Название | Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann |
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Автор произведения | Jakob Wassermann |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027208401 |
»Ach, Schaffnerin,« unterbrach sie Tarnow leise und kopfschüttelnd, »sagen Sie das nicht. Können Sie nicht zusperren? Und kein Laut war, Fanny, kein Laut war in Ihrem Zimmer.«
»Zusperren!« rief die Schaffnerin aus und schlug stürmisch die Hände zusammen. »Er thäte die Thür zerbrechen in seiner Wut und mich dazu. Und kein Laut war, – ja freilich kein Laut«, fügte sie bitter hinzu, »weil ich stumm war wie ein Fisch, weil ich ihn angespieen hab, Tarnow, wie er mir zu nahe kam. Da blieb er sitzen und sitzen, bis es ihm zu dumm worden ist. Da haben Sie’s, Tarnow. Ach wär ich doch tot, wär ich doch tot!«
Sie setzte sich auf den Backtrog und schlug die Hände vors Gesicht.
Tarnow empfand ein tiefes Mitleiden. Er ging und streichelte ihr übers Haar. »Ich glaub’s Ihnen ja, Fanny,« sagte er gütig. »Seien Sie doch ruhig. Fassen Sie sich, Fanny. Es muß ja ein Ende nehmen, es muß ja, sonst, – ich weiß nicht.«
Die Schaffnerin erhob sich und schlang ihre Arme um seinen Hals und sah ihm mit glühenden Blicken in die Augen. »Jetzt gehn Sie nur, Tarnow,« sagte sie dann, indem sie sich zum Herd wandte und im Suppentopf rührte. »Es wird schon werden.« Und sie lächelte über die Schulter zurück ihm zu.
»Ja, ich gehe,« sagte Tarnow, betroffen von diesem Lächeln. »Ich gehe zum Amtmann und rede mit ihm.«
Er wartete auf ihre Antwort, aber sie rührte schweigend ihre Suppe weiter, ohne daß er ihr Gesicht sehen konnte.
Der Amtmann war in der Schreibstube. Entschlossen trat Tarnow dicht vor ihn hin und sah ihm fest in die Augen, die seinem Blick entglitten. »Herr Amtmann,« sagte er in einer bestimmten Weise, in der jedoch immer das Beschwichtigende seines Wesens verborgen war, »ich komme nur, um Sie zu bitten, daß Sie doch endlich Ihre nächtlichen Besuche bei der Leuthold einstellen. Daß das nicht sein darf, um keinen Preis, müssen Sie ja einsehen, Herr Amtmann.«
Der Amtmann nickte ihm, während er sprach, emsig und ermunternd zu. »Recht so, Tarnow,« sagte er dann, indem er mit der Faust auf das Pult schlug, »das war einmal ein Wort! Recht so, Tarnow, das darf nicht sein, um keinen Preis. Mein heiliges Ehrenwort, Tarnow, es soll nimmer vorkommen. Verkrummen und verlahmen will ich an Händen und Füßen und blind dazu will ich werden, wenn es noch einmal vorkommt, Tarnow. Hier, Tarnow, meine Hand, Sie sind ein ehrenwerter Kerl.«
Tarnow, der einen entsetzlichen Wutausbruch erwartet hatte, stand wie betäubt. Aber schließlich faßte er sich und blickte unschlüssig vor sich hin. »Ich bin dem Herrn Amtmann ja sehr dankbar,« sagte er. »Aber es muß doch etwas anderes sein, wodurch die Schaffnerin sicher gestellt wird.«
»Natürlich, natürlich,« pflichtete der Amtmann eifrig bei und ging aufgeregt in der Stube auf und ab. »Also lieber Tarnow, dann machen wir’s so. Wir gehen abends alle drei zu gleicher Zeit ins Bett, nicht? Schön. Ferner soll und muß sich die Leutholdin in ihrer Stube einschließen. Einverstanden? Schön. Aber damit auch Sie mir keine Dummheiten machen, lieber Tarnow, verlange ich, daß bei Ihnen in der Stube der Jäger Klein schläft, der von morgen ab von Strelentin ganz herüber kommt. Er kann sein Bett dort aufschlagen. Einverstanden? Schön, jetzt sind wir wieder die besten Freunde, wa?«
An demselben Mittag veranlaßte der Amtmann die Schaffnerin, sich mit Tarnow zu dutzen und erklärte sie für Brautleute. Er holte das Schreibzeug und Papier und schrieb eine Erklärung nieder, daß Tarnow die Schaffnerin heiraten wolle, wenn er Strelentin bekäme. Tarnow unterschrieb, und er faßte wirklich Hoffnungen für die Zukunft. »Ich gehe heute gegen Abend in die Stadt,« sagte der Amtmann, »weil ich zur Exzellenz muß. Ich werde dann schon für euch sprechen, Kinder.«
Zu alldem blickte die Schaffnerin gleichgültig auf ihren Teller nieder. Als der Amtmann hinaus war, lachte sie.
»Warum das Lachen?« fragte Tarnow verlegen, der auf solch plumpe Art das du vermied.
