dünn, verwob sich mit dem eisigen Winterwind.

      Der Mann ging weiter, um ein schwer beladenes Fuhrwerk herum. Blöcke aus den Steinbrüchen am Lorettoberg. Das fahle Nachtlicht gab dem sanften Rotbraun einen beinahe kränklichen Ton. Die feine Musterung glich Adern in steinigem, altem Fleisch.

      Rings um ihn Gestelle, Winden, Wiegebalken. Dinge aus Holz, um Stein zu heben, und der Stein selbst. Zerbrochen und zerschnitten, überall waren die konischen Einschläge für die Wolfskrallen zu sehen.

      Vor ihm die neuen Mauern des entstehenden Münsters. Noch war der Großteil des alten, konradinischen Baus zu sehen. Zu klein, um dem Anspruch der jungen aufstrebenden Stadt gerecht zu werden – oder der Bedeutung des Platzes selbst. Der neue Chor und das Querhaus hatten bereits Gestalt angenommen; der Bau an den Vierungspfeilern hatte gerade begonnen – und damit der endgültige Abriss von Konrads Kirche.

      Sanft glitt die Hand des Mannes über die Zeugnisse der Vergangenheit. Was hier Gestalt annahm, davon war er überzeugt, das würde Bestand haben.

      Ein beinahe entsagungsvolles Lächeln glitt über das Gesicht des Baumeisters. Dann ging er weiter. Durchschritt den Torbogen und wandte sich nach links. Schließlich verschwand er im tiefen Schatten.

      Es sah so aus, als habe er sich aufgelöst. Eingeatmet von der kalten Dunkelheit im Innern der wachsenden Mauern.

      Und tatsächlich würde ihn kein lebender Mensch je wiedersehen.

      2006

      Niemand wäre jemals auf die Idee gekommen, Frank Steinert sympathisch zu nennen. Niemand, den ich kenne, zumindest, und ich selbst bin da keine Ausnahme. Er ist ganz einfach ein Kotzbrocken.

      Doch diesmal war da etwas in seiner Stimme gewesen, was ich dort niemals vermutet hätte: Verwirrung und … Angst.

      Ja. Ängstlich hatte er am Telefon geklungen, und mich dringend zu sich gebeten. Also nahm ich die Straßenbahn zur Innenstadt, ließ Universität und Kaiserstraße zur Linken und bog auf den Münsterplatz ein.

      Es war die klassische Vorweihnachtszeit; zum Bersten voll. Die Straßen im Zentrum überlaufen von Weihnachtstouristen, Weihnachtseinkäufern und Weihnachtsmarktbesuchern. Glühweinselig, paketbeladen und sehr, sehr hektisch.

      Ich kämpfte mich links