Wenn man aufsteht, wird die Verbeugung tiefer. Heinz Florian Oertel

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des Rundfunks, die meine Reporter-Untauglichkeit bestätigten und mir so die Illusion nahmen, ein zweiter Oertel werden zu können, wenngleich sie mir Fähigkeiten zum Sportjournalisten nicht völlig aberkannten.

      Diese vierwöchige Lehrzeit war für mich eine nicht mit Geld zu bezahlende Lernzeit an der Seite von Heinz Florian Oertel. Er vermittelte nicht nur spezifische Anforderungen an einen Sportjournalisten, sondern auch Haltungs- und Verhaltensweisen.

      Als ich Oertel zur Berichterstattung von der Winterbahn in die Werner-Seelenbinder-Halle begleitete, hatte ich mich schon Tage vorher erst einmal über Wettbewerbe im Radsport belesen. Von einem Omnium hatte ich schon gehört. Was das »Ganze« aber beinhaltet, war mir nicht geläufig. Und als ich Einzelverfolgung, Ausscheidungsfahren, Zeitfahren oder Punktefahren auf dem Lattenoval staunend und voller Begeisterung verfolgte, musste mich Heinz Florian daran erinnern, dass ein Berichterstatter, bei aller Begeisterung, nicht in Trance verfallen könne, sondern seine Beobachtungen als Notizen festzuhalten habe. Und wenn diese im Augenblick nicht zu verwerten seien: ein Archiv sei die halbe Miete.

      HFO besitzt ein solches Archiv – in Ordnern und in einem mit großem Allgemeinwissen gefüllten und geordneten Kopf. Davon abzugeben, mit Kollegen zu teilen, dazu ist er gern bereit. Man muss ihn nur fragen. Ungefragt wird Oertel nicht zum Klugschwätzer. Und da auch er nicht allwissend ist, scheut er sich durchaus nicht, zum Fragenden zu werden.

      Gerade was Regeln bei Fremdsprachen betraf, holte er sich gelegentlich Rat von uns Nachrichtensprechern ein. Manchmal gab das die Zeit nicht her, und da konnte es schon passieren, dass der Name des Benannten für dessen Ohr eigenartig klang. Aber das war selten. Namen, die Heinz Florian Oertel in seinen Sportreportagen nannte, sind heute noch ein Wohlklang in meinem Ohr. Und nicht nur in meinem. Während der »Internationalen Radfernfahrt für den Frieden« alljährlich im Mai tönten die Namen der Fahrer aus den Kofferradios in den Städten und Dörfern unseres Landes, wenn Reporter Heinz Florian Oertel Begriffe und Geschehen für die Stimme arrangierte: »Course de la Paix« mit Fahrern wie Romeo Venturelli, Johannes van der Velden, Aurelio Cestari. Auf diesen Namen konnte er sich ausruhen, jede Silbe war gut zu verstehen. Sogar der Pole Andrzej Mierzejewski und der mehrfache sowjetische Etappensieger Dschamolidin Abduschaparow blieben ohne sprachlichen Makel, wenn Oertel sie zum »Contre la montre« aufrief.

      Manch einer mag das als Masche abtun. Ich sehe mich da eher als Bruder im Geiste. Es ist eine Pflicht der Höflichkeit, den Namen eines Menschen korrekt auszusprechen, zumal wenn er einer großen Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Wenn junge Reporter sich Oertel zum Vorbild genommen haben und vielleicht heute noch nehmen und ihm nacheifern möchten, dann sollte das eine der Prämissen für die Berufsausübung sein. Wie überhaupt Oertel großen Wert auf die Pflege seines Handwerkszeuges, der Sprache, legte, wozu ein umfangreicher Wortschatz und der Gebrauch von Synonymen gehören. Es nimmt deshalb nicht wunder, wenn er, damals wie heute, Kollegen bei ihren Reportagen nur kopfschüttelnd zuhören kann, weil sie jegliche Bemühungen zur Weiterentwicklung vermissen lassen, obwohl sie schon Jahre dieser Tätigkeit nachgehen.

      Stillstand kannte Heinz Florian nicht. Und er war nicht ausschließlich auf den Sport fixiert. Man hätte ihn getrost zu einer Theaterpremiere als Berichterstatter schicken können und es wäre ein hörenswerter Beitrag dabei herausgekommen. Es wäre ihm nicht ergangen wie dem Sportreporter in einer Anekdote, der für einen Kulturredakteur bei einem Konzert einspringen muss und davon berichtet, dass die Sängerin Lieder von Schubert sang, wobei Schubert verlor und sich in der Halbzeitpause die Ränge leerten.

      Seine Vielseitigkeit bewies Oertel mit eigenen Sendungen im Hörfunk und Fernsehen. Sie wurden allesamt Renner: »7–10 Sonntagmorgen in Spreeathen«, »He, he, he – Sport an der Spree«, »Schlager einer großen Stadt« oder »Porträt per Telefon«, die erste Talkshow im DDR-Fernsehen. Der Bildschirm öffnete sich für ihn als Moderator bei »Ein Kessel Buntes« oder als Partner von Helga Hahnemann. Und ich selbst erinnere mich gern an eine Sendung von Heinz Quermann, in der wir, »Da lacht der Bär« singend, durch den Berliner Tierpark Friedrichsfelde zogen.

