Тотеnтаnz / Пляска смерти. Книга для чтения на немецком языке. Бернгард Келлерман

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neu zu beleben.

      «Natürlich weiß ich recht wohl, Gleiche», sagte Wolfgang, «dass bei dem schauerlichen Schund in unserem Lande gutes Kunstgewerbe so dringend wie das tägliche Brot ist. Aber ich frage mich trotzdem, ob ich den Auftrag annehmen kann? Zeit, Zeit, woher soll ich all die Zeit nehmen».

      «Vor allem andern, vergessen Sie den „Kettensprenger“ nicht». mahnte Gleichen. «Ich werde wirklich böse, wenn Sie nicht Wort halten».

      Sofort nach Tisch verließen Fabian und Gleichen das Haus des Bildhauers. Fabian musste in die Stadt zurückkehren, und Gleichen, der noch einen Besuch in der Nachbarschaft vorhatte, wollte ihn einige Schritte begleiten.

      Eine Weile gingen die beiden schweigend nebeneinander auf der Landstraße dahin, die an beiden Seiten von mächtigen Pappeln bestanden war. Während sie bei Tisch saßen, musste es heftig geregnet haben. Die Pappeln glänzten noch vor Nässe, und an vielen Blättern hingen Tropfen.

      Schließlich begann Gleichen in seiner schönen Sprechweise: «Es hat den Anschein, als ob Ihr Bruder die Vorladung ein wenig auf die leichte Schulter nähme[32]. Und doch hat sie gewiss nichts Gutes zu bedeuten». «Was wollen Sie, Herr Gleichen? Wolfgang hatte immer ein sorgloses Naturel», versetzte Fabian zerstreut.

      «Ich habe Ihren Bruder schon öfter darauf hingewiesen, dass man seine Worte, so harmlos sie auch sein mochten, falsch auslegen könnte. Die Geheimpolizei ist zur Zeit wieder erschreckend eifrig. Man hat zum Beispiel eine junge Verkäuferin verhaftet, weil sie bei einer Rede des Führers ganz offen herauslachen musste. Sie ist seitdem spurlos verschwunden».

      Fabian lachte leicht auf. «Sie werden mir zugeben, Gleiche», sagte er, «dass ein Staatsoberhaupt sich nicht auslachen lassen kann».

      Die düstere Glut in Gleichens grauen Augen belebte sich für einen Augenblick. Das leichte Lachen Fabians, das ganz harmlos war, hatte ihm mißfallen.

      Fabian begann etwas rascher auszuschreiten und schwieg, mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Immer noch glaubt Wolfgang, dachte er, dass die Zeiten sich bald ändern werden. Nein, nein, mein Lieber, auch ich glaubte es einmal. Heute weiß ich, dass ich mich täuschte. Es wird noch lange Jahre dauern.

      Gleichen ging ebenfalls rascher und warf einen unruhigen Blick über die Stoppelfelder. Er wartete eine Weile, ob sein Begleiter noch etwas sagen wolle, dann schwieg auch er und sah Fabian von der Seite an. Er betrachtete seinen Gang, seine elegante Kleidung, den kurzen Mantel aus englischem Stoff, seine Bügelfalten und Schuhe. Seine glatten, rasierten Wangen mißfielen ihm plötzlich, etwas wie Hochmut lag um seinen locker geschlossenen frauenhaften Mund. Gleichen war Wolfgang bedingungslos ergeben, er schwor auf ihn, aber vor Fabian hatte er stets eine gewisse Scheu empfunden. Auf ihn hätte er nicht geschworen. Man konnte nie wissen, was er dachte.

      Hübsche Männer neigen zur Oberflächlichkeit, ging es ihm durch den Sinn, gewiss ist er zu hübsch und zu gewandt, um tief und aufrichtig zu sein.

      Nach geraumer Zeit aber drängte es Gleichen von neuem zu sprechen. «Das Recht ist das feste Fundament, in dem ein Volk steht und fäll», begann er von neuem. «Halten Sie es als Jurist nicht für bedenklich, Einrichtungen zu schaffen, die die Rechtssicherheit des Volkes verwirren können».

      Es dauerte längere Zeit, bis Fabian antwortete. «Vor allem wäre es nötig, dem Volk klarzumachen, dass es sich um Übergangserscheinungen handel», erwiderte er. «Übergangserscheinungen». Gleichen lachte. «Ja, wenn man wüsste, dass es sich nur um vorübergehende Einrichtungen handelt? Wie aber sollte man das wissen».

      Darauf gab Fabian nur eine unverständliche, kurze Antwort.

      Seine unverkennbare Abneigung, ernsthaft auf ein Gespräch eingehen zu wollen, mahnte Gleichen zur Vorsicht.

      Er zog die Stirn seines zergrübelten Gesichts kraus und begann erneut zu schweigen. Wieder betrachtete er Fabian, und etwas wie leichtes Misstrauen erschien in seinen düster glimmenden Augen. Schweigend ging er weiter, aber er fühlte sich unbehaglich in Fabians Nähe.

      Nach einigen Minuten erblickte er den Seitenweg, den er einschlagen musste.