Sie lachte noch mehr und schüttelte dann leise den Kopf, als ob sie etwas nicht begreifen könne. Tarnow ging an seine Arbeit, die ihm diesen Nachmittag flink von statten geriet. Der Amtmann war wirklich in die Stadt gegangen und als Tarnow fertig war, wanderte er zwischen den Gartenbeeten auf und nieder. Aus diesem Ungestörtsein riß ihn erst der Jäger, der von Strelentin kam. Sogleich begann er, Tarnow zu erzählen, daß ein neuer Verwalter auf Strelentin angekommen sei, ein ehemaliger Student aus Berlin. Er habe gleich seine Frau mitgebracht.
Es war Tarnow, als ob ihm die Beine plötzlich abgehauen würden. Ein konvulsivisches Zittern überlief ihn und zog ihm die Haut zusammen. Aber trotzdem faßte er sich schnell, und er fühlte etwas wie Scham wegen seiner Erregung. Beinahe gleichzeitig kam auch Truchs aus der Stadt zurück und rief Tarnow zum Tisch. »Also Kinderchen,« sagte er, lustig mit den Augen blinzelnd, »es geht alles aufs beste. Die Exzellenz will sich die Sache überlegen, und es ist sehr wahrscheinlich, daß ihr nach Strelentin kommt.«
Tarnow erhob sich unwillkürlich und blickte den Amtmann vorwurfsvoll an. Truchs merkte sofort, woran er war. Er verschränkte die Arme über der Brust und schwieg trotzig still. Seine funkelnden Augen waren auf Tarnow gerichtet. Er zog ein Blatt Papier aus der Tasche, entfaltete es und reichte es Tarnow hinüber. Tarnow las die vom Amtmann geschriebene Erklärung wegen der Heirat, unter die er in freudigen Zügen seinen Namen gesetzt hatte. Er begriff nicht, was der Amtmann meinte und mit fragendem Blick gab er das Blatt zurück. Truchs lächelte mit einem finsteren Lächeln, strich einige Male zärtlich über das Papier und riß es dann mitten durch.
Tarnow senkte den Kopf.
Eine Viertelstunde später ging er auf die Vorwerke hinaus, wo trotz der abendlichen Stunde etwas nachzusehen war. Er ging und wußte nicht, daß er ging. Tausend zerfließende Gedanken durchkreuzten seinen Kopf. Eine allgemeine Angst erfaßte ihn, und einige Male blieb er stehen, um entmutigt die Hand auf die Stirn zu legen.
Als er von den Vorwerken zurückkam, stand die Schaffnerin vor dem Haus. Es dämmerte schon. Graue, lange Wolken bedeckten den Himmel. Als Tarnow der Schaffnerin ins Gesicht sah, erschrak er. Sie hatte eine Leichenfarbe. Ihre Augen waren wie verquollen, ihre Haare verwirrt, ihre Lippen zusammengepreßt.
»Was hast du, Fanny?« fragte Tarnow.
Sie gab ihm keine Antwort, sondern blickte mit zuckendem Mund zur Seite. Und er wiederholte seine Frage. Sie legte ihre Hand leicht auf die seine und wollte sprechen, als der Amtmann aus dem Haus trat und mit rauher Stimme nach ihr rief. Er gewahrte auch Tarnow, kam näher, begrüßte ihn freundlich, legte seinen Arm in den des Wirtschaftsschreibers und zog ihn fort.
»Wollen Sie eine Zigarre haben, lieber Tarnow?« fragte Truchs, als sie im Hof auf und ab gingen.
»Danke, Herr Amtmann, ich rauche nicht,« erwiderte Tarnow, der eine atemlose Spannung empfand.
»Aber zum Teufel, Herr, nehmen Sie doch eine Zigarre, wenn ich Ihnen eine anbiete.«
»Ich habe noch nie geraucht, Herr Amtmann.«
»Das ist mir egal.«
Tarnow nahm eine Zigarre und zündete sie unbeholfen an, als ihm der Amtmann Streichhölzer gegeben hatte.
Der Amtmann barst vor Lachen. »Sie haben ja die Spitze nicht abgeschnitten,« keuchte er, sich auf den Bauch klopfend. »Sie sind mir ein rechter Maulwurf.«
Tarnow schnitt die Spitze ab und bemühte sich mechanisch, den Rauch aus der Zigarre zu ziehen. Der Amtmann war in einem Nu ernst geworden. »So, jetzt können wir ja reden,« sagte er. »Also was ich Ihnen mitteilen wollte, ist das: nämlich, – aber bleiben Sie nur hübsch ruhig – nämlich, die Leutholdin ist meine Braut. Sie gefällt mir und ich will sie heiraten. Das wollt ich Ihnen nur mitteilen.«
Tarnow lehnte sich an den Gartenzaun und warf die glimmende Zigarre in den Sand. In seinem Gesicht ging eine wunderliche Veränderung vor. Es war, als ob der Mund sich verschoben hätte und das Kinn schief geworden sei. Dann drehte er sich um und hustete, indem er sich an einem Pfahl festhielt und die Kniee daran preßte.
»Na was ist, Tarnow, was ist? was haben Sie?« rief der Amtmann