Die wichtigsten Werke von Oscar Wilde. Оскар Уайльд

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Название Die wichtigsten Werke von Oscar Wilde
Автор произведения Оскар Уайльд
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027225644



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die ganze Welt! Die merkwürdig strenge Logik der Leidenschaft und das buntgefärbte Trieb- und Gefühlsleben des Geistes anzumerken – zu beobachten, wo sich die beiden Linien schneiden und wo sie auseinandergehen, in welchem Punkte sie in Eintracht leben und in welchem sie sich wieder bekriegen – das ist ein Genuß! Was liegt an dem Preise dafür! Man kann nie einen zu hohen Preis für ein Sinnenerlebnis geben.

      Er war sich bewußt – und dieser Gedanke brachte einen freudigen Glanz in seine achatbraunen Augen – daß sich durch gewisse Worte, die er gesprochen hatte, musikalische Worte in melodischem Tonfall, Dorian Grays Seele diesem weißen Mädchen zugewendet und sich in Verehrung vor ihr gebeugt hatte. In hohem Maße war der Jüngling sein Geschöpf. Er hatte ihn vor der Zeit reifen lassen. Das war schon was. Die gewöhnlichen Menschen warten, bis ihnen das Leben seine Geheimnisse aufschließt, aber den wenigen Auserwählten werden die Mysterien des Daseins enthüllt, bevor der Schleier weggezogen wird. Manchmal ist das die Wirkung der Kunst, besonders der Dichtung, die ja unmittelbar die Leidenschaften und den Intellekt behandelt. Ab und zu nimmt aber eine komplizierte Persönlichkeit diesen Platz ein und übt das Amt der Kunst aus, ist eigentlich auf ihre Weise ein richtiges Kunstwerk, denn das Leben schafft ebenso seine vollendeten Meisterwerke wie die Poesie oder die Bildhauerkunst oder die Malerei.

      Ja, dieser Jüngling war vor der Zeit reich. Er erntete, während es noch Lenz war. Der Puls und die Leidenschaft der Jugend wohnten in ihm, und er begann, seiner bewußt zu werden. Es war entzückend, ihn zu beobachten. Mit seinem schönen Angesicht und seiner schönen Seele war er ein Stück Leben zum Anstaunen. Es lag nichts daran, wie das alles endete, oder enden sollte. Er glich einer der graziösen Gestalten auf einem Gobelin oder in einem Schauspiel, deren Freuden von den unseren weit entfernt zu sein scheinen, aber deren Schmerzen unseren Schönheitssinn erregen und deren Wunden wie rote Rosen sind.

      Seele und Leib, Leib und Seele – wie geheimnisvoll das alles ist! Animalisches ist in der Seele, und der Leib hat seine Augenblicke geistiger Veredlung. Die Sinne können sich läutern, und der Intellekt kann sich vergröbern. Wer kann sagen, wo die fleischlichen Triebe endigen und die seelischen beginnen? Wie flach sind die willkürlichen Erklärungen der handwerksmäßigen Psychologen! Und doch, wie schwierig ist die Entscheidung zwischen den Lehren der einzelnen Schulen. Ist die Seele ein Schatten, der im Hause der Sünde wohnt? Oder ist der Körper wirklich in der Seele eingeschlossen, wie es sich Giordano Bruno dachte? Die Trennung von Geist und Stoff ist ein Geheimnis, und die Vereinigung von Geist und Stoff ist abermals ein Geheimnis.

      Er dachte darüber nach, ob wir je die Psychologie zu einer so exakten Wissenschaft machen können, daß uns auch das kleinste Triebrädchen des Lebens offenbar würde. Wie die Dinge heute liegen, begreifen wir uns selbst nie und die anderen nur selten. Die Erfahrung hat keinerlei ethische Bedeutung. Sie ist nur das Firmenschild, das die Menschen ihren Irrtümern anhängen. Die Moralisten haben sie meist als eine Art Warnung betrachtet, haben für sie eine gewisse ethische Wirksamkeit in der Bildung der Charaktere beansprucht, haben sie als Mittel gepriesen, das uns darüber aufklärt, was wir tun und lassen sollen. Aber in der Erfahrung liegt keine bewegende Kraft. Sie ist ebensowenig eine tätige Ursache wie das Gewissen. Alles, was sie in Wirklichkeit lehrt, ist, daß unsere Zukunft ebenso sein wird wie unsere Vergangenheit, und daß wir die Sünde, die wir dereinst mit Abscheu und Widerwillen begangen haben, immer und immer wieder und dann mit Genuß wiederholen werden.

      Er war sich darüber klar, daß die Versuchsmethode die einzige sei, durch die man zu irgendeiner wissenschaftlichen Erklärung der Leidenschaften kommen könne; und sicher war ihm Dorian Gray ein bequemes Objekt und schien reiche und wertvolle Erfolge zu versprechen. Seine jähe sturmartige Liebe zu Sibyl Vane war eine psychologische Tatsache von großem Interesse. Kein Zweifel, daß die Neugier dabei stark im Spiele war, Neugier und Lust an neuen Erlebnissen; doch es war keine einfache, sondern eher eine recht komplizierte Leidenschaft. Was von dem rein sinnlichen Triebe des Knabenalters in ihr war, das hatte die Mitarbeit der Phantasie umgebildet, in irgendwas verwandelt, das dem Jüngling selbst ganz fern von allem Sinnlichen schien und gerade deshalb um so gefährlicher war. Alle Leidenschaften, über deren Ursprung wir uns selbst täuschen, üben die stärkste Herrschaft auf uns aus. Unsere schwächsten Triebkräfte sind die, über deren Natur wir klar sehen. Es kommt oft vor, daß wir im Denken mit uns selbst Experimente anstellen und glauben, sie mit anderen zu versuchen.

