Название | Der sanfte Wille |
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Автор произведения | Georg Kühlewind |
Жанр | Общая психология |
Серия | |
Издательство | Общая психология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783772543692 |
Der Erwachsene hat einen Begriffsschatz, dessen größter Teil überliefert, sprachgegeben ist. Diese Begriffe mussten ebenso im Laufe des Lebens erworben, das heißt verstanden werden, wie die – zumeist nicht zahlreichen – selbst gefundenen Begriffe. Das Begreifen, die Bildung der Begriffe geschieht durch ein begriffsbildendes Denken, das nicht begrifflich verläuft. Im Kleinkindalter dominiert dieses Denken, damit begreift das Kind die dargebotenen Begriffe, indem das Verstehen, selbst kontinuierlicher Natur, zum Halt kommt. Wo der Vorgang zu einem (provisorischen) Stillstand kommt, entsteht ein Begriff, ein Verständnis. Bei dem Erwachsenen findet dieser Prozess durch hergebrachte Begriffe statt, zwischen welchen an einer Stelle – oder an mehreren Stellen – eine Lücke ist: Dort geschieht ein neues Verstehen, und es bildet sich ein neuer Begriff.
Ein Beispiel von Begriffsbildung: Wir zeigen einem Kind (dreibis fünfjährig) kreisförmige, dreieckige, viereckige Gegenstände und auch andere, die keine bekannte, benannte Form haben, von verschiedener Größe, Stofflichkeit und Farbe. Solange das Kind die Begrifflichkeiten von Kreis, Dreieck, Viereck beziehungsweise die Farbbegriffe nicht gebildet hat, kann es die Gegenstände nicht nach Form oder Farbe sortieren. Die Begriffsbildung geschieht durch selektierende Aufmerksamkeit: Um den Begriff «Kreis» zu erfassen, muss man von allen anderen Eigenschaften des Dinges (Größe, Stofflichkeit, Gewicht, Farbe usw.) absehen und die Aufmerksamkeit nur auf das, nämlich auf die Form lenken. Ebenso, nämlich durch Einschränken der Aufmerksamkeit, geht die Begriffsbildung im Hinblick auf die Farbe vor sich: Nie tritt eine Farbe allein auf.
Begriffsbildung ist immer Einengung des Aufmerksamkeitsstrahls. Die Geschichte der Wörter in jeglicher Sprache zeigt, dass die Wörter früher umfangreichere Begriffe bezeichneten, und zwar ist der Begriff umso größer, je weiter wir bei der Untersuchung in die Vergangenheit zurückgehen.5
Besinnung 10: Ist das Schrumpfen der Begriffe irreversibel? Können die Begriffe auch inhaltlich wachsen?
Es wurde hier von einer Änderung im Begriffsleben gesprochen, nicht von der historisch viel leichter verfolgbaren Veränderung in der Bedeutung der Wörter, welche nur teilweise mit dem Schrumpfen und zugleich Schärferwerden der Begriffe identisch ist.6
Wir betrachten das Phänomen des Verstehens noch einmal. Es hat zwei auffällige Züge: Es geschieht blitzschnell, und es kann nicht wiederholt werden, das heißt, wir können nicht dasselbe zweimal verstehen – entweder muss das erste Verstehen in Vergessenheit geraten, oder wir verstehen beim zweiten Mal etwas Neues oder Anderes. Die Schnelligkeit beruht auf der Unmittelbarkeit und Unvermitteltheit – das Verstehen kann lange vorbereitet werden, es kann auch schrittweise geschehen, aber der Akt ist – bei jedem Schritt – letztlich augenblicklich, wie ein Finden. Man kann lange suchen, nicht aber lange finden. Das Verstehen ist unanalysierbar, da es jeglichem Analysieren zugrunde liegt, auch jeglichem Denken. Das eigentliche, reinste Denken ist das Verstehen. Gewöhnlich kurz – auch das bewirkt, dass wir nicht kontinuierlich denken –, begleitet von einem nicht alltäglichen Gefühl, etwa des Glücks oder der Befriedigung: ein sprungartiges Geschehen.
Besinnung / Meditation 11: Im Verstehen berühren wir unseren Himmel.
