Название | Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band |
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Автор произведения | Walther Kabel |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788075831101 |
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»Wir sollten uns kennen? …«
Fritz Schaper schaute den blonden, schlanken Herrn, der ihn so unvermittelt angesprochen hatte, fragend an.
»Bekannt kommen Sie mir allerdings vor,« meinte er unsicher.
»Ah – jetzt besinne ich mich,« rief der Andere erfreut. »Sie sind Fritz Schaper, der berühmte …«
»Pst! Um Himmels willen, Verehrtester! Posaunen Sie nur nicht noch meinen Beruf in alle Welt aus. – Ich bin in Geschäften hier,« fügte er leise hinzu.
Der blonde Herr nickte verständnisinnig. Und dann sagte er lächelnd …
»Denken Sie bitte mal an unseren gemeinsamen Freund Bert Matra … Geht Ihnen nun eine Leuchte auf?«
Der Detektiv streckte ihm jetzt die Hand hin.
»Grüß Gott, Herr Gerster, Herr Heinz Gerster, berühmtester aller modernen Novellendichter! – Sie sehen, ich kenne mich schon aus. – Was treiben Sie denn hier in München? Matra erzählte mir doch letztens, Sie wollten bis zum Herbst in irgend einem kleinen Nordseebade bleiben und fleißig sein …«
Heinz Gerster machte ein ganz trübseliges Gesicht.
»Sie wissen –: wollen und vollbringen ist manchmal zweierlei. Ich hab’s einfach nicht mehr ausgehalten in dem einsamen Nest. Warum – das erkläre ich Ihnen vielleicht später. Nein, nicht vielleicht …! Bestimmt tue ich’s. Denn Sie schickt mir wahrhaftig der Himmel in den Weg. Sie müssen mir jemanden finden helfen, der verschwunden ist.«
Schaper schaute den jungen Schriftsteller daraufhin so merkwürdig an.
»Wohnte die Person, von der Sie eben sprachen, etwa in diesem Hause, vor dessen Tür wir jetzt stehen?« fragte er interessiert.
»Allerdings. – Wie können Sie das aber wissen, Sie Perle aller Detektivs?«
»Sehr einfach. Ich suche nämlich selbst jemanden in dieser Riesenkaserne. Und da der Portier mir soeben mitgeteilt hat, daß von den Einwohnern in den letzten Tagen nur Frau Deprouval nebst Söhnchen und die Erzieherin des letzteren unbekannt wohin verreist sind, war das Kombinieren nicht allzu schwer.«
»Aus dieser Antwort geht hervor und zwar mit tödlicher Sicherheit, daß es eine der beiden Damen ist, auf die Sie es abgesehen haben,« meinte Heinz Gerster eifrig.
»Freilich. – Doch, wir wollen weitergehen. Oder haben Sie in dem Hause noch etwas zu tun?«
»Ja. Warten Sie einen Augenblick. Ich war nämlich schon heute morgen hier, und da sagte mir die Portierfrau, daß ihr Mann einen Brief für mich habe. Dem will ich mir jetzt abholen.«
Der junge Schriftsteller kehrte schon nach wenigen Minuten zurück.
»Gott sei Dank. Ich habe den Brief. Ich fürchtete schon, der Mann hätte ihn vielleicht verbummelt.«
Langsam schritten sie die Aspernstraße hinunter und bogen in die Maximilianstraße ein.
Gerster, der seiner Ungeduld nicht länger Herr werden konnte, bat den Detektiv um Entschuldigung, zog den Brief hervor, riß den Umschlag auf und … zog eine ganze Anzahl Blätter des sogenannten überseeischen Briefpapiers heraus, die eine feste, energische Frauenhand mit ziemlich engen Zeilen bedeckt hatte.
»Nein,« meinte der junge Schriftsteller da, »all das kann ich unmöglich hier auf der Straße überfliegen. Bitte – kommen Sie mit in ein Restaurant. Wir haben ja ohnedies mancherlei zu besprechen.«
In einer Nische des nahen Hoftheater-Restaurants fanden sie ein ihnen genehmes Plätzchen. Und hier las Heinz Gerster wehen Herzens Frau Kätis Brief, während der Detektiv für beide ein Menü nach der Speisekarte zusammenstellte.
Erst nachdem sie gespeist hatten, tauschten sie ihre Erlebnisse aus. Da sie beide das gleiche Interesse hatten, den neuen Aufenthaltsort der Damen, die bisher Aspernstraße Nr. 19 gewohnt hatten, möglichst schnell auszukundschaften, erzählte Fritz Schaper seinem Tischgenossen ohne Scheu alles das, was sich auf den Fall Wendel bezog.