      Während Lord Henry noch dasaß und über diese Dinge nachgrübelte, wurde an die Tür geklopft; ein Diener trat ein und erinnerte ihn, daß es Zeit sei, sich für das Abendessen umzukleiden. Er erhob sich und blickte auf die Straße hinab. Der Sonnenuntergang hatte die oberen Fenster der gegenüberliegenden Häuser in ein feuerrotes Gold getaucht. Die Scheiben glühten wie erhitzte Metallplatten. Der Himmel drüber glich einer verwelkten Rose. Es erinnerte ihn an das junge, flammenlodernde Leben seines Freundes, und er fragte sich, wie das alles enden würde.

      Als er dann gegen halb ein Uhr nachts nach Hause kam, fand er im Vorflur auf dem Tische ein Telegramm liegen. Er öffnete es und sah, daß es von Dorian Gray war. Er teilte ihm mit, daß er sich mit Sibyl Vane verlobt habe.

       Inhaltsverzeichnis

      »Mutter, Mutter, ich bin so glücklich!« flüsterte das Mädchen und barg ihr Gesicht im Schoße der verblühten, müde aussehenden Frau, die mit dem Rücken gegen das grell eindringende Licht in dem einzigen Armstuhl saß, den ihr armseliges Wohnzimmer enthielt. »Ich bin so glücklich!« wiederholte sie, »und du wirst auch glücklich sein.«

      Frau Vane zuckte zusammen und legte ihre dünnen, wismutweißen Hände auf den Kopf ihrer Tochter. »Glücklich!« echote sie, »ich bin nur glücklich, Sibyl, wenn ich dich spielen sehe. Du darfst an nichts anderes denken als an deine Rollen. Herr Isaacs ist sehr gut gegen uns gewesen, und wir sind ihm Geld schuldig.«

      Das Mädchen sah auf und ließ die Lippen hängen. »Geld, Mutter?« rief sie, »was liegt an Geld? Liebe ist mehr als Geld!«

      »Herr Isaacs hat uns tausend Mark Vorschuß gegeben, damit wir unsere Schulden zahlen und für James eine anständige Ausrüstung anschaffen können. Das darfst du nicht vergessen, Sibyl. Tausend Mark sind ein sehr großer Betrag. Herr Isaacs benahm sich sehr anständig.«

      »Er ist kein Gentleman, Mutter, und ich hasse die Art, wie er mit mir spricht«, sagte das Mädchen, stand auf und trat ans Fenster.

      »Ich wüßte nicht, wie wir ohne ihn vorwärts kämen«, entgegnete die alte Frau weinerlich.

      Sibyl Vane warf den Kopf in den Nacken und lachte: »Wir brauchen ihn nicht mehr, Mutter, der Prinz Märchenschön bestimmt von jetzt ab über unser Leben.« Dann schwieg sie. Eine Blutwelle schoß in ihre Wangen und tauchte sie in ein dunkles Rot. Der rasche Atem öffnete ihre blühenden Lippen. Sie zitterten. Ein Südwind heißer Leidenschaft durchbrauste sie und bewegte die glatten Falten ihrer Gewandung. »Ich liebe ihn«, sagte sie mit einfachem Ausdruck.

      »Närrisches Kind! närrisches Kind!« waren die papageienhaften Worte, die ihr als Antwort entgegenflogen. Dabei machte die beschwörende Bewegung ihrer gekrümmten, mit unechten Ringen gezierten Finger diesen Ausruf noch komischer.

      Das Mädchen lachte wieder. In ihrer Stimme lag etwas wie der Jubel eines Vogels im Käfig. Ihre Augen fingen die Lachmelodie auf und wiederholten sie in ihrem Glanze: dann schlossen sie sich einen Augenblick, als wollten sie ihr Geheimnis verbergen. Als sie sich wieder öffneten, war der Schimmer eines Traumes über sie dahingegangen.

      Aus dem abgenutzten Stuhl sprach die Weisheit zu ihr mit dünnen Lippen, mahnte zur Besinnung und gab Ratschläge aus dem Buch der Feigheit, dem sein Autor irrtümlich den Titel »Gesunder Menschenverstand« beigelegt hat. Sie hörte nicht hin. Im Kerker ihrer Leidenschaft fühlte sie sich frei. Ihr Prinz, der Prinz Märchenschön, war bei ihr. Sie hatte das Gedächtnis beschworen, ihn herbeizuschaffen. Sie hatte ihre Seele auf die Suche nach ihm geschickt, und die hatte ihn wieder hergebracht. Sein Kuß brannte wieder auf ihrem Munde. Ihre Lider brannten wieder von seinem Atem.

      Dann zog die Weisheit andere Register auf und sprach von Erkundigen und Nachforschen.