      «Ich muss hier abbiege», sagte er, indem er den Hut zog. «Ich will zu einem Kollegen in dem Dorf da drüben. Er ist krank, und ich besuche ihn an jedem freien Tag». Er deutete auf eine Gruppe roter Dächer, die über den gelben Stoppelfeldern zu sehen war. Als er Fabian die Hand reichte, blickte er ihn mit düsteren Augen an, die von einem fragenden, forschenden Ausdruck erfüllt waren.

      Etwas verwirrt durch den forschenden Blick Gleichens, verfolgte Fabian seinen Weg zur Stadt. Über den fernen bunten Dächern kam ihm ein großer blauer Fleck am Himmel rasch entgegen. Er war, offen gestanden, froh, dass sein Begleiter ihn verließ, damit er seinen Gedanken ungestört nachhängen konnte. Alles, was er heute erlebt hatte, seit dem Gespräch mit den beiden Damen in Clotildes Zimmer, ging ihm durch den Kopf und erfüllte seinen Sinn mit Unruhe.

      War es nicht sonderbar, dachte er, diese vielgeschmähte Partei verfolgt mich heute auf Schritt und Tritt. Sie scheint wahrhaftig allgegenwärtig zu sein und wird auch nicht so rasch verschwinden, wie Wolfgang und viele es glauben, Jahre wird sie dauern, viele, viele Jahre, vielleicht Generationen!

      Ja, man muss sich klarwerden, sagte er zu sich. Man kann ja jetzt auch schon deutlicher die Entwicklung überblicken, nicht wahr? Jedenfalls wird es höchste Zeit, einen klaren Entschluss zu fassen. Auf keinen Fall wird man mir vorwerfen können, dass ich leichtfertig in die Sache hineingegangen wäre, wie es so viele getan haben. Nachdenklich blieb er vor einer Regenlache stehen und blickte nach oben. Zwischen den Pappeln sah er den großen blauen Fleck, der rasch über die Stadt heraufgestiegen war und ihn nahezu erreicht hatte. Wie so viele, wiederholte er. Ich habe lange beobachtet und zugesehen, viele werden sagen, zu lange, aber lass sie doch reden, was kümmert es dich? Eine Menge von Vorurteilen hat mich anfangs abgeschreckt. Vieles erschien mir unecht und billig, vieles ging mir zu rasch. Ich hielt das Tempo für überstürzt. Die Rassenfrage hielt ich, offen gesagt, für eine Schrulle, eine Laune, für völlig unnötig. Heute aber begreife ich, dass flüchtige Vorurteile mich scheu gemacht haben.

      Ja, richtig scheu gemacht, wiederholte er seine Gedanken. Das Rassenbewusstsein sollte gestärkt und gehoben werden. Die Anhänger der Partei wurden ganz offensichtlich bevorzugt, zugegeben, ganz wie in anderen Ländern auch, zum Beispiel in Amerika, und das war wiederum richtig und sinnvoll. Die Partei aber wollte diese Bevorzugten vorher erst zu bestimmten Parteitugenden erziehen und diese Tugenden im Volk weiterverarbeiten. Natürlich konnte man das nicht von heute auf morgen erreichen, aber allmählich wird auf diese Weise ein ganz neues Volk entstehen. Das verwahrloste, unsicher gewordene, zum Teil auch in seinen sittlichen Grundsätzen schon schwankende Volk sollte auf eine völlig neue ethische Basis gestellt werden. All diese Dinge verwirrten mich, wie sie viele verwirrten. Dabei habe ich aber nie die Großtat der Partei vergessen: die Überwindung der Arbeitslosigkeit! Die Partei hat damit das deutsche Volk vor dem gänzlichen Zusammenbruch bewahrt.

      Ja natürlich, nahm er seine Gedanken wieder auf, es kamen wohl manche Dinge vor, die diese Großtat wieder verdunkelten, zugegeben. Vieles war erlogen, vieles wahr, man muss die Menschen kennen. Aber schließlich war es ja eine Revolution, nicht wahr, und für eine bis in die Tiefe des Volkes gehende Revolution bedeuteten solche Dinge nichts, nichts, rein nichts. In der Französischen Revolution zum Beispiel schlug man den Leuten, die die neuen Ideen nicht begreifen wollten, ganz einfach die Köpfe ab. Was ist dir nun lieber, dass man dir den Kopf abschlägt oder dich in einem Lager etwas, vielleicht etwas unsanft anpackt? Was ist dir lieber? Die Franzosen haben den Adligen den Kopf abgeschlagen, weil sie ganz einfach nicht begreifen konnten, dass auch die Bürger Rechte hatten. Sie begriffen es einfach nicht.

      Fabian hielt die Hand in die Luft. Der Regen hatte aufgehört. Das reinste Aprilwetter, dachte er.

      Aber wir wollen weiter denken. Die Partei verfügt auf jeden Fall über viele beachtenswerte Ideen, ein Volk zu erziehen, ohne jede Frage. Natürlich können viele diese Ideen nicht begreifen, auch Wolfgang nicht, der sonst doch klug ist. Auch ich konnte sie ja bis heute in ihrer ganzen Bedeutung nicht erfassen. Es ist eine Revolution der Ideen, mein lieber Wolfgang, werde ich zu ihm sagen, eine Revolution, verstehst du? Man schlägt dir nicht den Kopf ab,



<p>32</p>

etw. auf die leichte Schulter nehmen – относиться кчему-л. несерьезно, легкомысленно