Die wichtigsten Werke von Oscar Wilde. Оскар Уайльд

Читать онлайн.
Название Die wichtigsten Werke von Oscar Wilde
Автор произведения Оскар Уайльд
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027225644



Скачать книгу

Lassen Sie mich nachdenken. Oder vielmehr, lassen Sie mich versuchen, nicht nachzudenken.«

      Etwa zehn Minuten stand er bewegungslos da, mit halboffenen Lippen und seltsam leuchtenden Augen. Er war sich dumpf bewußt, daß ganz neue Einflüsse in ihm arbeiteten. Und doch schien es, als kämen sie in Wirklichkeit aus seinem eigenen Innern. Die paar Worte, die Basils Freund zu ihm gesagt hatte – ohne Zweifel zufällig hingeworfene Worte voll absichtlicher Paradoxie – hatten eine geheime Saite seiner Seele berührt, die vordem nie berührt worden war, die er aber nun zittern und in seltsamer Wildheit schluchzen hörte.

      Musik hatte ihn so ähnlich aufgewühlt. Musik hatte ihn oft in Aufruhr gebracht. Aber Musik war etwas Unbestimmtes. Sie bringt keine neue Welt in uns hervor; schafft eher ein neues Chaos in uns. Worte! Bloße Worte! Wie schrecklich die waren! Wie klar und lebendig und grausam! Man konnte ihnen nicht entrinnen. Und doch, welch tiefer Zauber steckte in ihnen! Sie schienen die Kraft zu haben, formlosen Dingen eine greifbare Gestalt zu geben, und schienen eine Musik in sich zu bergen, so süß wie die der Geige oder der Laute. Bloße Worte! Gab es denn irgend etwas so Wirkliches wie Worte?

      Ja; es hatte in seiner Knabenzeit Dinge gegeben, die ihm unbegreiflich geblieben waren. Jetzt verstand er sie. Plötzlich bekam das Leben für ihn lodernde Farben. Nun schien es ihm, als sei er mittenhin durch Feuer gewandelt. Warum hatte er es nie gemerkt?

      Lord Henry beobachtete ihn mit einem feinspürenden Lächeln. Er verstand sich gut auf jenen psychologischen Moment, in dem man kein Wort sagen darf. Er fühlte sich sehr stark interessiert. Die jähe Wirkung seiner Worte machte ihn erstaunen; nun entsann er sich eines Buches, das er mit sechzehn Jahren gelesen und das ihm viel bis dahin Unbekanntes enthüllt hatte, und er fragte sich, ob Dorian Gray jetzt wohl eine ähnliche Erfahrung erlebe. Er hatte nur einen Pfeil ins Blaue geschossen. Hatte er das Ziel getroffen? Wie anziehend doch dieser Junge war!

      Inzwischen malte Hallward in jenen wundervollen, kühnen Zügen weiter, die das Zeichen aller wahren Feinheit und Vollkommenheit sind, denn die kann der Kunst nur aus der Kraft werden. Er merkte die wortlose Stille gar nicht.

      »Basil, ich habe jetzt genug von dem Stehen!« rief Dorian plötzlich aus. »Ich muß hinaus und mich im Garten hinsetzen. Die Luft hier ist zum Ersticken.«

      »Mein Bester, das tut mir wirklich leid. Wenn ich male, kann ich an nichts anderes denken. Aber du hast nie besser Modell gestanden. Du warst ganz ruhig. Und ich habe endlich den Ausdruck herausgebracht, den ich gesucht habe – die halb offenen Lippen und den Glanz in den Augen. Ich weiß nicht, was Harry dir erzählt hat, aber sicher hat er es bewirkt, daß du den prachtvollsten Ausdruck hast. Ich vermute, er hat dir Komplimente gemacht. Du darfst ihm nur kein einziges Wort glauben.«

      »Er hat mir nicht das kleinste Kompliment gemacht. Vielleicht ist das der Grund, daß ich wirklich kein Wort von dem glaube, was er gesagt hat.«

      »Sie wissen selbst, daß Sie jedes Wort davon glauben«, erwiderte Lord Harry, der ihn mit seinen weichen, träumerischen Augen ansah. »Wir wollen zusammen in den Garten gehen. Es ist furchtbar heiß hier im Atelier. Basil, laß uns irgendein Eisgetränk geben, irgendwas mit Erdbeeren darin.«

      »Gern, Harry. Klingle nur selbst, und wenn Parker kommt, will ich ihm sagen, was Ihr haben wollt. Ich muß erst den Hintergrund hier noch fertig machen und komme dann später nach. Halte mir Dorian aber nicht zu lange fest. Ich war nie in besserer Malstimmung als heute. Dies Porträt wird mein Meisterwerk. Wie es da steht, ist es schon mein Meisterwerk.«

      Lord Henry ging in den Garten hinaus und fand dort Dorian Gray, wie er sein Gesicht hinter den großen, kühlen Blütenbüscheln der Fliedersträuche versteckte und fieberhaft ihren Duft einsog, als tränke er Wein. Er trat nahe an ihn heran und legte ihm die Hand auf die Achsel. »Sie haben ganz recht, so zu tun«, sagte er leise. »Nichts hilft der Seele besser als die Sinne, sowie den Sinnen nichts besser als die Seele helfen kann.«

      Der Jüngling schreckte auf und trat einen Schritt zurück. Er war ohne Hut, und das Blattgewirr hatte seine widerspenstigen Locken aufgewühlt und ihre goldblonden Strähnen in Unordnung gebracht. In seinen Augen lag ein Ausdruck von Furcht, wie ihn Menschen haben, die man jäh aus dem Schlaf reißt. Seine zartgeformten Nasenflügel bebten, und ein geheimer Nerv zuckte leis an den scharlachroten Lippen, so daß sie beständig zitterten.