»Leider ist nun mein Angestellter, den ich hier nach München geschickt hatte, um die Wohnung Charlotte Wendels feststellen zu lassen, genau um zwei Stunden zu spät gekommen. Heute morgen langte ich dann hier mit dem D-Zug an, wurde vom meinem Angestellten schon auf dem Bahnhof empfangen und eilte nachher direkt nach der Aspernstraße, um persönlich nochmals mein Glück bei Frau Deprouval zu versuchen. Der Portier aber zuckte bedauernd die Achseln, als ich ihm mitteilte, wen ich aufzusuchen beabsichtige. Die Dame sei gestern abend für längere Zeit mit ihrem Söhnchen und dem Dienstmädchen nach dem Süden gefahren, erklärte er. Und mehr vermochte ich nicht festzustellen, obwohl ich den Mann wie eine Zitrone ausquetschte. – Pech, verwünschtes Pech, lieber Gerster, das wir beide gehabt haben. Und das Schlimmste, ich ahne, daß der Mensch, der sich vor mir in Danzig so angelegentlich nach Rita Meinas erkundigte, hier seine Hand mit im Spiele hat. Wer weiß, was für eine Teufelei hier angestellt werden soll. Denn – Charlotte Wendel ist eine Millionenerbin, und ich habe schon einmal einen Fall zu bearbeiten gehabt, wo Leute nicht vor einem Morde zurückschreckten, um die Erbschaft an sich zu reißen.«
Heinz Gerster hatte mit gespannter Aufmerksamkeit dem ausführlichen Bericht des Detektivs gelauscht, ohne ihn jedoch auch nur ein einziges Mal zu unterbrechen. Jetzt sagte er ganz erregt, indem er auf den vor ihm liegenden Brief Käti Deprouvals deutete …
»Vielleicht führt dieses Schreiben Sie auf die Spur Charlotte Wendels. Bevor ich es Ihnen jedoch vorlese, hören Sie die Geschichte einer … unglücklichen Liebe, die in einem holsteinischen Fischerdorfe beginnt, bei der das Scheitern einer Brigg eine Rolle spielt und die nun … mit einem wehen Akkord ausklingt … Es kann nicht sein …«
Nachdem Heinz Gerster alles berichtet hatte, was ihm der Aufenthalt an der holsteinischen Küste Heiteres und Trübes gebracht hatte, nahm er den Brief Frau Kätis zur Hand.
Lieber Freund!
Vor einer Stunde erhielt ich Ihre Zeilen, die mir Ihre baldige Ankunft hier in München anzeigen. – Heinz Gerster, warum quälen Sie mich so …? Warum sprechen Sie zu mir von Ihrer Liebe, Ihrer Sehnsucht, – zu mir, die Ihnen nie etwas sein darf, … nie! Warum ließen Sie es nicht bei jenem Abschied bewenden, jenen Minuten, wo wir selbstvergessen mit klopfenden Herzen dicht aneinander lehnten …? Wozu stören Sie meinen schwer erkämpften Herzensfrieden? Hätten Sie doch Erbarmen mit mir gehabt …! Ich gebe es ehrlich zu, ich bin nicht stark genug, Ihnen nochmals gegenüberzutreten. Deshalb fliehe ich … Und nur eine flehentliche Bitte formen meine Lippen. Vergessen Sie mich, suchen Sie mich nicht! – Ich kann Ihr Weib nie werden. Wirklich – es kann nicht sein! Um Sie hiervon zu überzeugen, sollen Sie meine Lebens- meine Leidensgeschichte erfahren. Schon damals in unserem holsteinischen Idyll hatte ich dieselbe für Sie niedergeschrieben. Und doch wagte ich es nicht, diese Blätter meinen Abschiedszeilen beizufügen. Ich fürchtete, daß Sie vielleicht den zur Rede stellen könnten, der gewisse gesetzliche Anrechte auf meine Person besitzt, daß ein Streit entstehen und Sie vielleicht meinetwegen in Ungelegenheiten geraten würden. Daß ich für den, den ich meinen Gatten nennen muß, nichts empfinde, werden Sie aus gewissen Andeutungen in unserer Unterhaltung herausgehört haben; auch weshalb unsere Ehe so schnell in Trümmer zusammenbrach und nur noch äußerlich aufrechterhalten wurde, dürften Sie ahnen. Heute werden Sie alles verstehen. Und alles verstehen heißt hier für Sie … alles entschuldigen, was ich tue, um Ihnen auszuweichen. Es ist ja doch nichts anderes als eine Flucht, diese meine plötzliche Abreise, – eine Flucht, die mir dadurch erleichtert wird, daß Rita Meinas heute gleichfalls auf eine dringende Nachricht hin nach Berlin verreisen mußte und zwar auf unbestimmte Zeit. – Soeben habe ich mich, wie mir leider zu spät einfällt, einer kleinen Indiskretion schuldig gemacht. Ich sollte Ritas Reiseziel nicht verraten. Daher – halten auch Sie das eine Wort »Berlin« , das ich nicht gern unleserlich machen möchte, was ja wie ein Mangel an Vertrauen aussehen könnte, geheim.
Und nun, lieber, einziger Freund