      Mit dem Ruhm kommt der Neid und der Verruf. Überheblich, unnahbar. Besonders Reisen zu Sportereignissen in westliche Länder, von denen er mehr im Reisepass aufzuweisen hatte als andere Kollegen, brachten ihm den Ruf der Begünstigung ein. Aber es war wohl eher so, dass Heinz Florian Oertel die sicherste Bank für eine gute Berichterstattung war. Auch bei unerwarteten Ereignissen.

      Er habe in den Reportagen im Fernsehen nie den Rundfunkmann verleugnen können, habe die Bilder zugequatscht. Nun, soviel ich weiß, will er das auch gar nicht. Wie wir alten Rundfunkleute das sowieso nicht wollen, weil der Rundfunk die beste Lehranstalt war, die wir uns denken können. Er war sich durchaus bewusst, dass seine Fernsehreportagen wortkarger hätten ausfallen können. Ich empfand es nicht als lästig, war doch bei dem, was aus dem Lautsprecher kam, nichts Sinnloses darunter.

      In einer Anekdote erfährt man, dass er einmal bei einer Live-Fußball-Übertragung aus dem Moskauer Lushniki-Sportpark mit Darmproblemen zu kämpfen hatte und den Reporterplatz verlassen musste. Er hatte Glück. In der diarrhöischen Sprechpause war kein Tor gefallen. Wieder in der Heimat, belobigte ihn der Intendant für seine zurückhaltende Berichterstattung, die er sich von ihm nun immer so wünsche.

      »Was ist er denn für ein Mensch?«, wird man oft gefragt. In einer Erzählung von Christa Wolf wird über die Hauptfigur gesagt, er sei ein guter Mensch. Das kann ich über Heinz Florian Oertel auch sagen.

      Ich möchte noch einmal auf die anfangs erwähnte Winterbahn zurückblicken. Oertel war voll beschäftigt, an ein Verlassen des Reporterplatzes war nicht zu denken. Und so bat er mich, obwohl, wie er ausdrücklich betonte, das nicht zu meinen Aufgaben gehöre, Würstchen zu holen und drückte mir Geld in die Hand. Ich beeilte mich, den langen Weg schnell zurückzulegen, damit das Gewünschte wenigstens lauwarm bei ihm ankam. Sein erster Satz war: »Wo sind deine Würstchen?« Meine Druckserei deutete er richtig, dass ich von seinem Geld für mich keine Würstchen gekauft hatte, und er ahnte, dass mein Stipendium diese Sonderversorgung nicht mehr zuließ. Er machte mir klar, dass für alle Zukunft gelte, wenn er mich bitte, Essen zu besorgen, ich immer einbezogen sei.

      Ich stehe auf und verbeuge mich, dankbar, dass Heinz Florian Oertel ein Teil meines, wie er sagen würde, Lebensmarathons ist.

      Klaus Feldmann

      Heinz Florian Oertel über seinen Jahrgang

      27er, na und?

      Richtig, geschätzter und kritischer Leser – na und? Warum sollten 27er, also 1927 Geborene, was Besseres oder Interessanteres sein als 28er, 29er, 30er … und, und, und? Dennoch wird es vielen Menschen ähnlich gehen, nämlich wissen zu wollen, wer ist auch so alt, so jung wie ich? Mit welchen Lebensabläufen lässt sich meiner vergleichen?

      Sicherlich sind das nicht die himmelbewegenden Fragen, aber … Warum auch nicht?

      Mir schickte ein Freund zum Geburtstag eine originelle Glückwunschkarte. Vorn prangt bunt die Superfeststellung: 1927 war ein Spitzen-Jahrgang. Ich machte mir dann nicht die Mühe, nachzuprüfen, ob das auf allen ähnlichen Pappen auch behauptet wird. Ich vermute stark: ja. Immer.

      Also zum 27er »Spitzenjahrgang«!

      Als mich im Cottbuser Osten damals eine Hebamme (die ich später persönlich kennenlernte) aus dem Körper meiner Mama Anna Bombeck-Oertel »befreite«, lebten in Deutschland 64023619 Einwohner. Mithin, ich wurde für Sekunden der »Einmalige« 64023620ste, ein fast neun Pfund schwerer Dicker. Meine Mutter brachte mich an einem Sonntag, dem 11. Dezember, um 11 Uhr vormittags auf die Welt. Ich bin Schütze-Kind und hatte tatsächlich viel, viel Glück.

      Hans Rosenthal wäre jetzt hochgesprungen: »Das ist … – Spitze!«

      Ich sage: Danke, Mama und Papa. Im Himmel sehen wir uns wieder.

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      Heinz Florian Oertel mit Mutter, Vater und Schwester, 1934

      Heinz Florian Oertel

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