Damals bei uns daheim. Hans Fallada

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Название Damals bei uns daheim
Автор произведения Hans Fallada
Жанр Языкознание
Серия Hans-Fallada-Reihe
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783961188840



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bleiben konnte. Zwei aber erfuhren bestimmt nie etwas von ihr: Frau Kammergerichtsrat Siedeleben und Herr Kammergerichtsrat Elbe.

      Wenn aber meine Mutter in der folgenden Zeit wieder einmal recht von oben herab durch die Siedeleben behandelt wurde, so dachte sie: »Wenn du wüsstest, was ich weiß – du würdest nicht so reden! Aber du weißt nichts, nichts, nichts!«

      Prügel

      Ich habe schon erzählt, dass mein Vater gar nicht dafür war, seine Kinder zu schlagen. In diesem Punkt hielt er es mit den Homöopathen, kurierte Gleiches mit Gleichem, similia similibus, und konnte im ganzen recht zufrieden mit den Ergebnissen seiner Erziehungsmethode sein, lag es nun an der Methode oder an den Kindern. Aber einmal habe ich doch herzhafte Prügel von meinem alten Herrn bezogen, und dieses einmalige Erlebnis hat einen so tiefen Eindruck auf mich gemacht, dass ich mich seiner in allen Einzelheiten heute noch erinnere.

      Ich werde damals zehn oder elf Jahre alt gewesen sein, und mein Busenfreund war zu der Zeit Hans Fötsch, der Sohn unseres Hausarztes. Wir beiden Hansen steckten, obwohl wir nicht die gleiche Schule besuchten, den ganzen Nachmittag zusammen, sehr zum Schaden unserer Schularbeiten, klebten aus Pappe und Buntpapier die schönsten Ritterrüstungen, fertigten auf Anregung des streng verbotenen Karl May den Kriegsschmuck von Indianerhäuptlingen an und halfen uns mit den noch verboteneren Kolportageheften aus: Sitting Bull oder Nick Carter. Die Serien waren endlos: hundert, zweihundert, dreihundert Hefte, all unser Taschengeld ging dafür drauf.

      Übrigens muss ich damals ein ungewöhnlich sittsamer Knabe gewesen sein. Ich weiß noch, dass ich mich, zum größten Arger von Hans Fötsch, standhaft weigerte, ihm ein Fortsetzungsheft dieser Schmöker zu leihen, und zwar nur aus dem heimlichen, nie eingestandenen Grunde, weil dem Helden in einem Augenblick höchsten Zornes das Wort »Besch…« entfahren war. Ich schämte mich für meinen Helden, schämte mich für ihn vor Hans Fötsch.

      Der Autor hatte zwar versucht, den Schaden dadurch wieder gutzumachen, dass er eilig versicherte, dem Helden sei dies Wort nur in unsinniger Empörung über die Schurkischkeit seines Gegners entfahren, aber meine verletzte Sittsamkeit nahm doch Anstoß. Wenn solche Ausdrücke von Schurken gebraucht wurden, mochte es allenfalls hingehen – aber von einem Helden!

      Im allgemeinen aber kamen Hans Fötsch und ich ausgezeichnet miteinander aus. Er war ein eher stiller Junge, mit einem trockenen, wortkargen Witz, der immer geneigt war, meinem aufgeregten, phantastischen Geschwätz zu lauschen und jede neue Idee, die in meinem wirbligen Schädel auftauchte, in die Tat umzusetzen. Beide Elternpaare sahen unsern Umgang auch recht gerne. Mein Vater versprach sich wohl eine Dämpfung meines sprunghaften Wesens davon, Doktor Fötsch aber eine Aufmunterung seines stillen Jungen. Wir hatten es auch recht bequem, Fötschens wohnten wie wir in der Luitpoldstraße, sie auf der südlichen, damals noch nicht voll bebauten Seite.

      Waren also auch die Vorbedingungen zu einem glücklichen Freundschaftsbund gegeben, so habe ich doch kein rechtes Glück mit Hans Fötsch gehabt. Ich verdanke ihm drei entscheidende Niederlagen meines Lebens, Prügel und eine recht arge Blamage, die noch jahrelang in unserer Familie nachspukte.

      Bei der ersten Niederlage ging es noch einigermaßen gelinde ab, trotzdem sie schon beschämend genug war. Mein guter Vater, der, soweit es seine karge Zeit erlaubte, einem sanften Sammeltrieb huldigte, hatte im Laufe seines Lebens eine recht artige Briefmarkensammlung zusammengebracht. Ihren Grundstock bildete eine wirklich wertvolle Reihe alter deutscher Marken, die er einst auf dem Boden des Pflegevaters meiner Mutter beim Umherstöbern gefunden hatte. Denn dieser Pflegevater, ein uralter Notar, hatte auf dem Boden seines Hauses Akten über Akten seiner Vorgänger gestapelt, und in diesen Akten lagen Briefe, alte Briefe, mit Thurn-und-Taxis-Marken, mit dem mecklenburgischen Ochsenkopf, mit den roten Hamburger Türmen, wirklich kostbare Stücke.