Was beim Verstehen – außer der Vorahnung, dem Vorgefühl – bewusst wird, ist das Ergebnis, das Verstandene. Ganz bewusst wird es durch den Wortausdruck, und dieser kommt manchmal gar nicht schnell zustande. Es braucht mehr oder weniger Zeit, bis aus dem Blitz das Verstandene hervorgeht, dann ist es schon Vergangenheit. Offensichtlich spielt sich das Verstehen in der Gegenwärtigkeit ab. «Gegenwärtig» bedeutet zweierlei: einerseits, dass das Verstehen weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft geschieht, andererseits, dass wir im Akt gegenwärtig sind. Das wissen wir dadurch, dass es eine wenn auch noch so flüchtige Erfahrung ist, von der wir im Nachhinein, ohne darüber nachzudenken, wissen, es ist unsere Erfahrung. Es kann ein feiner Unterschied wahrgenommen werden zwischen der Erfahrung eines Verstehens und beispielsweise der Erfahrung einer Information, bei der kein erstes, intuitives Verstehen stattfindet, wie: «Morgen wird es wahrscheinlich regnen.»
Besinnung 12: Versuchen wir, den zuletzt genannten Unterschied zu beschreiben.
Dass wir die Gegenwart als solche nicht erfahren, hat mit beiden genannten Zügen des Verstehens zu tun: dass es blitzartig vorbei ist und dass wir in dem Blitz drinnen sind, identisch mit ihm, während unsere gewöhnlichen Erfahrungen sich immer dualistisch, im Intervall Subjekt-Objekt abspielen – wenigstens scheint es so. Es könnte auch sein, dass wir für einen gleich kurzen Augenblick wie beim Verstehen auch in jeder Erfahrung mit dem, was ein wenig später das Erfahrene wird, identisch sind. Über diese Frage aber kann nur der Versuch, die eventuelle Erfahrung der Identität und der Gegenwärtigkeit entscheiden. Die Zielsetzung ist ja, vom Gedanken zum Denken zu gelangen oder von der Vorstellung zum Vorstellen. Es ist ersichtlich, dass das reinste Denken das Verstehen ist. Das können wir aber mit unserem gewöhnlichen Willen nicht wollen, wir müssen es geschehen lassen, einfallen lassen – wie machen wir das? Das Ziel wäre, den Augenblick der Geistesgegenwärtigkeit oder des Verstehens zu «verlängern» und dabei die Erfahrung zu haben – nicht nachträglich.
Besinnung 13: Wie sind Geistesgegenwart und Verstehen verwandt?
Theoretisch ist das reine, reinste Denken ein fortlaufendes ununterbrochenes Verstehen, wortlos, jenseits der Sprachen, jenseits der Begriffe: ein geniales Denken. Wir können es willentlich nicht hervorbringen und sind froh, wenn wir es ab und zu erleben. Was man in den kurzen Geschehnissen der Geistesgegenwart und des Verstehens bemerken kann, ist die völlige, alles andere ausschließende Konzentriertheit und zugleich Selbstvergessenheit. Wäre die Übung dieser Elemente ein Weg zum gesteckten Ziel?
Wege zur Erfahrung der Gegenwärtigkeit
Wann sind wir, abgesehen von den seltenen Augenblicken der Geistesgegenwärtigkeit, konzentriert und selbstvergessen? Wenn es sein muss, wenn es einen Zweck hat, wenn wir ein Problem lösen wollen oder wenn etwas sehr anziehend ist, ästhetisch oder in anderer Hinsicht. Es sind äußere Anlässe, die im Kontext unseres Lebens auf uns solche Wirkung ausüben und unseren Willen motivieren. Wie wäre es, was könnte man erreichen, wenn wir die Konzentriertheit von uns aus, ohne äußere Gründe, Anlässe, das heißt aus Freiheit herstellen könnten? Dann wäre es gänzlich unser Tun, und da es nicht auf einen Zweck hinausliefe, könnte der Aufmerksamkeitswille, da er kein anderes Ziel hätte, mehr über sich selbst erfahren.
«Von uns aus» bedeutet zugleich, dass das Thema der Aufmerksamkeit nicht durch andere Vorgänge gegeben werden sollte, keine Wahrnehmung wäre, sondern eine Vorstellung oder ein Gedanke, die nicht von außen gegeben werden können, die durch die Aufmerksamkeit selbst als Erinnerung oder als Fantasie oder als Denken hervorgebracht werden müssen. Dann konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf ein eigenes Erzeugnis. Wir nennen das «aktive Aufmerksamkeit». Man kann darin die Möglichkeit ahnen, dass bei diesem Vorgehen die Aufmerksamkeit sich begegnen, das heißt erfahren kann in ihrem Tun, bevor sie ein Objekt hat, ein Bild, ein Gedanke, ein Ding geworden ist. Das Thema soll weder anziehend noch abstoßend sein. Ist es anziehend, dann bedarf es keiner inneren Kraftübung,