Die Welträtsel. Ernst Haeckel

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Название Die Welträtsel
Автор произведения Ernst Haeckel
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 4064066111182



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wir zur Vermeidung aller Mißverständnisse nur kurz noch folgendes bemerken: I. Unser reiner Monismus ist weder mit jenem Materialismus identisch, welcher den Geist leugnet und die Welt in eine Summe von toten Atomen auflöst, noch mit dem theoretischen Spiritualismus (neuerdings als Energetik bezeichnet), welcher die Materie leugnet und die Welt nur als eine räumlich geordnete Gruppe von bloßen Empfindungen und Vorstellungen (oder von Energien oder immateriellen Naturkräften) betrachtet. II. Vielmehr sind wir mit Goethe der festen Überzeugung, daß »die Materie nie ohne Geist, der Geist nie ohne Materie existiert und wirksam sein kann«. Wir halten fest an der monistischen Auffassung von Spinoza: Die Materie, als die unendlich ausgedehnte Substanz, und der Geist (oder die Energie), als die empfindende oder denkende Substanz, sind die beiden Attribute oder Grundeigenschaften des allumfassenden göttlichen Weltwesens, der universalen Substanz. (Vergl. Kapitel 12.)

      Zweites Kapitel. Unser Körperbau.

       Inhaltsverzeichnis

      Monistische Studien über menschliche und vergleichende Anatomie. Übereinstimmung in der gröberen und feineren Organisation des Menschen und der Säugetiere.

      Alle biologischen Untersuchungen, alle Forschungen über die Gestaltung und Lebenstätigkeit der Organismen haben zunächst den sichtbaren Körper ins Auge zu fassen, an welchem uns die betreffenden morphologischen und physiologischen Erscheinungen entgegentreten. Dieser Grundsatz gilt ebenso für den Menschen wie für alle anderen belebten Naturkörper. Dabei darf sich die Untersuchung nicht mit der Betrachtung der äußeren Gestalt begnügen, sondern sie muß in das Innere derselben eindringen und ihre Zusammensetzung aus den gröberen und feineren Bestandteilen erforschen. Die Wissenschaft, welche diese grundlegende Untersuchung im weitesten Umfange auszuführen hat, ist die Anatomie.

      Menschliche Anatomie. Die erste Anregung zur Erkenntnis des menschlichen Körperbaues ging naturgemäß von der Heilkunde aus. Da diese bei den ältesten Kulturvölkern gewöhnlich von den Priestern ausgeübt wurde, dürfen wir annehmen, daß diese höchsten Vertreter der damaligen Bildung schon im zweiten Jahrtausend vor Christo und früher über ein gewisses Maß von anatomischen Kenntnissen verfügten. Aber genauere Erfahrungen, gewonnen durch die Zergliederung von Säugetieren und von diesen übertragen auf den Menschen, finden wir erst bei den Griechen, von denen Hippokrates lange als vorzüglichste Autorität galt. Nach ihm erscheint nur noch ein bedeutender Anatom im Altertum, der Arzt Claudius Galenus. Alle diese älteren Anatomen erwarben ihre Kenntnisse zum größten Teile nicht durch die Untersuchung des menschlichen Körpers selbst — die damals noch streng verboten war! —, sondern durch diejenige der menschenähnlichsten Säugetiere, besonders der Affen; sie waren also alle eigentlich schon »vergleichende Anatomen«.

      Das Emporblühen des Christentums und der damit verknüpften mystischen Weltanschauung bereitete der Anatomie, wie allen anderen Naturwissenschaften, den Niedergang. Die römischen Päpste waren vor allem bestrebt, die Menschheit in Unwissenheit und in blindem Aberglauben zu erhalten; sie hielten die Kenntnis des menschlichen Organismus mit Recht für ein gefährliches Mittel der Aufklärung über unser wahres Wesen. Während des langen Zeitraums von dreizehn Jahrhunderten blieben die Schriften des Galenus fast die einzige Quelle für die menschliche Anatomie, ebenso wie diejenigen des Aristoteles für die gesamte Naturgeschichte. Erst als im sechzehnten Jahrhundert n. Chr. durch die Reformation die geistige Weltherrschaft des Papismus gebrochen und durch das neue Weltsystem des Kopernikus die eng damit verknüpfte geozentrische Weltanschauung zerstört wurde, begann auch für die Erkenntnis des menschlichen Körpers eine neue Periode des Aufschwungs. Die großen Anatomen Vesalius, Eustachius und Fallopius förderten durch eigene gründliche Untersuchungen die genaue Kenntnis unseres Körperbaues so sehr, daß ihren zahlreichen Nachfolgern bezüglich der gröberen Verhältnisse hauptsächlich nur Einzelheiten festzustellen übrigblieben. Der ebenso kühne wie geistreiche Andreas Vesalius ging bahnbrechend allen voran; er vollendete schon in seinem 28. Lebensjahre das große, einheitlich durchgeführte Werk »De humani corporis fabrica« (1543) und gab der ganzen menschlichen Anatomie eine neue, selbständige Richtung und sichere Grundlage.