      Was später noch dazugekommen war, konnte sich an Rang nicht mit diesen ersten Funden messen. Immerhin hatte mein Vater als Amtsrichter auf kleinen hannöverschen Gerichten immer wieder Gelegenheit, das eine oder andere schöne Stück aus halb vermoderten, von Mäusen angefressenen Akten dazuzutun. Da er nun ein von Natur sparsamer Mann war, auch dies Sammeln nie bei ihm zur wahren Leidenschaft wurde, hatte er stets die Anschaffung eines Briefmarkenalbums verschmäht. Auf einzelnen Blättern eines zart gelblichen Quartpapieres waren die Marken mit der saubersten Akkuratesse aufgeklebt, und mit seiner zierlichen Hand waren die Blätter beschriftet worden.

      Schon einmal hatte mein Vater bei dieser Sammlung einen herben Verlust erlitten. Ein ihm leider beruflich vorgesetzter echter Sammler von der schamlosen Sorte hatte sich die Sammlung seines Untergebenen »zwecks Vergleichung« erbeten. Nie hatte mein Vater sie wieder vollständig zurückbekommen, viele der wertvollsten Stücke blieben fehlend, trotz allen Drängens – und zu sehr mochte mein Vater nicht drängen, im Interesse seines Vorwärtskommens. Auch in der angeblich guten alten Zeit konnte ein böswilliger Vorgesetzter einem jungen Landrichter manches nicht wieder gutzumachende Böse antun!

      Aber das war nun schon seit vielen Jahren vergeben und vergessen. Über die hässlichen Lücken hatten sich andere, wenn auch nicht gleich wertvolle Marken hingezogen, zu kahl gewordene Blätter hatte Vater umgeklebt. Und nun war da ich, ein hoffnungsvoll heranwachsender Knabe, aber mit einer nicht zu übersehenden Neigung zur Unordnung und Grundsatzlosigkeit. Nie konnte ich genaue Angaben darüber machen, wo eigentlich mein horrendes Taschengeld von fünfzig Pfennigen in der Woche blieb, nie hatte ich Geld, stets verlangte ich Vorschüsse.

      Mein Vater glaubte fest daran, dass jedem Menschen ein Spartrieb angeboren sei. Jeder wollte doch vorwärtskommen im Leben, und jeder sah gerne, wenn seine Kinder mehr wurden als er. Wie sollte da ich, sein und seiner ebenso sparsamen Frau Sohn, dieses urmenschlichen Triebes ganz entblößt sein –?! Er war da, er musste da sein, meines Vaters Aufgabe war es, ihn zu entwickeln! Da dies mit Geld nicht gelang, trotzdem mir mein Vater ein Kontobüchlein geschenkt hatte, in das ich Einnahmen und Ausgaben eintragen sollte – ich benutzte das Heft alsbald als Bücherverzeichnis –, so gedachte Vater über den Sammeltrieb den Spartrieb zu entwickeln.

      Wenn ich nun mit einer guten Zensur nach Haus kam, wenn ich beim Zahnarzt mutig gewesen war, wenn ich eine Woche lang meinen Lebertran ohne erhebliche Revolte genommen hatte, bei all solchen lobenswerten Anlässen überreichte mir mein Vater ein volleres oder leereres Blatt seiner Briefmarkensammlung. Erlaubte es ihm seine Zeit, erzählte er mir auch einiges, wie und wo er einzelne Marken »ergattert« hatte (es war sein Stolz, dass er nie einen Pfennig dafür ausgegeben hatte). Oder er berichtete mir auch von den Ländern, aus denen sie kamen, nahm Reisebeschreibungen aus seiner Bücherei und suchte so ein Band zwischen mir und den Marken zu knüpfen.

      Zu Anfang schien ihm dies auch zu gelingen. Da er aus Vorsicht mit den weniger wertvollen Marken, späteren Erwerbungen durch Tausch, anfing, so sah ich mit Vergnügen die bunt bebilderten Marken Südamerikas an: mit Vögeln, Landkarten, Palmen, Affen, Städteansichten. Ab und zu wagte ich sogar ein oder zwei Groschen meines Taschengeldes daran und ergänzte einen »Satz«. Dann lobte Vater mich.

      Aber je höher wir mit der Zeit im Werte kamen, um so mehr langweilten mich die gezähnten und ungezähnten Papierstückchen. Zahlen, immer nur Zahlen standen darauf, und die leuchtenden Farben wurden immer stumpfer, gingen immer mehr ins Gräuliche und Bräunliche über. Sie langweilten mich, ich fand es je länger, je mehr höchst betrübend, dass ich statt eines Talers für eine gute Zensur immer nur diese langweiligen Blättchen erhielt. Ich sah sie kaum noch an. Wenn ich mein artiges Dankeschön, in dem doch schon Enttäuschung mitschwang, gesagt hatte, stopfte ich das Blatt achtlos zu den andern in eine Kommodenschieblade.

      Ganz entgangen ist meinem Vater dieser Stimmungsumschwung wohl nicht. Eindringlicher als sonst suchte er mir begreiflich zu machen, wie kunstvoll diese kleinen Blättchen ausgeführt waren, wie sauber in Zeichnung und Stich. Und als dies nicht verfangen wollte, wies er auch – wenn schon widerstrebend, denn so etwas lag ihm gar nicht – auf den hohen Wert mancher Stücke hin, um meine Besitzerfreude anzustacheln.

      Aber es half alles nichts. Heimlich grollte ich weiter mit Vater. Wie viele Wünsche hätte ich mir mit einem Taler erfüllen können! Ich törichter Tropf kam gar nicht auf den Gedanken, dass ich mir durch den Verkauf einer einzigen Marke die Wünsche eines Viertel-, eines halben Jahres hätte erfüllen können. Ich machte meine Dummheiten, wie auch später