      »Ja,« fuhr Lord Henry fort, »das ist eines der großen Geheimnisse des Daseins – die Seele durch die Sinne und die Sinne durch die Seele heilen können. Sie sind ein wunderbares Menschenkind! Sie wissen mehr, als Ihnen bewußt ist, gerade wie Sie weniger wissen, als Ihnen dienlich ist.«

      Dorian Gray runzelte die Stirn und wendete den Kopf weg. Ein unwiderstehlicher Reiz zog ihn zu diesem großen, anmutigen jungen Mann hin, der da neben ihm stand. Sein romantisches, olivenfarbiges Gesicht und der müde Ausdruck darin fesselten ihn. Es war etwas in dem müden Ton seiner Stimme, was völlig in Bann schlug. Auch seine Hände, kühl, weiß und blumenhaft, zogen an. Sie bewegten sich bei seinen Worten, begleiteten sie wie Musik und schienen ihre eigene Sprache zu reden. Aber er hatte auch Angst vor ihm und schämte sich dieser Angst. Warum hatte ein Fremder kommen müssen, um ihn sich selber zu offenbaren? Er kannte Basil Hallward nun seit Monaten, aber diese Freundschaft hatte ihn niemals verwandelt. Jetzt war plötzlich jemand in sein Leben getreten, der ihm des Lebens Mysterium enthüllt zu haben schien. Und doch, wovor sollte er sich fürchten? Er war kein Schulknabe und kein kleines Mädchen. Es war töricht, Angst zu haben. »Kommen Sie und setzen wir uns in den Schatten«, sagte Lord Henry. »Parker hat uns was zu trinken gebracht, und wenn Sie noch länger in solcher Sonnenglut stehenbleiben, werden Sie sich Ihren Teint verderben, und Basil wird Sie nie mehr malen. Sie dürfen sich wirklich nicht von der Sonne verbrennen lassen. Es würde Ihnen schlecht stehen.«

      »Was läge weiter daran?« rief Dorian Gray und lachte, als er sich auf eine Bank am Ende des Gartens setzte.

      »Alles sollte Ihnen daran liegen, Herr Gray.«

      »Wieso?«

      »Weil Sie die wundervollste Jugend haben, und Jugend ist das einzige, dessen Besitz einen Wert hat.«

      »Ich empfinde das nicht, Lord Henry.«

      »Nein, jetzt empfinden Sie es nicht. Später einmal, wenn Sie alt, runzlig und häßlich sind, wenn das Denken Furchen in Ihre Stirne gegraben und die Leidenschaft Ihre Lippen mit ihrem schrecklichen Feuer verbrannt hat, dann werden Sie es empfinden, furchtbar empfinden. Jetzt können Sie hingehen, wo Sie wollen, und Sie berücken die ganze Welt! Wird das immer so sein?... Sie haben ein wundervoll schönes Gesicht, Herr Gray. Runzeln Sie nicht die Stirn. Sie haben es. Und Schönheit ist eine Form des Genies – steht in Wahrheit noch höher als das Genie, da sie keinerlei Erklärung bedarf. Sie ist eine der großen Lebenstatsachen, wie das Sonnenlicht oder der Lenz oder wie in dunkeln Gewässern der Widerschein der Silbermuschel, die wir Mond nennen. Sie kann nicht bestritten werden. Sie hat ein göttliches, erhabenes Recht.

      Wer sie hat, den macht sie zu einem Prinzen. Sie lächeln? Oh, wenn Sie sie verloren haben, lächeln Sie nicht mehr... Die Leute sagen manchmal, Schönheit sei nur etwas Äußerliches. Mag sein. Aber zum mindesten ist sie nicht so äußerlich wie das Denken. Für mich ist Schönheit aller Wunder Wunder. Nur die Hohlköpfe urteilen nicht nach dem Äußeren. Das wahre Geheimnis der Welt ist das Sichtbare, nicht das Unsichtbare... Ja, Herr Gray, die Götter haben es gut mit Ihnen gemeint. Aber was die Götter schenken, rauben sie bald wieder. Sie haben nur ein paar Jahre, wo Sie wahrhaftig vollkommen, restlos leben können. Wann Ihre Jugend verrauscht ist, nimmt sie die Schönheit mit, und dann werden Sie plötzlich entdecken, daß Ihrer keine Siege mehr warten, oder daß Sie sich mit jenen traurigen Siegen werden begnügen müssen, die Ihnen die Erinnerung an die Vergangenheit bitterer machen wird als Niederlagen. Jeder Monat, der dahingeht, bringt Sie näher einem schrecklichen Ziele. Die Zeit ist eifersüchtig auf Sie und kämpft gegen Ihre Lilien und Rosen. Sie werden fahl und hohlwangig, und Ihre Augen werden sich trüben. Sie werden unsäglich leiden... Ach! leben Sie Ihre Jugend, solange sie da ist. Vergeuden Sie das Gold Ihrer Tage nicht, leihen Sie Ihr Ohr nicht den Philistern, mühen Sie sich nicht, hoffnungslose Verhängnisse zu verbessern, geben Sie Ihr Leben nicht den Unwissenden, Niedrigen, den gemeinen Leuten hin! Das sind die kranken Ziele, die falschen