      Vergleichende Anatomie. Die Verdienste, welche das neunzehnte Jahrhundert sich um die Erkenntnis des menschlichen Körperbaues erworben hat, bestehen vor allem in dem Ausbau von zwei neuen, überaus wichtigen Forschungsrichtungen, der »vergleichenden Anatomie« und der »Gewebelehre« oder der »mikroskopischen Anatomie«. Die erstere war allerdings schon von Anfang an mit der menschlichen Anatomie eng verknüpft gewesen; denn diese wurde solange durch die erstere ersetzt, als die Sektion menschlicher Leichen für ein todeswürdiges Verbrechen galt — und das war selbst noch im 15. Jahrhundert der Fall! Aber die zahlreichen Anatomen der folgenden drei Jahrhunderte beschränkten sich größtenteils auf die genaue Untersuchung des menschlichen Organismus. Diejenige hochentwickelte Disziplin, die wir heute vergleichende Anatomie nennen, wurde erst im Jahre 1803 geboren, als der große französische Zoologe George Cuvier seine grundlegenden »Leçons sur l'Anatomie comparée« herausgab und darin zum ersten Male bestimmte Gesetze über den Körperbau des Menschen und der Tiere festzustellen suchte. Während seine Vorläufer — unter ihnen auch Goethe 1790 — hauptsächlich nur das Knochengerüst des Menschen mit demjenigen der übrigen Säugetiere eingehend verglichen hatten, umfaßte Cuviers weiter Blick die Gesamtheit der tierischen Organisation; er unterschied in derselben vier große, voneinander unabhängige Hauptformen oder Typen: Wirbeltiere, Gliedertiere, Weichtiere und Strahltiere. Für die »Frage aller Fragen« war dieser Fortschritt insofern epochemachend, als damit klar die Zugehörigkeit des Menschen zum Typus der Wirbeltiere — sowie seine Grundverschiedenheit von allen anderen Typen — ausgesprochen war. Allerdings hatte schon der scharfblickende Linné in seinem ersten »Systema naturae« (1735) dem Menschen definitiv seinen Platz in der Klasse der Säugetiere angewiesen; er vereinigte sogar in der Ordnung der Herrentiere die drei Gruppen der Halbaffen, Affen und Menschen. Aber es fehlte diesem kühnen systematischen Griffe noch jene tiefere empirische Begründung durch die vergleichende Anatomie, die erst Cuvier herbeiführte. Diese fand ihre weitere Ausführung durch die großen vergleichenden Anatomen des 19. Jahrhunderts, durch Friedrich Meckel, Johannes Müller, Richard Owen, Thomas Huxley und Carl Gegenbaur. Indem dieser letztere in seinen Grundzügen der vergleichenden Anatomie (1870) zum ersten Male die durch Darwin neu begründete Abstammungslehre auf jene Wissenschaft anwandte, erhob er sie zum ersten Range unter den biologischen Disziplinen. Seine »Vergleichende Anatomie der Wirbeltiere« (1898) legte den unerschütterlichen Grund fest, auf welchem sich unsere Überzeugung von der Wirbeltiernatur des Menschen nach allen Richtungen hin klar beweisen läßt.

      Gewebelehre (Histologie) und Zellenlehre (Cytologie). In ganz anderer Richtung als die vergleichende entwickelte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts die mikroskopische Anatomie. Schon im Anfange desselben (1802) unternahm ein französischer Arzt, Bichat, den Versuch, mittels des Mikroskops die Organe des menschlichen Körpers in ihre einzelnen feineren Bestandteile zu zerlegen und die Beziehungen dieser verschiedenen Gewebe festzustellen. Aber dieser erste Versuch führte nicht weit, da ihm das gemeinsame Element für die zahlreichen, verschiedenen Gewebe unbekannt blieb. Dies wurde erst 1838 für die Pflanzen in der Zelle von Matthias Schleiden entdeckt und gleich darauf auch für die Tiere von Theodor Schwann nachgewiesen. Albert Kölliker und Rudolf Virchow führten dann im sechsten Dezennium des 19. Jahrhunderts die Zellentheorie und die darauf gegründete Gewebelehre für den gesunden und kranken Organismus des Menschen im einzelnen durch; sie wiesen nach, daß auch im Menschen, wie in allen anderen Tieren, alle Gewebe sich aus den gleichen mikroskopischen Formbestandteilen, den einfachen Zellen, zusammensetzen, und daß diese »Elementar-Organismen« die wahren, selbsttätigen Staatsbürger sind, die, zu Milliarden vereinigt, unseren Körper, den »Zellenstaat«, aufbauen. Alle diese Zellen entstehen durch oft wiederholte Teilung aus einer einzigen, einfachen Zelle, aus der »Stammzelle«